Eine Abrechnung mit der Partei der Grünen

Ich und die Grünen

Vor 30 Jahren wurde die Partei der Grünen gegründet. Jetzt wird abgerechnet.

Friede den Kartoffelkäfern

Die Umgebung großer Städte wird oft als »Speckgürtel« bezeichnet. Doch es müsste Biokarottengürtel heißen, denn nicht bildungsferne, übergewichtige Speckfresser machen sich hier breit. Nein, hier leben Menschen, die eine Erzieherin, die im Kindergarten Speck serviert, sofort wegen Körperverletzung verklagen würden. Menschen, die mit Renate Künast fasten, mit Claudia Roth über Menschenrechtsverletzungen weinen und mit Joschka Fischer robust zuschlagen.
Die grünen Festungen, die Siedlungen der Ströbele- und Künast-Klone mitsamt den Produktionsstätten ihrer Biobauern, umgeben Hamburg wie ein Belagerungsring. Ich war dabei, als das Grauen seinen Anfang nahm. Wie so oft in der Geschichte begann alles scheinbar harmlos. Doch ich wurde frühzeitig gewarnt.
So begab es sich zu jener Zeit, als die Grünen ihren Gründungsparteitag hinter sich gebracht hatten und gerade begannen, die Turnschuhe für die Vereidigung als Minister zu schnüren, dass der grüne Biobauer Michael verspätet zu einer Gartenparty erschien. Er habe eine Kartoffelkäfersammelmaschine aus Süddeutschland holen müssen, rechtfertigte er sich und erläuterte, dass der Einsatz dieser Maschine einem den Gebrauch von Pestiziden ersparen könne. Die Kartoffelkäfer würden angesaugt und in einer Wanne gesammelt. Ich warf nun die Frage auf, was mit den vielen Kartoffelkäfern geschieht. Michael druckste eine Weile herum, erst nach bohrenden Nachfragen gab er zu, dass die Käfer mit Benzin übergossen und angezündet werden.
Ich will ehrlich zugeben, dass mir die Kartoffelkäfer eigentlich egal waren und ich damals vornehmlich daran interessiert war, Michael bloßzustellen, um die Gunst einer jungen Dame zu gewinnen, die dem rustikalen Charme dieses elenden Bauerntölpels zu erliegen drohte. Erst Jahre später erschloss sich mir die geschichtsphilosophische Dimension dieser Episode, die trefflich die Haltung der Grünen symbolisiert: Sie tun ganz fürchterlich alternativ, aber wenn sie einmal im wirklichen Leben ein Problem lösen müssen, ist es schnell vorbei mit den hehren Idealen, und sie hinterlassen erhebliche Kollateralschäden. Vor allem wenn sie glauben, dass niemand hinschaut. Wie Joschka Fischer, der ein Vierteljahrhundert später wegen der Kurnaz-Affäre vor einem weniger strengen Untersuchungsausschuss erschien und mit der Ausrede durchkam: »Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.« Aber ich kann mich erinnern.
Bei den Grünen ergänzen linker Missionsdrang und pastorale Moral die Realpolitik, sie sind nicht einfach nur eine überflüssige Partei, ihre ökopuritanische Haltung breitet sich unaufhaltsam in der Gesellschaft aus. Wenn aber die letzte Speckschwarte vom Markt verschwunden und der letzte Kartoffelkäfer verbrannt worden ist, wird es zu spät sein, um diesen Leuten zu sagen, wo sie sich ihre Biokarotten hinstecken können.
Jörn Schulz

Alternativ, aber

Der wichtigste Grund, aus dem ich schon früh Vorbehalte gegen die Grünen bzw. die Alternative Liste hegte: Fast alle meine Lehrer sympathisierten mit ihnen. Und was denen gefiel, konnte in meinen 14jährigen Augen einfach nicht gut sein. Dieses Vor-sich-Hertragen des »alternativen« Lebensstil wie einen heiligen Gral. Das schwerverdauliche selbstgebackene Brot, die hässlichen und kratzigen Naturwollepullover, die nach Wollfett stanken, das blöde »gewaltfreie« Marschieren zu Blockaden, um dort mit Kerzen gegen Atomkraft und Pershing II zu demonstrieren, all diese zutiefst protestantischen Handlungen, diese Selbstkasteiung aus Überzeugung, all das war mir suspekt.
Aus heutiger Sicht erscheint meine Aufzählung wahrscheinlich als billiges Bashing, vor 30 Jahren war sie Realität. Und vor allem zum Sterben langweilig. Ich war Katholikin. Nicht so sehr im Glauben an Gott, mehr in dem Gefühl, dass das Leben ausufernd sein sollte, voller Sünden, die vergeben werden können. Und es musste duften, das schöne Leben, von mir aus auch nach Weihrauch. Die Grünen rochen von Anfang an muffelig und hatten keine gute Musik. Sie favorisierten Gitarren und Bongos.
Einmal, in den frühen achtziger Jahren, war ich an der Besetzung des Büros der Berliner Alterna­tiven Liste in der Badenschen Straße in Wilmersdorf beteiligt. Es ging um irgendetwas sehr Wichtiges, natürlich, und da die AL nicht die Polizei rief, war es viel leichter, hier zu campieren als zum Beispiel bei der CDU. Hauptsächlich tranken wir in den nächsten Tagen ihren Kaffee aus, telefonierten viel und – das Wichtigste – wir kopierten Hunderte, ach, Tausende von Flugblättern. Kopien waren damals, als es noch keine Computer gab, wichtig und wertvoll. Eine einzige Kopie kostete sicher zehn Pfennig. Wer sollte das bezahlen? Die Alternative Liste. Anstatt sich mit uns zu streiten, uns das Kopieren zu verbieten und uns rauszuschmeißen, wollten sie über den Grund unserer Besetzung diskutieren. Sie gaben uns in der Sache recht, jedoch immer mit einem Aber verbunden. Natürlich sei Widerstand wichtig, aber. Sicher hätten wir recht, aber. Brav brachten sie uns immer weitere Papierstapel, neue Tonerkartuschen und Kaffee aus ihrem Vorrat. Der Lagerraum war übrigens mit einem Schloss extra gesichert. Wie peinlich. Fanden sie auch, aber. Ansonsten baten sie uns inständig, bitte nichts kaputtzumachen.
Nach ein paar Tagen verließen wir das Büro wieder, es war einfach zu öde geworden, denn man konnte mit ihnen nicht richtig streiten. Das ist das wirklich Schlimme an den Grünen, dieses Ausdiskutieren von Konflikten, dieses wabbelig-weiche Sein, die Angst, einen falschen Schritt zu tun und dann auf Gegenwehr zu stoßen. Das zumindest haben sie in den vergangenen Jahrzehnten ja gelernt, dass keine Gewalt auch keine Lösung ist.
Sarah Schmidt

Ein Herz für die Grünen

Ich war 16 und der entscheidende Siebte: Mit meiner Unterschrift konnte der Ortsverein der Anti-Parteien-Partei gegründet werden. Es war 1983 und die Kommunalwahl in unserer bayerischen 4000-Einwohner-Gemeinde stand bevor. Ein Wahlprogramm musste geschrieben werden, und für mich war es ein Start ins Erwachsenenleben.
Dann, im Keller meiner Eltern, die Wahlparty. Technisch waren wir auf der Höhe der Zeit. Ein Parteifreund, ein Physiker, hatte auf seinem programmierbaren Taschenrechner eine Hochrechnungssoftware geschrieben. Keine andere Partei am Ort hatte so schnell eine verlässliche Hochrechnung. Ich kann heute noch die Euphorie spüren: auf Anhieb über sieben Prozent!
In einer Umzugskiste habe ich das Wahlprogramm wiedergefunden: »Wir sind Bürger von Wörthsee – Schüler (das war ich!), Studenten, Angestellte, Hausfrauen, Ingenieure und Lehrer –, die, wie Millionen Menschen in unserem Land, zu der Überzeugung gekommen sind, dass die Fortsetzung der jetzigen Politik und Lebensweise unsere Welt in eine Natur- und Gesellschaftskrise unvorstellbaren Ausmaßes stürzen wird.«
Große Gefahren erforderten großes Engagement. Bis 1991 bestimmte die Partei mein Freizeitverhalten. Zum Geburtstag malte mir meine damalige Freundin ein Bild meines Herzens. Darin kämpfte ein grünes Parteisymbol mit ihr um den Platz.
Bald war ich dem Ortsverein entwachsen und stieg in den Kreisvorstand auf. Ich erinnere mich an Leserbriefschlachten in der Regionalausgabe der Süddeutschen Zeitung nach Tschernobyl, Aufrufe zu Demonstrationen gegen die Abschaffung des Asylrechts und gegen Naziversammlungen im Landkreis und für die Besetzung einer leerstehenden Hütte in den Wäldern des Grafen Törring.
Bald rückten die innerparteilichen Kämpfe in den Vordergrund. Gegen menschenfeindliche Naturromantik. Gegen die Gründung eines grünen Jugendverbandes. (Schließlich war ich schon erwachsen und wollte mich nicht in einem Spielzimmer austoben.) Gegen eine grüne Regierungsbeteiligung.
Die damals für mich so bedeutenden politischen Kontroversen sind Geschichte, verblassen in der Erinnerung. Umso lebhafter ist mir eine eigene rot-grüne Zusammen­arbeit im Gedächtnis. Es ging darum, eine banale Forderung unseres Wahlprogramms durchzusetzen: die Schließung der wilden Kiesgrube von Herrn Au­miller. (»Die Kiesgrube ist illegal und deshalb sofort zu schließen.«)
Herr Aumiller war stellvertretender Bürgermeister und Bauer. Sein Hof, mit Pensionszimmern bestückt, stand strategisch günstig am Eingang zum größten Badestrand im Ort. Frisch dem See entstiegen, fasste ich zusammen mit einem Mitglied der örtlichen Juso-Gruppe den Entschluss, den CSU-Mann zur Rede zu stellen. Doch das Streitgespräch mit dem jovialen Amtsträger ging an mir vorbei. Ich war vollauf damit beschäftigt, meinen ungenügend bedeckten Unterleib hinter einer rustikalen Kommode zu verstecken und meine ausgeleierte Badehose zurechtzuzupfen.
Ferdinand Muggenthaler

Ich habe es getan

Die Grünen sind schuld. Hätte es sie nicht gegeben, wäre ich nie auf die Idee gekommen, so ­etwas zu tun. Nie hätte ich es getan, vor den Augen anderer Leute, ja geradezu in aller Öffentlichkeit. Denn wenn man überhaupt meint, dergleichen tun zu müssen, dann bitteschön zu Hause im stillen Kämmerlein hinter verriegelter Tür. Vor dem Fernseher, meinetwegen, wenn kein Besuch da ist. Aber sonst nicht!
Die erste, die ich kannte, die irgendwie als »grün« galt, war ein Mädchen in meiner Klasse. »Grün«, das sagten wir damals noch ein bisschen abfälliger als nötig, um ja nicht in den Verdacht zu geraten, es könnte auch ein wenig An­erkennung mit dabei sein, schließlich handelte es sich um etwas Neuartiges, und das ist auf dem Land per se etwas Besonderes. Während meine Freundinnen und ich mit weißen, pinkfarbenen oder hellblauen Plüschohrwärmern mit Plastikbügeln herumliefen, trug »die Grüne« Klamotten aus sand-, lehm-, erd- oder tonfarbenen Naturstoffen. Sie besaß als erste ein eigenes Teeservice sowie einen beträchtlichen Vorrat an Kerzen (sand-, lehm-, erd- oder tonfarben) und Räucherstäbchen. Und sie tat es, vor unseren Augen.
Das Mädchen war später mit einem Typen aus der Jungen Union zusammen. Da hätte eigentlich schon alles klar sein müssen. War es aber wohl nicht.
Noch in der Schule wollte ich es tun. Aber das gab Diskussionen mit den Lehrern darüber, ob man denn, während man es tat, aufpassen könne oder nicht. Es gab Ärger, deshalb ließ ich es wieder sein. Die Grünen, die taten es, scham- und hemmungslos. Auf ihren Versammlungen und sogar im Bundestag, das wusste man, auch wenn man es nicht selbst gesehen hatte. Natürlich ­taten es vorwiegend Frauen, Feminismus hin, Feminismus her. Während sie es taten, während es in ihren Schößen provokativ klapperte, trugen sie die Produkte früherer Tätigkeiten. Diese waren naturgemäß unvorteilhaft geschnitten, immer zu lang, zu weit, zu unförmig. Aber immer sand-, lehm-, erd- und tonfarben. So viel Sand, Lehm, Erde und Ton gibt es auf diesem Planeten gar nicht, wie Wolle in diesen Farben von echten und vermeintlichen Grünen verarbeitet wurde.
Ich muss, obwohl schon volljährig, aus gänzlich unerklärlichen Gründen angenommen haben, es öffentlich zu tun, sei ein irgendwie gearteter Akt des Widerstands gegen die Konventionen, ungefähr so wie das Erscheinen zum Abiball in Jeans. Vermutlich deshalb habe ich es getan. Nicht im Fernsehsessel zu Hause, nein, im Hörsaal der Philosophischen Fakultät. Die Phase war kurz und doch viel zu lang. Im ersten oder zweiten Studiensemester entstand ein quadratisch-sackiger so genannter Pullover mit viel zu weiten und zu kurzen Ärmeln, den ich mir vorübergehend schönredete, bevor er in einer Kiste verschwand. Dass er weder sand- noch lehm-, erd- oder tonfarben war, macht die Sache nicht besser. Ich muss ­bekennen, auch wenn es schwer fällt: Ich habe gestrickt. Aber schuld sind die Grünen.
Regina Stötzel

Geschmackszerstörer

Meine erste Begegnung mit den Grünen war durchaus schön. Ich saß in einem Bollerwagen und wurde von der Verwandtschaft zu einem Ostermarsch gekarrt, eine junge Frau beugte sich zu mir herunter und schenkte mir eine Sonnenblume. Die Freundin meines Onkels kommentierte das Geschenk mit den Worten: »Die Kirsten ist jetzt übrigens bei den Grünen.« Danach hörte ich lange nichts mehr von ihnen, im Zentrum meiner ostwestfälischen Heimatstadt befand sich viel Industrie, umgeben von sehr viel Landwirtschaft. In den achtziger Jahren hieß das, SPD gegen CDU, für die Grünen war da wenig Platz.
An einem Sonntagmorgen drängten sie trotzdem ziemlich unerwartet in mein ­Leben. Meine Mutter stellte während des Frühstücks fest, dass Marmeladenbrote und Eier auf Dauer zu langweilig sind. Mein Bruder schlug Nutella als Alternative vor und ich Cornflakes. In ungewohnt scharfem Ton sagte mein Vater: »Ich mag das! Hier muss sich nichts ändern!« Diesen Einwand ignorierte meine Mutter souverän und leitete direkt zu der Ankündigung über, dass wir unser Frühstück zukünftig selbst herstellen würden. Abends wurde uns vorgeführt, was das bedeutet. Aus staubigen Jutesäcken wurden Körner in eine mittelalterlich anmutende Mühle gekippt, gemahlen und dann zwecks Kaubarkeit über Nacht in Wasser aufgeweicht. Am nächsten Morgen gab es den ersten Frischkornbrei, unsere Getreidevorräte reichten fast für ein Jahr.
Etwa zwei Wochen später belauschten mein Bruder und ich ein Telefonat, bei dem unsere Mutter sagte: »Meine Kinder mögen ­keine Süßigkeiten, wenn du ihnen eine Freude machen möchtest, bring’ doch ungeschwefelte, getrocknete Aprikosen mit.« In den darauffolgenden Monaten erhielten wir tiefe Einblicke in den Zusammenhang von politischen Idealen und persönlicher Opferbereitschaft. Wir wurden regelmäßig zu den Räumdiensten der Aktion »Befreit unseren Wald von Plastik und Dosen« eingeteilt, vorherige Lieblingsgerichte wurden nur noch in der Vollkornvariante aufgetischt, und zu Weihnachten gab es Kekse, mit denen man Fensterscheiben einschlagen konnte, und schadstoff­armes Spielzeug. Mein Kindergeburtstag wurde in einer Bioküche gefeiert, wo wir unter profes­sioneller Anleitung lernten, Hirsebratlinge herzustellen. Die anderen Kinder und ich hätten darauf gut verzichten können, aber sämtliche Mütter waren begeistert und nahmen sich ein Beispiel an »meiner« Pionierleistung im Kampf gegen die indus­trielle Massenproduktion. Wenn ich auf dem Schulhof Einladungskarten erhielt, lag in den Blicken meiner Mitschüler der Vorwurf: »Du hast Schuld!«
Dank der Grünen sammelte ich für eine Zweitklässlerin erstaunlich viele Erfahrungen auf politischem Terrain. Nicht nur im Hinblick auf geschickte Manipulation und die Platzierung von Überraschungscoups, sondern auch in der pol­itischen Debattenkultur. Bei Familienfeiern setzten die Kontroversen nämlich nicht mehr nach dem Essen ein, sondern wegen der Menüzusammenstellung schon währenddessen.
Katharina Wiedey

Würg!

Dass die Grünen stinken, hat sich mir früh eingeprägt. Grund ist ein Erlebnis in meiner Kindheit. Es muss Ende der achtziger oder Anfang der neunziger Jahre gewesen sein, als ich von meinen Eltern die Erlaubnis bekam, mit irgendwelchen Freunden von ihnen spät abends noch zu ­einer Veranstaltung der Grünen zu fahren. Ich glaube, es war eine Wahlkampfparty. Ganz sicher bin ich mir nicht, denn viel aufregender als die Veranstaltung war, dass sie im Komm stattfand, dem selbstverwal­teten »Kommunikationszentrum« am Nürnberger Hauptbahnhof, dem damals wohl berüchtigtsten Gebäude Bayerns. Da drin, das wusste ich allein schon vom Vorbeigehen, waren die Regeln der normalen Welt außer Kraft gesetzt. Und weil die normale Welt ganz klar verdammt schlecht war, musste es da drin verdammt gut sein.
Wir gingen zuerst an den Gestalten vorbei, die stets vor dem verschlossenen Haupteingang lagerten. Sie galten mir als Verheißung, dass es ein Leben jenseits des Lateinunterrichts gab. Dann bogen wir links in die dunkle Gasse ein, die zum Seiteneingang führte, öffneten die Eingangstüre, standen vor einer Gruppe Türken, die mich erst durchließen, nachdem sie eingesehen hatten, dass es keinen Sinn ergab, einem Zwölfjährigen in Birkenstocksandalen Drogen zu verkaufen. Dann ging es durch das vollgemalte Marmortreppenhaus nach oben, wo die Party der Grünen stattfand, und da fing es an mit dem Geruch. Es roch nicht so, als hätte einer der zahllosen da herumhängenden Punks seinen Mageninhalt entleert, sondern als hätten das alle auf einmal getan. Es stank bestialisch. Und irgendwer deutete an, dass das Absicht war, und dass der Geruch den Grünen galt.
Die sahen sich im großen Saal des Komm bekloppte Kleinkünstler an, tranken Sekt und versuchten, die Buttersäuredämpfe, die aus dem Treppenhaus in den Saal drängten, zu ignorieren. Da wurde mir klar, dass, wenn irgendwelche Bewohner dieses anarchischen Wunderlands die Grünen mit derartigem Gestank zu vertreiben suchten, an dieser Partei irgendetwas faul sein musste. Der politische Grund für den Anschlag war mir unbekannt. Wahrscheinlich war es, so dachte ich, dass diese ignoranten Grünen mitten im Komm dreist zu demonstrieren wagten, dass man selbst hier vor Lehrern und Sozialpädagogen nicht mehr sicher ist . Denn so sahen die nämlich aus.
Obwohl bekanntlich olfaktorische Reminiszenzen zu den hartnäckigsten schlechthin zählen, ist der Geruch von Buttersäure heute in meiner Erinnerung nur noch lose mit den Grünen assoziiert. Hat man nämlich den verwesenden Mäusekadaver hinter dem Kühlschrank einmal entdeckt, ist der Gestank schon viel erträglicher, als wenn er noch undefiniert durch die Küche wabert. So war das auch mit den Grünen. Spätestens mit dem Kosovo-Krieg und den Hartz-Reformen legten sie ihren strengen Geruch ab. Seither sind Buttersäureattentate auf die Grünen echt Neunziger. Zum 30. Geburtstag riechen sie genau wie die anderen Parteien. Vielleicht sogar ein bisschen besser. Nach Frosch-Waschmittel mit Aloe Vera. Oder so.
Daniel Steinmaier

Das grüne Phantom

Die »Anti-Parteien-Partei«, eher eine Bewegung, ein »gesellschaftliches Phänomen« – das alles sagte man den Grünen einst nach. Im Grunde also müssten überall welche gewesen sein. Nun, ich war dort, überall, in der Bewegung, und nicht nur in einer, in allen. Ich war Tierschützer und Umweltschützer, engagierte mich gegen Umstrukturierung (heute heißt das Gentrifizierung) und Olympia, war Friedensbewegter, Antirassist, Antifaschist, Hochschulaktivist und Hausbesetzer, kümmerte mich um Flüchtlinge und Gefangene, um Robben und die Dritte Welt, um Datenschutz und Menschenrechte, um eigentlich alles, was gut ist oder zumindest als links galt. Und ich traf sie alle: die DKPler und die RAFler, die Evangelen und die ­K-Grüppler, die Müslis und die Gewerkschafter, die Sozis und die Kommis, die ­Anarchos und die Punks, die Liberalen und die ­Libertären, die Stasis und die Bürgerrechtler, die Trotzkisten und die Leninisten, die Antideutschen und die Antiimps, die Kurden und die Katalanen, die Feministinnen und die Vegetarier, die NGO-Mitarbeiter und die Pop­linken.
Sie alle kreuzten meinen Weg in den ungezählten Tierschutzvereinen, Friedensinitiativen, Hausprojekten, Politgruppen, Bündnissen und Netzwerken, auf Koordinierungstreffen und an Infoständen, bei Demonstrationen und Aktionen, in Camps und Voküs, bei Ostermärschen und Pfingsttreffen, an der Barrikade und am Runden Tisch. Alle waren da. Oder schickten Delegierte. Hielten hier oder dort ein Transparent oder eine Rede, verteilten Flugblätter, sammelten Unterschriften oder Geld, verkauften Kaffee aus einem unterdrückten Land, bastelten Mollis oder Indianerpüppchen, wohnten im selben Haus oder hakten sich in der Demo bei mir ein.
Nur Grüne – die habe ich nirgends getroffen. Nicht einen einzigen. Ich überlege, wann ich überhaupt dem ersten Grünen leibhaftig begegnet bin. Beziehungsweise, ob überhaupt. Ja, ich frage mich, ob es überhaupt welche gibt. Jemals gab. Die Grünen: eine reine Projektion? Eine Fata Morgana? Ach nein: Einmal war ich »bei den Grünen«, genauer: bei der »Grünen Raupe«, einem Wahlkampfzirkus, der durchs Land zog, und erlebte Otto Schily am Klavier. Rio Reiser spielte dort auch. Deshalb war ich ja da. Aber der war definitiv kein Grüner. Und »Die drei Tornados«. Aber Grüne waren die auch nicht. Naja, wie gesagt, an Schily kann ich mich außerdem noch erinnern. Aber ist der ein Grüner? War er je einer? Kaum, kaum. Selbst bei der Wahlkampftournee der Grünen waren also keine Grünen. Wenn also irgendetwas sein 30jähriges Bestehen feiern kann, dann höchstens das Märchen von der Bewegungslinken, die irgendwann aufbrach, eine ­basisorientierte, der Bewegung nahe stehende Partei zu gründen. Das Märchen von den Grünen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann wählt man sie noch heute.
Ivo Bozic