Südafrikaner klagen gegen Daimler

Strafstoß gegen die Konzerne

Der Daimler-Konzern sponsort die deutsche Nationalmannschaft, belieferte aber auch das Apartheid-Regime in Südafrika. Vor einem US-Gericht wird nun geklärt, ob das Unternehmen Schadenersatz zahlen muss.

Bis zum Beginn der Fußballweltmeisterschaft sind es nur noch wenige Monate. Debattiert wird in Südafrika aber nicht nur über die Spiele und die Stadien, es geht auch um politische Fragen. Für Kontroversen sorgt vor allem der Daimler-Konzern. Bei vielen Township-Bewohnern ruft der Firmenstern dunkle Erinnerungen wach. Selbst im Apartheid Museum haben die markanten Radkappen, die den Caspir, ein berüchtigtes gepanzertes Polizeifahrzeug, zieren, noch keinen Staub angesetzt. Der Caspir ist ein Symbol für die Gewalt des Sicherheitsapparats und die Willkürherrschaft insbesondere während der achtziger Jahre.
Inzwischen sorgen die früheren Geschäftsbeziehungen des Autobauers mit dem Apartheid-Regime für juristische Auseinandersetzungen, die auch zahlreiche andere transnationale Konzerne betreffen. Konkret geht es um die Sammelklage von Apartheidopfern gegen die Profiteure und Nutznießer der Apartheid wie Daimler, Rheinmetall, Ford und IBM. Über diese Klage wird nun vor dem New Yorker Bezirksgericht verhandelt.
»Die Klage stützt sich auf den Alien Tort Claims Act in den USA«, erläutert der südafrikanische Jurist Tsepo Madlingozi. Er arbeitet für Khulumani, eine Organisation der Apartheid-Opfer mit mehr als 55 000 Mitgliedern. Khulumani ist ein Zulu-Wort und heißt »laut sprechen«. Gesprochen habe man mit den Unternehmen, sagt Madlingozi: »Khulumani hat zunächst den Dialog mit den internationalen Konzernen gesucht. Das war vergeblich.«
Bereits im Jahr 2002 hat Khulumani den Rechts­weg eingeschlagen und musste dabei zahlreiche Hindernisse überwinden. Trotz der demokratischen neuen Verfassung und zahlreicher Rechtsreformen gibt es in Südafrika kein Gesetz, das es ermöglicht, Firmen für die Unterstützung des Apartheid-Regimes zu belangen. Während die südafrikanische Regierung unter Thabo Mbeki die Entschädigungsklage gegen die Apartheid-Profiteure ablehnte, weil sie potentielle Investoren nicht abschrecken wollte, befürwortete die ANC-Regierung unter Jacob Zuma im September 2009 das Vorgehen der Kläger. Madlingozi ist Menschenrechtsaktivist und betont: »Es geht um das Recht der Opfer auf Kompensationen. Außerdem sollten die Unterstützer der Apartheid zur Rechenschaft gezogen werden.«
Ob der Alien Tort Claims Act und die US-amerikanische Justiz dazu beitragen können, ist nach wie vor fraglich. Dieses Gesetz aus dem Jahr 1789 richtete sich gegen Rechtsbrecher, die in den USA geschäftlich tätig waren, jedoch keine amerikanische Staatsbürgerschaft hatten. In den vergangenen Jahren wurde es auch angewandt, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu ahnden, in die transnationale Konzerne verwickelt waren. Das betraf sogar Verbrechen, die außerhalb der USA begangen wurden. So diente es 2001 als Grundlage für ein Gerichtsverfahren zur Entschädigung von Holocaust-Opfern. Allerdings wurde die Klage gegen IBM damals abgewiesen.
Unter Präsident George W. Bush zog sich die Zulassung der Klage von Khulumani jahrelang hin, erst nach der Amtsübernahme von Barack Obama schwanden die politischen Vorbehalte der US-Regierung. Doch hält die deutsche Regierung am Widerstand gegen das Verfahren fest. Bereits die rot-grüne Regierung hatte die Klage gegen deutsche Konzerne als Einmischung in die nationale Souveränität angeprangert. Auf eine kleine Anfrage der Grünen reagierte die derzeitige Bundesregierung in der vergangenen Woche mit dem Hinweis, die Klage gefährde den internationalen Handel und die deutsche Gerichtshoheit. »Die Klage richtet sich gegen einzelne Konzerne, nicht gegen die deutsche Bundesregierung«, stellt Madlingozi klar.
Dennoch verzögern die Vorbehalte der Bundesregierung und zahlreiche weitere Einsprüche das Verfahren. Außerdem muss die Berufungsinstanz noch darüber entscheiden, ob Unternehmen für Verstöße gegen das internationale Recht haftbar gemacht werden können. Diese Entscheidung wird in den kommenden Wochen erwartet – noch vor dem Beginn der Fußballweltmeisterschaft.

Tsepo Madlingozi weiß, dass die Zeit drängt. »Viele Apartheid-Opfer sind alt und haben schwere Verletzungen erlitten, die nie behandelt wurden. Zahllose überlebten die willkürlichen Verhaftungen und Folterungen nur als Schwerbehinderte. Manche haben sogar noch Munitionsreste aus Polizeigewehren in ihren Körpern. Sie werden bald sterben.« Die meisten Opfer der Apartheid leben in bitterer Armut. Dennoch geht es ihnen keineswegs nur um finanzielle Entschädigungen, sondern auch um die Bestrafung der Verantwortlichen und derjenigen, die das System aufrecht erhielten.
Khulumani ordnet die Reparationsforderungen in einen größeren Kontext ein, die Organisation fordert die Öffnung der Unternehmensarchive und eine Rechenschaftspflicht international tätiger Konzerne. Falls diese auf dem Rechtsweg zu Entschädigungszahlungen verpflichtet werden, soll das Geld den einzelnen Opfern und den Gemeinden zugute kommen, in denen sie leben. Zudem sollen Gedenkstätten und Erinnerungsprojekte damit finanziert werden. Denn es soll nicht in Vergessenheit geraten, dass die politische Wende am Kap nur möglich war, weil Hunderttausende politischer Aktivistinnen und Aktivisten ihr Leben für ein freies Südafrika riskierten. Mit viel Mut protestierten sie jahrzehntelang gegen das weiße Unrechtssystem. Tsepo Madlingozi sagt: »Umso wichtiger ist es, dass ihre Forderungen endlich Gehör finden.«
Khulumani beruft sich auf die internationale Verurteilung der weißen Gewaltherrschaft. Seit 1966 hatten die Vereinten Nationen die Apartheid wiederholt als »Verbrechen gegen die Menschheit« angeprangert und im November 1977 ein verpflichtendes Rüstungsembargo erlassen. Seit 1986 galten Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika. Trotzdem lieferte Daimler ab 1978 Unimogs nach Südafrika, die das Militär umbaute und für seine Zwecke nutzte. Zu den Vorwürfen gegen Daimler zählt auch die Lizenzvergabe für die Dieselmotorproduktion an die südafrikanische Firma Atlantis Diesel Engines, die sowohl Panzer als auch Truppentransporter und gepanzerte Fahrzeuge mit ihren Motoren ausstattete. Auf diese Weise habe sich der Konzern als Helfershelfer eines Unrechtssystems betätigt. Konzernvertreter weisen die Vorwürfe zurück und betonen, die Lieferungen seien von der damaligen Bundesregierung genehmigt worden.

Falls die Klage erfolgreich ist, würde das einen Präzedenzfall schaffen. »Erstmals würden international tätige Unternehmen für Geschäfte mit Diktaturen zur Rechenschaft gezogen«, sagt Madlingozi.
Am 21. März wird in ganz Südafrika der Opfer des Apartheid-Regimes gedacht. Dann jährt sich der Tag des Sharpeville-Massakers zum 50. Mal. Während einer friedlichen Demonstration gegen die Passgesetze, an der sich 6 000 bis 7 000 Menschen beteiligten, erschoss die Polizei 69 fliehende Menschen. Unter ihnen waren acht Frauen und zehn Kinder. 180 Demonstranten wurden zum Teil schwer verletzt. Kein Demonstrant war bewaffnet, dennoch habe sich die Polizei bedroht gefühlt, wie es anschließend hieß.
Zehn Tage später rief die Regierung den Ausnahmezustand aus und ließ über 18 000 Menschen verhaften. Die Widerstandsorganisationen African National Congress (ANC) und Pan African Congress (PAC) wurden verboten. Der ANC entschloss sich, vom gewaltfreien Widerstand zu gezielten Sabotage- und Gewaltakten überzugehen, da unter dem Apartheid-Regime offensichtlich keine friedliche Reformpolitik möglich war.
Seit 1994 wird an das Massaker von Sharpeville und die damit verknüpfte politische Zäsur erinnert. Sharpeville steht symbolisch für die Gewalt, die der Sicherheitsapparat des Apartheid-Regimes auch in den folgenden Jahrzehnten anwendete. Bereits 1966 erklärten die Vereinten Nationen den 21. März zum internationalen Tag gegen Rassismus. In Südafrika ist der 21. März zudem nationaler Menschenrechtstag. Khulumani will diesen Tag für die Aufarbeitung der Vergangenheit nutzen, um neue Gewalt zu verhindern.
Auch die Wahrheits- und Versöhnungskommission begann die Aufdeckung der schweren Menschenrechtsverletzungen während der Apartheid mit dem Sharpeville-Massaker. Als Endpunkt des Untersuchungszeitraums legte sie das Datum der ersten demokratischen Wahlen am 27. April 1994 fest. Zwar konnte die Kommission Empfehlungen für die Entschädigung der Opfer aussprechen, die ANC-Regierung gewährte ihnen jedoch nur eine einmalige kleine Abschlagszahlung. Ihr fehlte das Geld, schließlich musste sie die hohen Auslandsschulden von mindestens 25,7 Milliarden Dollar abzahlen, die das Apartheid-Regime hinterlassen hatte. Anders als dem Irak nach dem Sturz Saddam Husseins erließen die internationalen Kreditgeber der neuen Regierung Südafrikas nicht die geerbte Schuldenlast.

Viele deutsche Politiker flogen nach der politischen Wende 1994 nach Südafrika zum Foto-Shooting mit Nelson Mandela, den einige von ihnen in den achtziger Jahren noch als kommunistischen Terroristen bezeichnet hatten. Über die Gewährung von Hermes-Bürgschaften war auch die damalige Bundesregierung am Handel mit dem Apartheid-Regime beteiligt. Desmond Tutu, anglikanischer Erzbischof, Friedensnobelpreisträger und früherer Vorsitzende der Wahrheits- und Versöhnungskommission, äußerte sich schon vor Jahren zur Verantwortung internationaler Konzerne: »Sie müssen zahlen, sie können sich das leisten. Und sie sollten es mit Würde tun. Dies wird Konzernen einen Anreiz bieten, künftig Geschäftspartner vorzuziehen, die eine bessere Menschenrechtsbilanz haben.«
Ein Motto der Fußballweltmeisterschaft lautet: »Afrikas Menschlichkeit zelebrieren«. Das könnten auch Konzernvertreter und Politiker ernst nehmen und entsprechend handeln. Gerade in den kommenden Wochen können sie konkret beweisen, wie weit ihre Südafrika-Euphorie reicht.