Lidl arbeitet am sozialen Image des Unternehmens

Hart, aber fair

Nach einer Zivilklage hat die Supermarktkette Lidl ihr Werbeversprechen zurückgezogen, sie setze sich für faire Arbeitsbedingungen ein. Aber klare Produktinformationen kommen nicht ins Angebot. Die findet man dagegen in einer Studie über die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferfirmen Lidls.

Fair Trade hat es vom Stand in der Fußgängerzone in die Discounter geschafft. Unter der Ansage »Wir handeln fair!« behauptete Lidl zu Anfang des Jahres in Prospekten: »Lidl setzt sich weltweit für faire Arbeitsbedingungen ein. Wir bei Lidl vergeben deshalb unsere Non-Food-Aufträge nur an ausgewählte Lieferanten und Produzenten.« Als Beleg führte Lidl seine Mitgliedschaft in der Business Social Compliance Initiative (BSCI) an. Dies ist ein Unternehmensverband, der sich angeblich für Sozialstandards einsetzen will. Ein ernsthaftes Engagement dafür, die Arbeitsbedingungen zu überprüfen oder die Betroffenen bei der Wahrnehmung von Rechten, etwa der kollektiven Interessenvertretung, zu unterstützen, kann der Verband allerdings nicht vorweisen. Die Verbraucherzentrale Hamburg klagte deshalb zusammen mit dem European Center for Constitutional and Human Rights und der Kampagne für Saubere Kleidung (CCC) wegen unlauteren Wettbewerbs. In der Studie »Die Schönfärberei der Discounter« belegen sie, dass die Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern für Lidl in Bangladesch unmenschlich sind. Die Werbung Lidls erwecke jedoch den Eindruck, dass Sozialstandards eingehalten würden, was die Verbraucher täusche. Lidl unterschrieb Ende April eine Unterlassungserklärung und stampfte die Werbeprospekte ein.

Die Auseinandersetzung verdeutlicht das Problem von Unternehmen, einerseits billig, andererseits aber umwelt- und sozialverträglich zu produzieren. So hätte es der Konsument von heute gerne. Die meisten Unternehmen reklamieren nur die Einhaltung von Minimalstandards. Andere versuchen, das Problem über ihre Marketingabteilung zu lösen. »Greenwashing« nennt man zum Beispiel die Politik, sich ein ökologisches Image zu geben. So wirbt ein »grüner Riese« inmitten von Bergen und Wiesen in einem Werbespot für den Energiekonzern RWE, obwohl dieser nur zu einem verschwindend kleinen Anteil regenerative Energiequellen nutzt. Und McDonald’s stellt derzeit in Europa die Firmenfarbe von rot auf grün um – natürlich als Bekenntnis zur Umwelt. Entsprechend kommt nun der Begriff des »social washing« für eine aufs Image beschränkte »soziale Unternehmenspolitik« hinzu. Bei Lidl war der Druck, soziale Verantwortung zu zeigen, wegen Negativschlagzeilen gestiegen: Verhinderung von Betriebsräten, Überwachung der Mitarbeiter, schlechte Bezahlung oder Niedrigstlöhne am Anfang der Produktionskette. Der Konzern reagierte mit einer Mischung aus Zugeständnissen und positiver Außendarstellung.
Nun mag eine »soziale« Unternehmenspolitik so etwas wie die Quadratur des Kreises sein. Der Begriff »fair« ist jedenfalls geeignet, dieses gewagte Versprechen plausibel zu machen, weil sich Fairness stets nur auf die vorgefundenen Spielregeln bezieht. Das Konkurrenzprinzip wird damit also nicht in Frage gestellt. Ein Blick auf die realen Arbeitsbedingungen bleibt jedoch unumgänglich. Der Ausflug in den Lidl-Markt ist da nur ein Beispiel. Dort kommt man auch mit wenig Geld zum Poloshirt für das Kind – für 2,99 Euro. In braun und rosa werben Brüderlein und Schwesterlein auf einem Baumstamm sitzend: »Für jeden Spaß zu haben!« Von der heilen Kleiderwelt hierzulande ist das andere Ende der Produktionskette aber weit entfernt. Viele Textilien stammen aus der Niedriglohnproduktion in Süd- oder Südostasien, wo für etwa einen Euro die Stunde gearbeitet wird.

Während Lidl sich mit seiner Mitgliedschaft in der BSCI, deren Beratungsunternehmen in einigen Zulieferfirmen in Bangladesch Schulungen über Sozialstandards anboten, als Mitstreiter für die Einhaltung solcher Standards präsentierte, drückte der Konzern weiter die Einkaufspreise. Die Kampagne für Saubere Kleidung beauftragte die Nichtregierungsorganisation Alternative Movement for Ressources and Freedom Society damit, Recherchen unter den Arbeitern, vorwiegend Frauen, bei vier repräsentativen Zulieferfirmen in Bangladesch durchzuführen. Diese Firmen – Continental Garments, Newtex Design, Anika Apparels und Alauddin Garments – waren »Musterunternehmen«, die bereits in den Genuss der BSCI-Trainingsprogramme gekommen waren.
Der »Kodex« der BSCI mahnt zum Beispiel in Übereinstimmung mit den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation der Uno an, dass eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht regelmäßig überschritten werden darf. Dazu dürfen maximal zwölf freiwillige Überstunden kommen, ein Tag pro Woche muss arbeitsfrei sein. In den vier untersuchten Unternehmen wurde größtenteils gegen all diese Vorgaben verstoßen. Bei Continental Garments gaben alle Befragten an, dass sie über Monate hinweg über 60 Stunden in der Woche arbeiten müssten. Kurz vor Ablauf von Lieferfristen könnten es gar 14 Arbeitsstunden täglich sein. Die meisten Firmenarbeiter gaben an, eine Siebentagewoche zu haben und unfreiwillig Nachtschichten zu leisten. Das Management würde regelmäßig zu viele und zu große Aufträge annehmen. Die Überstunden würden in der Regel abends spontan angeordnet und gälten als verpflichtend. Eine Näherin schilderte ihre Situation so: »Ich verdiene (umgerechnet) 24 Euro (im Monat). Mit diesem Gehalt kann ich meine monatlichen Ausgaben nicht begleichen. Ich komme normalerweise gegen 22.15 Uhr nach Hause. In der Fabrik werden wir mit Arbeit zugeschüttet. Wir bekommen kein Trinkwasser und dürfen nicht auf die Toilette gehen.«

Jede Widerrede bringe Beschimpfungen, Verwarnungen und Strafen mit sich, berichten die Befragten. Den Arbeitern würden geleistete Arbeitsstunden gestrichen, Beleidigungen bis hin zu Schlägen ins Gesicht könnten folgen. Frauen berichten von Entlassungsdrohungen, Lohnabzügen, physischen und psychischen Misshandlungen und sexuellen Übergriffen durch die direkten Vorgesetzten oder die Betriebsleiter. Bei Anika Apparels Beschäftigte berichten, dass die Produktionsleiter bei Fehlern oder Forderungen Ohrfeigen verteilen würden. Schwangere würden aufgefordert, zu kündigen, wenn die Leistung nachlasse oder sie einen Tag krank seien. Ein Recht auf gewerkschaftliche Organisierung gebe es in den Betrieben nicht. Organisierungswillige Arbeiter müssten Entlassungen und Schlägertrupps fürchten. Bei Newtex Design wiederum forderte im Januar 2009 eine Gruppe von Arbeitern die Einhaltung grundlegender Rechte ein. Daraufhin wurden mindestens 15 von ihnen entlassen und nicht ausbezahlt. Im Mai kam es zu einer zweiten Initiative, die 20 Entlassungen, erneut ohne Lohnauszahlung, zur Folge hatte. Ein Beschäftigter kommentiert: »Wir können zu keinem Zeitpunkt unsere Meinung äußern.«
Vom Genuss akzeptabler Sozialstandards sind diese Arbeiter der Textilindustrie weit entfernt. Die CCC-Studie bilanziert, dass keine der untersuchten Firmen die Standards einhalte. Mit höheren Preisen alleine wäre den Angestellten in diesen Schwitzbuden kaum geholfen – politische Unterstützung für eine kollektive Interessenvertretung ist unerlässlich. Lidl bessert nun zumindest das Marketing nach und reklamiert Fairness nicht mehr allgemein, sondern nur noch für ausgewählte Produkte: »Lidl führt Fair­trade-Artikel«. Aufs Ganze geht man jetzt mit einem anderen bewährten Begriff: »Nachhaltigkeit hat seit vielen Jahren für Lidl einen hohen Stellenwert.« Stimmt. Nachhaltig ausgebeutet werden viele.