»Ich denke an alle Katholiken, die sich schämen«

Der ehemalige Hitlerjunge Joseph Ratzinger und heutige Papst Benedikt XVI. will offenbar Papst Pius XII. selig sprechen, der während des National­sozialismus zum Holocaust schwieg. Die Jungle World sprach mit Amos Luzzatto, dem ehemaligen Präsidenten der jüdischen Gemeinden Italiens.

Papst Benedikt XVI. erließ kurz vor Jahresende ein Dekret, das dem ehemaligen Papst Pius XII. »heroische Tugenden« zuspricht. Offenbar soll damit die Heiligsprechung von Pius XII. vorangebracht werden, die Ratzinger 2007 noch wegen dessen Rolle in der NS-Zeit ausgesetzt hatte. Warum treibt er die Heiligsprechung von Pius XII. jetzt wieder voran?

Es ist auf alle Fälle bedeutungsvoll, dass sich Papst Benedikt XVI. gerade einige Tagen vor seinem geplanten Besuch in der römischen Synagoge am 17. Januar entschied, den Prozess der Heiligsprechung von Pius XII. wieder fortzusetzen. Dabei ist das Problem mit Papst Pius XII. überhaupt noch nicht gelöst. Man sagt, es gebe Dokumente, die die Wahrheit über ihn beweisen könnten – aber diese Dokumente sind noch immer nicht veröffentlicht.

Welche Rolle hat Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs eigentlich gespielt?

Komischerweise hat niemand die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, was im Jahr 1943 passiert ist – und das finde ich schon relevant. 1943 ist Pius XII. mit einem Fiat Topolino in den Bezirk Tiburtino gefahren, um die Familien der Opfer der Bombardierung Roms zu trösten. Verantwortlich für die Bombardierung waren die Alliierten. Im selben Jahr, als am 16. Oktober unter seinen Augen mehr als 1 000 Juden deportiert wurden, hat der Papst überhaupt nicht reagiert. Und diese Tatsache kann kein Dokument leugnen.

Vor kurzem hat der Papst in einer Rede gesagt, dass die Kirche keine Politik machen solle. Was denken Sie darüber?

Wenn der Papst sagt, »die Kirche soll mit der Politik nichts zu tun haben«, dann ist seine Rede sehr widersprüchlich, da er der Staatschef des Vatikanstaats ist. Und wenn man daran denkt, dass ein Papst Konkordate mit anderen Staaten schließt – ist das keine Politik? Das ist vielleicht eher seine Art und Weise zu sagen, »ich mache, was ich will, und ihr sollt schweigen«. Ich versuche seit langer Zeit, den Dialog mit anderen Kulturen und Religionen herzustellen. Und ich versuche das trotz allem, würde ich sagen. Die Äußerungen des Papstes sind jetzt wieder ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich um diesen Dialog bemühen. Ich denke heute an alle Katholiken, die von diesen Äußerungen verletzt wurden und die sich für sie schämen.