Das nationale Stipendienprogramm der Regierung

Die Leistungselite von morgen

Auf dem Weg zur »Bildungsrepublik« führt die schwarz-gelbe Regierung ein nationales Stipendium ein. Auch die Wirtschaft soll in die akademische Zukunft des Standorts investieren.

»Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung« seien Deutschlands »wichtigste Rohstoffe in der Globalisierung«, heißt es im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Um noch mehr »Begabungsreserven zu heben« und »Begabung und Leistung zu honorieren«, so die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Dezember 2009, wird nun ein nationales Stipendienprogramm aufgelegt. Für die Stipendiaten ist ein monatliches Budget von 300 Euro vorgesehen. Dieser Betrag soll weder auf das Einkommen noch auf das Bafög angerechnet werden. Die Hälfte müssten die Universitäten und Fachhochschulen selbst einwerben, etwa bei Unternehmen, Stiftungen und Privatpersonen. Die anderen 150 Euro übernehmen dann Bund und Länder – wie hoch der jeweilige Anteil ist, wird derzeit verhandelt. Zehn Prozent der rund zwei Millionen Studierenden sollen mittelfristig ein solches Stipendium erhalten. Die Hoffnung der Bundesregierung ist dabei vor allem, dass mehr Jugendliche ein Studium beginnen.

Schon zwei Mal hat das schwarz-gelb regierte Bundesland Nordrhein-Westfalen vergeblich versucht, ein solches nationales Stipendienprogramm mithilfe des Bundesrates einzuführen. Zuletzt konnte sich die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern am 30. März vergangenen Jahres nicht auf die Grundzüge eines bundesweiten Stipendiensystems ­einigen. Nun ist zwar klar, dass das Programm kommen wird, viele grundlegende Punkte stehen aber weiterhin nicht fest. Die Regierung möchte dennoch bereits im kommenden Wintersemester die ersten Stipendien vergeben. Wie teuer das Ganze wird, weiß niemand so genau. Das hänge unter anderem von der Entwicklung der Studentenzahl und der »genauen Ausgestaltung des Programms« ab, heißt es in der Antwort auf die Anfrage der Grünen. Erste Schätzungen ergaben, dass eine Förderung von acht Prozent der Studierenden rund 150 Millionen Euro kosten würde. Fraglich ist ebenso, wie viel jedes einzelne Bundesland bezahlen muss, wie die Stipendien auf die Universitäten verteilt werden und wie lange die staatliche Kofinanzierung dauern wird.
Zwar unterstützt der Bund jetzt schon die »leistungsfähigen Verantwortungseliten« von morgen – im Jahr 2008 zahlte er 113 200 000 Euro an zwölf sogenannte Begabtenförderungswerke. Die letzte Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks kam zu dem Ergebnis, dass davon ge­rade mal zwei Prozent der Studierenden profitieren. Komplett finanzieren kann man sein Studium mit einem Stipendium ohnehin nicht. Durchschnittlich 328 Euro monatlich erhält ein Stipendiat – weniger als die Hälfte des studentischen Budgets von 770 Euro. Die Begabtenförderungswerke vergeben die eine Hälfte der Stipendien in Deutschland, die 1 750 Stiftungen und weitere private Programme die andere.

Die Hochschulen sollen bei der Stipendienvergabe so autonom wie möglich sein. Sie entscheiden, für welche Fächer und vor allem nach welchen Kriterien die Förderung vergeben wird. Die Bundes­regierung spricht von Studienanfängern und Fortgeschrittenen, »deren bisheriger Werdegang herausragende Leistungen im Studium erwarten lässt«. Innerhalb dieser Gruppe könne dann weiter ausgesucht werden, zum Beispiel nach Mi­grationshintergrund und »sozialen Belangen«. Gesellschaftliches und politisches Engagement gehört schon heute zu den üblichen Stipendiumskriterien. Auch das Eintreiben von Drittmitteln obliegt allein den Universitäten und Fachhochschulen. Nur wenn solche Mittel vorhanden sind, stockt der Bund auf.
Dass das auch in wirtschaftlich schwachen Regionen funktioniert, zeigt das neue Stipendienmodell in Nordrhein-Westfalen. Seit diesem Wintersemester werden dort 1 400 Studenten gefördert, im nächsten Herbst kommen weitere 1 200 dazu, so das nordrhein-westfälische Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Die eine Hälfte der monatlichen 300 Euro bezahlt das Bundesland, die andere Hälfte zahlen private Spender. Allerdings gilt hier der private Teil des Stipendiums als Einkommen und wird auf die Verdiensthöchstgrenzen angerechnet, was wiederum Bafögempfänger benachteiligt. Nur 38 Prozent der Stipendien sind nicht an bestimmte Fachbereiche oder Studiengänge gebunden. Die Hochschulen wählen die Stipendiaten »nach Begabung und Leistung« aus und gestalten »gemeinsam mit den privaten Geldgebern die Details der Förderung«.
Genau diese Vermischung von wirtschaftlichen und Hochschulinteressen kritisiert nicht nur der Freie Zusammenschluss der StudentInnenschaften (FZS). »Die Bereitschaft der Wirtschaft und damit die Chancen auf ein Stipendium werden von Region zu Region und von Fach zu Fach unterschiedlich ausfallen«, befürchtet Dagmar Ziegler (SPD). Eine Unabhängigkeit von der Wirtschaft scheint auch gar nicht erwünscht zu sein. So erklärte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katherina Reiche, im Bundestag: »Stipendien der Wirtschaft müssen eine wesentliche Säule der Bestenförderung werden. Denkbar sind beispielsweise branchenspezifische Stipendien mit entsprechenden Lenkungseffekten. Wenn die Wirtschaft einen Mangel an Ingenieuren sieht, kann sie Stipendien für ingenieurwissenschaftliche Studien anbieten.«

Das Modell sei unsozial, kritisieren die Opposi­tion und Vertreter der Studierenden. Es privatisiere die Bildungschancen, meint der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ernst Dieter Rossmann. Werden Stipendien nach Leistung vergeben, bliebe es nicht nur bei den durch »ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung entstandenen unterschiedlichen Bedingungen der Einzelnen«, sondern es ginge noch ungerechter zu, so der FZS. »Bevor man die Förderung von Hochbegabten weiter ausbaut, muss erst einmal die Grundversorgung aller Studenten und Studentinnen sichergestellt werden«, sagt Vorstandsmitglied Florian Kaiser. Sogar der der Wirtschaft nahestehende Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft bedauert, dass die bisherige Stipendienpraxis vor allem »Studierende aus akademischen Besserverdiener-Haushalten« fördert. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sieht das anders, im Gespräch mit dem Spiegel fragte sie: »Was bitte ist elitär an einem Stipendienprogramm, das auf Leistung setzt und nicht auf Einkommen der Eltern oder Herkunft? Es gibt kein gerechteres Kriterium.«
Dabei müsste Schavan nur einen Blick auf eine Untersuchung werfen, die ihr Ministerium selbst in Auftrag gegeben hat. Die Ergebnisse der Erhebung »Das soziale Profil in der Begabtenförderung« zeigten 2009, dass die überwiegende Mehrzahl der Stipendiaten aus gut gebildeten Elternhäusern kommt. An der typisch deutschen Gleichung »gutsituierte Herkunft = guter Bildungsweg« werden also auch die geplanten Stipendien nichts ändern.
Die Universität Mannheim wirbt schon seit drei Jahren Drittmittel bei Absolventen, Unternehmen und Stiftungen für Stipendien ein. Die För­derung wird ausschließlich nach Leistung vergeben, im November 2009 wurden 150 Studenten als Stipendiaten ausgewählt. Für die Berücksichtigung sozialer Kriterien setzt die Universität auf einen »Ehrenkodex«: Sie fordert die ausgewählten Studierenden auf, die Auszeichnung anzunehmen, das Geld jedoch nach Möglichkeit an bedürftige Studierende weiterzureichen. »13 Stipendiaten haben sich im vergangenen Jahr hierzu entschieden«, heißt es in einer Pressemitteilung. »Ihnen gilt mein größter Respekt«, sagte Universitätsrektor Hans-Wolfgang Arndt.