Leipzig oder Halle? In welcher Stadt lebt man besser? Klein, aber fein. Halle

In Leipzig lebt nur der Größenwahn gut

An der Saale hellem Strande trifft man seine Freunde noch beim Bäcker und nicht bei Facebook. Und spielt zudem eine ganze Klasse höher.

Halle oder Leipzig? Ähm, ist die Frage ernst gemeint? Nur zur Erinnerung: Der HFC kickt in der Regionalliga, während sich die glorreichen Drei aus Leipzig – Rasen-Ballsport aka Red Bull, Sachsen und Lokomotive – in den Tiefen der 5. Liga herumdrücken. Fußballfans können jetzt wegschalten, der Rest begleitet mich auf meinen streng subjektiven Streifzügen durch Geschichte, Kultur, Geografie und Mentalität der mitteldeutschen Metropolen.
Fangen wir bei so etwas Banalem wie der Lage an. Leipzig ist (der Zwang des Journalisten zum Synonym) die »Pleißestadt«. Halle hingegen liegt »an der Saale hellem Strande«, wo auch Joseph von Eichendorff »oft gestanden« hat, um immer wieder entzückt auszurufen: »Es blühten Täler und Höhn/Und seitdem in allen Landen/Sah ich nimmer die Welt so schön!« Oder anders: On the one hand: die Pleiße. On the other hand: die schönste aller Welten. Any questions?
Und noch ein bisschen Hochkultur. Während Georg Friedrich Händel seine Geburtsstadt Halle fluchtartig verließ, sobald es irgend möglich war, mühte sich Johann Sebastian Bach von 1723 bis zu seinem Tod im Jahr 1750 in Leipzig ab. Aber Halle nennt sich »Händelstadt«. Und »Bachstadt«? Ist Köthen. Von PR haben sie an der Pleiße offenbar genau so wenig Ahnung wie von Fußball.
Nehmen wir andere Attribute. »Messestadt«: Die »Games Convention« ist nicht aus Halle weggerannt. Sondern? Sie ahnen es: aus Leipzig. »Sportstadt«: Wer unterlag mit einem Cellisten als Oberbürgermeister beim Wettbewerb um die Olympischen Spiele 2012? Right, auch das war Leipzig. »Heldenstadt«: Wer Kurt Masur zum Helden macht, hat es sowieso nicht verdient, mehr als nur die größte ostdeutsche Stadt zu sein.

Halle hält mit Margot Honecker und Peter Sodann außerdem locker dagegen und erhöht noch auf Hans-Dietrich Genscher. Leipzigs Alternativen müssen wir leider abbügeln. Richard Wagner? Antisemit. Karl Liebknecht? Linksrevolutionär. Nikolaus Pevsner? Kennt keine Sau.
Wandern wir zu einer anderen Baustelle weiter. Dass die »Vergleichsmiete in Euro je Quadratmeter« in Halle knappe 50 Cent über dem Wert von Leipzig liegt, hat sicher nichts mit dem ausgeprägten Geschäftssinn der Menschen von der Saale (s.o.) zu tun. Vielmehr ist das Wohnen in der kleineren Stadt (kleiner, nicht klein!) schlicht und ergreifend attraktiver. Der Weg zur Universität ist kurz, noch näher liegt nur die nächste Kneipe. Freunde trifft man zufällig beim Bäcker um die Ecke und nicht bei Facebook. Ein langjähriger Lokaljournalist bezeichnete diese Konstellation vor einiger Zeit treffend als »übersichtlich, aber nicht kleinkariert«.
Und das ist vielleicht das größte Plus von Halle: Die Stadt ist absolut unhip. Hier spreizt sich niemand (na gut: kaum jemand) in der Sonne cooler Extrovertiertheit. Oder anders ausgedrückt: Hallenser vergleichen sich nicht. Berlin, Hamburg und München sind so weit weg wie Krasnojarsk und Kuala Lumpur. Die einen nennen das Provinzialität, die anderen (wir) Selbstbewusstsein.
Der Ein-bisschen-Leipziger Johann Wolfgang Goethe hat das im sechsten Buch von »Dichtung und Wahrheit« unfreiwillig auf den Punkt gebracht: »In … Halle war die Rohheit aufs höchste gestiegen. Dagegen konnte in Leipzig ein Student kaum anders als galant sein, sobald er mit reichen, wohl und genau gesitteten Einwohnern in einigem Bezug stehen wollte.« Galant, reich, wohl und genau gesittet – oh, Mann, man möchte schreiend weglaufen.

Halle als »roh« zu bezeichnen, ist durchaus gerechtfertigt. Die Bewohner der Stadt können ihren Charme gemeinhin gut verbergen – getreu dem Motto: »Ich muss ja nicht jeden Leipziger umarmen.« Dieses unvermittelt Mufflige kann auf »Ich-bin-keine-Insel-sondern-eine-City«-Freaks abschreckend wirken. Soll es auch. Franckesche Stiftungen (größtes Fachwerk-Ensemble Europas), Leopoldina (Deutsche Akademie der Naturforscher) sowie Schmücke und Schneider (Polizeiruf 110): Wem sollen wir noch etwas beweisen?
Diese ruhige Variante mitteldeutsch-proletarischen Stolzes bewahrte Halle bisher auch vor Größenwahn. Mit dem Geld, das zwei Ex-Manager der Leipziger Wasserwerke offenbar bei undurchsichtigen Deals verzockt haben – im Gespräch sind Forderungen bis zu 290 Millionen Euro –, hätte Halle nicht nur seinen kompletten Haushalt sanieren, sondern außerdem allen Bedürftigen goldene Wasserhähne spendieren können.
Kurz: Es mag sein, dass Leipzig von seinen Bewohnern geliebt wird. Halle aber liebt umgekehrt auch seine Bewohner. Leipzig ist also eine gute Stadt, Halle, nun ja, ist eine Weltanschauung.

Der Autor ist Redaktionsleiter des Hallenser Stadtmagazins »aha – alles halle« und von mz-web.de, dem Portal der »Mitteldeutschen Zeitung«.