Reaktionen in Europa zum Anschlag auf den dänischen Karikaturisten Westergaard

Der Fluch der Turbanbombe

Nach dem Anschlag auf den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard wird in Europa wieder über die Grenzen der Meinungsfreiheit und die Verletzung religiöser Gefühle gestritten. Die politischen Reak­tionen der westlichen Öffentlichkeit bleiben dabei auffällig vorsichtig.

»Es war knapp. Wirklich knapp.« Viel mehr wollte Kurt Westergaard nicht sagen, nachdem ein islamischer Fundamentalist am Neujahrsabend mit Axt und Messer bewaffnet in sein Haus in Århus eingedrungen war. Das zum Panic Room ausgebaute Badezimmer rettete ihm wohl das Leben, wenn auch der Täter – ein Muslim mit Verbindungen zur somalischen Miliz al-Shabab und zu al-Qaida – angab, er habe den Zeichner nicht ermorden wollen. Während er mit der Axt auf die Hochsicherheitstür einschlug, soll er wirres Zeug über »Blut« und »Rache« geschrieen haben. Rache für die Mohammed-Karikaturen, die Westergaard 2005 in der konservativen dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten veröffentlicht hatte. Die Bombe unter dem Turban des Propheten ist für den 74jährigen zum Fluch geworden: Es war bereits der dritte Attentatsversuch nach zwei vereitelten Angriffen 2008 und 2009.
Die kalkulierte Provokation, die sich Westergaard zusammen mit elf anderen Zeichnern erlaubte, hat sich längst zu einer politischen und auch ganz persönlichen Tragödie ausgewachsen. In den vergangenen Jahren musste er wegen der ständigen Bedrohung mehrfach seinen Aufenthaltsort wechseln. Illusionen über eine Zukunft ohne erhöhte Vorsichtsmaßnahmen macht er sich nicht. Er habe sich damit abgefunden, so Westergaard, dass sich an diesem Zustand bis zu seinem Lebensende nichts mehr ändert.

Kurt Westergaards Werdegang ist bemerkenswert. Er war Lehrer, Leiter einer Behindertenschule, schließlich wurde er Karikaturist. Nichts deutete darauf hin, dass sich ein Mann mit einer so unspektakulären Biographie im Rentenalter zu einer internationalen Symbolfigur entwickeln sollte. Das Konstrukt »Meinungsfreiheit« gegen »Religionsfreiheit« wird im post-multikulturellen Europa zunehmend als Kulturkampf angesehen und lebt von solcher Personifizierung, wie auch der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh 2004 zeigte.
Der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen von der rechtsliberalen Partei Venstre sah daher im Anschlag »nicht nur eine Attacke auf Kurt Westergaard, sondern auch auf unsere offene Gesellschaft und Demokratie«. »Ganz Dänemark steht hinter Kurt«, bekräftigte die Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten, Helle Thorning-Schmidt. Ein Sprecher der al-Shabab-Miliz dagegen kommentierte das Attentat so: »Wir begrüßen den Vorfall, bei dem ein somalischer Moslemjunge den Teufel anfiel, der unseren Propheten Mohammed beschimpft, und wir rufen Muslime in der Welt auf, Menschen wie ihn zur Zielscheibe zu machen.«
Davon abgesehen waren politische Reaktionen, zumal verglichen mit dem eine Woche zuvor vereitelten Terroranschlag auf ein Flugzeug der North­west-Airlines, auffallend dünn gesät.
In Feuilletons und Internetforen wurde indes erbittert über Bedeutung und Grenzen der Meinungsfreiheit gestritten. Auffällig dabei war, dass Leser dieses Grundrecht in der Regel höher ansiedelten als so manche Publizisten, die zaghafte Versuche moralischer Relativierung unternahmen. Die in Århus ansässige Journalistin des britischen Guardian, Nancy Graham Holm, etwa behauptete, es gehe »zwischen Dänemark und muslimischen Extremisten« nicht vorrangig um Meinungsfreiheit: »Der Grundsatz der freien Gesellschaft ist lediglich ein Deckmantel für tiefverwurzeltes Misstrauen gegenüber Religion an sich.« Ihre Argumentation, auch »absichtliche Demü­tigung« stelle einen Akt der Aggression dar, stieß bei der Leserschaft jedoch auf Ablehnung, wie zahlreiche empörte Kommentare zeigten.

Gänzlich anders fiel die Analyse des deutschen Publizisten Henryk M. Broder aus, der gerade west­lichen Intellektuellen vorwarf, sich angesichts der zunehmenden Bedrohung durch islamische Fundamentalisten in ein »Mauseloch der Angst« zurückzuziehen. Als Gegenentwurf dazu nannte er das Bündnis deutscher Schriftsteller, Verlage, Publizisten und Politiker, das 1988 einen eigenen Verlag gründete, um Salman Rushdies »Satanische Verse« zu veröffentlichen. Broder zitiert einen der damaligen Initiatoren, Günter Grass, der jetzt erklärte: »Wir haben das Recht verloren, unter dem Dach auf freie Meinungsäußerung Schutz zu suchen.« Die gewaltsamen muslimischen Proteste gegen die erstmalige Veröffentlichung der Karikaturen hatte Grass als »fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat« bezeichnet.
Drastischer fiel das Fazit der dänischen International Free Press Society (IFPS) aus. Diese widmet sich vor allem dem Konflikt zwischen Pressefreiheit und islamischem Fundamentalismus. Nicht zuletzt die Ereignisse um die Mohammed-Karikaturen lieferten den Anlass zu ihrer Gründung. Die IFPS griff vor allem die Selbstzensur in der Berichterstattung der westlichen Medien an: »Die Sharia ist bereits in Kraft«, hieß es in einer Reaktion am Tag nach dem Attentat. »Medien, die den Cartoon zeigen, stehen nicht unter islamischem Gesetz. Alle, die es nicht tun, stehen darunter. Ein alter Däne, möge er noch so stark sein, kann die Sharia alleine nicht aufhalten.«
Die IFPS ist eine einflussreiche Organisation im überschaubaren internationalen Netzwerk der so genannten »Islamkritiker«. Auf der Website der IFPS finden sich Verweise auf den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, der nach dem Attentat auf Westergaard sofort einen »Zuwanderungsstopp für Muslime« forderte. Es wird aber auch auf die Äußerungen von Ayaan Hirsi Ali verwiesen, die aus Somalia stammt, in den Niederlanden Asyl erhielt und dort zu einer der prominentesten Kämpferinnen für Frauenrechte in islamischen Ländern wurde. Obwohl die heute in den USA lebende Hirsi Ali ebenso wie Wilders in den Niederlanden der rechtsliberalen VVD angehörte, vertritt sie bezüglich Immigration und Integration wesentlich liberalere Standpunkte. Neben Wilders und Hirsi Ali stößt man auf der Website der IFPS aber auch auf Verweise zum rechtsextremen Vlaams Belang und den »besorgten Bürgern« der Initiative Pro Köln.

Ähnlich vielfältig sind auch Reaktionen muslim­ischer Organisationen in Europa. Der dänische Dachverband Dansk Muslimsk Union distanzierte sich »in aller Deutlichkeit von dem Angriff und jeder Form von Extremismus, der zu solchen Taten führt«. Die in Kopenhagen ansässige Islamic Society, die gelegentlich mit der Muslimbruderschaft in Verbindung gebracht wird, äußerte sich dagegen vorsichtiger: »Wir haben immer bekräftigt, dass wir Gewalt in all ihren Formen ablehnen. Aber solange einige versuchen, die islam­ische Gemeinschaft zu marginalisieren und mit Ignoranz, Gewalt und Rückständigkeit zu verbinden, wird die Cartoon-Krise noch jahrelang nicht abgeschlossen sein«, drohte der Sprecher Bilal Assaad. Und fuhr fort: »Das kam nicht aus dem Nichts. Die Regierung ist immer noch unfähig, der muslimischen Minderheit mit einer fairen Politik zu begegnen.« Ins gleiche Horn stieß der Zen­tralrat der Muslime in Deutschland: »Für eine kriminelle Handlung darf es keine religiöse Entschuldigung geben«, erklärte der Vorsitzende Ayyub Axel Köhler. Das der Tat zugrunde liegende Motiv zeige aber, wie schmal der Grat zwischen Meinungsfreiheit und vermeintlicher Verletzung religiöser Gefühle sei.
Diese religiösen Gefühle haben allerdings eine eindeutig politische Dimension. Das beklagte zumindest die Berliner Soziologin Necla Kelek nach dem gescheiterten Attentat auf den Karikaturisten. Die Glaubensfreiheit der Muslime schließe keineswegs einen Schutz vor Kritik, Respektlosigkeit, Spott oder Verunglimpfung mit ein. Die Wissenschaftlerin warf dem Islam zudem vor, eine gesellschaftliche Dominanz anzustreben: »Er will Leitkultur sein und nicht nur das Leben der Muslime regeln, sondern auch bestimmen, wie sich die übrige Gesellschaft gegenüber den Muslimen zu verhalten hat.« Westlichen Gesellschaften bescheinigte sie eine Mentalität des Wegschauens: »Inzwischen scheint man in gewissen Kreisen offenbar nur noch froh darüber zu sein, dass die Bomben nicht explodieren und Dänen axtfeste Türen bauen.«
All diesen Argumenten wird man in nächster Zeit vermutlich häufiger begegnen, zumindest in den Niederlanden, wo sich Geert Wilders von der kommenden Woche an wegen des Vorwurfs der Diskriminierung und der Anstachelung zum Hass auf Muslime vor Gericht verantworten muss. Anlass dazu sind zahlreiche Äußerungen des Politikers, die mehrere muslimische Organisationen als »beleidigend« bezeichneten. Dazu gehören die Bezeichnung des Koran als »faschistisches Buch«, das mit »Mein Kampf« zu vergleichen sei, der Vorschlag, den Koran zu verbieten sowie die Forderung, die Grenzen der Niederlande für Muslime zu schließen. Auch sein 2008 veröffentlichter Film »Fitna«, der die Verbindung zwischen Koran und islamistischem Terrorismus thematisiert, wurde als als »verletzend« bezeichnet.