Bei den Wahlen im Irak haben die Islamisten verloren

Demokratie ist machbar, Herr Nachbar

Wer die nächste irakische Regierung führen wird, ist noch unklar, doch die Verlierer der Wahlen stehen bereits fest. Religiöse und vom Iran unterstützte Parteien unterlagen.

Während im Irak noch immer Stimmen ausgezählt werden und mal die Allianz für Rechtsstaatlichkeit von Premierminister Nuri al-Maliki, mal die Liste Iraqiyya von Iyad Allawi vorne liegt, stehen die Verlierer bereits fest. Und womöglich ist es langfristig für den Irak sogar bedeutender, wer diese Wahl verloren hat, und nicht, wer sie gewinnt.
Denn mit ihrem Abstimmungsverhalten haben die Irakis recht deutlich gezeigt, was und wen sie künftig nicht wollen. Verloren haben nämlich vor allem Parteien und Gruppierungen, die entweder dem Iran oder al-Qaida nahe stehen. Weiterhin mussten all jene Verluste hinnehmen, die mit einem betont religiösen oder sektiererischen Programm antraten. Gewonnen dagegen haben Parteien, die mit einer gesamtirakischen Agenda in den Wahlkampf gezogen sind.
So wird die Irakische Nationale Allianz, ein Zusammenschluss aus verschiedenen schiitischen Parteien, der von den Sadristen, den Anhängern des islamistischen ehemaligen Milizenführers Muqtada al-Sadr, und dem Hohen Islamischen Rat (ISCII) geführt wird, wohl nur noch den dritten Platz erreichen. Beobachter hatten dieser Allianz gute Chancen eingeräumt, die Wahl sogar zu gewinnen, gerade auch weil sie sich logistischer und finanzieller Unterstützung aus dem Iran erfreuen konnte.

Mit Enttäuschung, ja Entsetzen dürften die iranischen Machthaber allerdings die Wahlen im Irak verfolgt haben. Die Glaubensbrüder in den heiligen Stätten der Shia stimmten dort frei und unter internationaler Aufsicht über eine Regierung ab, die, wie immer sie am Ende aussehen wird, die Legitimität der »Islamischen Republik Iran« weiter untergraben dürfte. Denn mehrheitlich haben die Schiiten im Irak auch gegen die khomeinistische Form von Herrschaft gestimmt.
Im Irak ist es Klerikern untersagt, sich an der Regierung zu beteiligen. Während es seit Jahren heißt, der wirkliche Gewinner des Irak-Krieges sei der Iran, dürfte das Gegenteil weit eher der Fall sein. Sollte sich der Irak unter einer schiitischen Mehrheit weiter stabilisieren und auch nach dem Abzug der Amerikaner an den demokratischen Errungenschaften festhalten, wird dieses Modell für viele Iraner mehr Attraktivität gewinnen. So erklärte etwa ein aktives Mitglied des »Green Movement«, was da im Irak geschehe, sei genau das, was man auf den Straßen Teherans fordere. Freie Wahlen sind kein Traum mehr, sondern die Realität im Nachbarland geworden.
Auch der zweite Verlierer steht schon fest. In den sunnitischen Gebieten des Irak erhielt die Islamische Partei so wenige Stimmen, dass sie fortan kaum noch Einfluss auf die Politik des Landes ausüben dürfte. Stattdessen wählte man in jenen Provinzen, die bis vor wenigen Jahren Hochburgen des »Widerstands« waren, mehrheitlich die von Iyad Allawi geführte Liste Iraqiyya, die die Einheit des Landes betont und sich nicht religiös gibt.

Während im Jahr 2005 die Sunniten die Wahlen noch mehrheitlich boykottiert hatten, entschieden sie sich nun, sehr zum Erstaunen vieler Nahost-Experten, einer Partei ihre Stimme zu geben, die weder antiamerikanisch noch sonderlich religiös ist. Iyad Allawi macht aus seinen guten Kontakten in die USA keinen Hehl. Die aus Stammesführern, reaktionären Klerikern, ehemaligen »Widerstandskämpfern« und ähnlichen Personen zusammengesetzte Islamische Partei profitierte noch von der Unterstützung des beliebten irakischen Vizepräsidenten Tarik al-Hashemi, der allerdings vor kurzem die Seiten gewechselt und sich Allawi angeschlossen hatte.
Zu den Verlierern der Wahl zählen auch all jene Analysten und Experten, die unermüdlich erklärt haben, Wahlen im Nahen Osten entsprächen nicht der dortigen Kultur und stärkten nur den radikalen Islam. Deshalb seien alle Demokratisierungsexperimente ein westlicher Import und zum Scheitern verurteilt. Einmal mehr hat sich das Gegenteil als richtig erwiesen, wie zuvor in Kuwait, Jordanien oder in Pakistan haben die Islamisten herbe Verluste erlitten. Bereits in den Umfragen vor der Wahl zeichnete dieser Trend sich ab. Unzählige Irakis aus allen Landesteilen sagten, sie hätten genug von Gewalt und Terror, man wolle eine Regierung, die sich der wirklichen Probleme des Landes annehme. Die Zeit der großen Ideologen und Ideologien, ob panarabisch, nationalistisch oder islamistisch, ist zumindest vorläufig vorbei.

Gewonnen im Irak habe vor allem, so Andrew Lee Butters im Time Magazine, die Demokratie selbst. Am Wahltag fielen 138 Menschen den Anschlägen von al-Qaida zum Opfer. Das Terrornetzwerk hatte angekündigt, jeden töten zu wollen, der wählen gehe. Doch war selbst dort, wo die Attentate stattfanden, die Wahlbeteiligung relativ hoch; landesweit lag sie über 60 Prozent. Fast euphorisch berichteten denn auch Journalisten und Wahlbeobachter, selbst in Zeitungen, die eher für ihre Kritik am Militäreinsatz der USA im Irak bekannt sind, und sogar in vielen deutschen Medien.
Dennoch sollte man nicht vergessen, dass fast 20 Prozent der Wähler ihre Stimme islamistischen Parteien gegeben haben. Vor allem in einigen südlichen Provinzen schnitten die Sadristen offenbar überdurchschnittlich gut ab, während in einigen Gebieten des kurdischen Nord­irak die Islamisten Stimmen hinzugewinnen konnten.
Die nächste Regierung kann nicht ohne langwierige Verhandlungen gebildet werden. Denn so viel ist klar, keine Liste hat genug Stimmen bekommen, um ohne Koalitionspartner auszukommen. Wie immer nun die neue Koalition aussehen wird, sie wird zumindest eine wichtige Fraktion von der Regierung ausschließen. Die in der Kurdistani List zusammengeschlossenen großen kurdischen Parteien etwa haben sich bislang noch auf keinen Bündnispartner festgelegt. Theoretisch könnten sie mit jeder der anderen Listen zusammenarbeiten, solange ihre Forderungen berücksichtigt werden. Zudem steht ihnen mit der Oppositionsbewegung Goran, die in Suleymaniah wohl die Wahl gewonnen hat, ein ernsthafter Konkurrent gegenüber, der fortan ebenfalls im irakischen Parlament vertreten sein wird.
Sieben Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins, nach Jahren des Terrors und bürgerkriegsähnlicher Zustände, hat sich der Irak grundlegend verändert. Mit dem beginnenden Abzug amerikanischer Truppen schwindet dieses Jahr auch der Einfluss der US-Regierung auf die irakische Innenpolitik. Von der neuen Regierung fordern die Wähler, dass sie Arbeitsplätze schafft und die Infrastruktur verbessert, doch muss sie auch die Errungenschaften bewahren.
Denn erst bei den kommenden Wahlen wird sich zeigen, ob demokratische Strukturen im Irak inzwischen festgefügt sind. Diesmal haben sich die Türkei und Saudi-Arabien weitgehend aus dem Wahlkampf herausgehalten, doch keines der Nachbarländer hat irgendein Interesse am Fortbestand eines freien und föderalen Irak. Es ist auch nicht sicher, dass sich alle politischen Organisationen an die demokratischen Regeln halten werden, wenn keine amerikanischen Truppen mehr im Land stationiert sind.