Der Afrika-Frankreich-Gipfel

Der afrikanische Gast

Frankreich will seine Wirtschaftspräsenz in den ehemaligen afrikanischen Kolonien stärken. Darüber wurde auf dem Afrika-Frankreich-Gipfel in Nizza diskutiert. Afrikanische NGO und französische Sans Papiers versuchten, mit einem Gegengipfel und einem Fußmarsch von Paris nach Nizza auch auf andere Themen aufmerksam zu machen.

»Alles muss sich ändern, damit es bleibt, wie es ist.« Diese Sottise, die einst der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa formulierte, gilt auch für die Beziehungen ­zwischen Frankreich und den Staaten des afrikanischen Kontinents. Der Afrika-Frankreich-Gipfel, der am Montag und Dienstag zum 25. Mal stattfand und in Nizza tagte, lieferte mehrere ­Beweise dafür.
Alle afrikanischen Staaten waren beim Gipfel vertreten, nicht nur die Länder der früheren kolonialen Einflusszone Frankreichs, sondern auch jene des englisch- und des portugiesischsprachigen Afrika, mit zwei Ausnahmen. Zimbabwe blieb ihm fern, weil sein Präsident Robert Mugabe zur unerwünschten Person erklärt wurde und in der Europäischen Union einem Einreiseverbot unterliegt. Madagaskar war auch nicht vertreten, weil sich das Land derzeit in einer tiefen Staatskrise befindet.
Der diesjährige Gipfel zog mehr hochrangige Repräsentanten denn je an. Erstmals seit dem Völkermord in Ruanda, an dem Frankreich auf der Seite des alten, im Juli 1994 gestürzten Regimes mitgewirkt hatte, war auch die amtierende ruandische Führung in Nizza vertreten. Staatspräsident Paul Kagamé hatte noch vor wenigen Jahren den Gipfel als »neokoloniale Maskerade« bezeichnet. Damit kann die seit dem Besuch von Präsident Nicolas Sarkozy in Ruanda im Februar beschlossene offizielle »Aussöhnung« als endgültig besiegelt gelten. Diese soll aus französischer Perspektive dazu führen, dass aus Ruanda keine deutlichen Vorwürfe mehr im Hinblick auf Frankreichs Rolle beim Genozid von 1994 formuliert werden. Kagamés Anreise nach Nizza war ein wichtiger symbolischer und politischer Sieg für Frankreich.

Der Gipfel von Nizza war der erste seiner Art seit dreieinhalb Jahren – der vorige fand im Februar 2007 in Cannes statt – und fiel zusammen mit den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit von 14 afrikanischen ehemaligen französischen Kolonien, die alle im Jahr 1960 ihre formelle Souveränität erlangten. Es sei schon bizarr, dass dieser Geburtstag in Frankreich stärker begangen werde als in den früher kolonisierten Ländern, merkten afrikanische Oppositionelle und Intellektuelle in den vergangenen Tagen an. Tatsächlich wurde in Frankreich Anfang des Jahres mit großem Getöse ein Festkomitee eingesetzt, das vom früheren Justizminister Jacques Toubon geleitet wird.
Toubon ist eine Schlüsselfigur der Françafrique, der neokolonialen Afrika-Politik Frankreichs. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung von Diktaturen, deren Führungspersonal von Frankreich ausgewählt und ausgerüstet wurde, um eine indirekte Kontrolle vor allem über rohstoffreiche Länder aufrecht zu erhalten. Im Jahr 1997 kehrte der fünf Jahre zuvor demokratisch abgewählte ehemalige Autokrat der erdölreichen Republik Congo-Brazzaville, Denis Sassou-Ngessou, durch einen äußerst blutigen Putsch an die Macht zurück.
Dass Frankreich und vor allem dessen führender Ölkonzern Elf – der inzwischen ein Teil des Konzerns Total ist – ihn dabei ausgerüstet hatten, ist kein Geheimnis. Im Jahr 2002 ließ Sassou-Ngessou sich bei Wahlen, die allgemein als manipuliert betrachtet wurden, im Amt bestätigen. Toubon und sein Parteifreund Patrick Gaubert reisten als Wahlbeobachter in das Land. Dort mussten die internationalen Beobachter feststellen, dass in vielen Wahlbüros die Urnen nicht verschlossen waren. Toubon kommentierte trocken, es sei nun einmal »hierzulande schwieriger, ein Vorhängeschloss zu finden, als in einem Pariser Kaufhaus«, und bestätigte dem Regime, die Wahlen seien korrekt verlaufen.
Der Afrika-Frankreich-Gipfel stand dieses Jahr im Zeichen der Wirtschaft. Erstmals nahmen hochrangige Wirtschaftsdelegationen daran teil: 80 Unternehmensführer aus Frankreich und 150 aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Diskutiert wurde unter anderem über eine »Charta«, einen Ehrenkodex für die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards durch Unternehmen, die in Afrika tätig sind. Dabei handelt es sich freilich um einen Propagandaga der französischen Industrie, die das Dokument selbst verfasst hat.
Seit Jahren stehen französische Firmen mit Niederlassungen in afrikanischen Ländern in der Kritik. Dem Konzern Total wird massive Umweltzerstörung in Nigeria vorgeworfen, der französische Holzkonzern Rougier wird für den Kahlschlag in Kamerun und zum Teil in Gabun verantwortlich gemacht, der Transportkonzern Bolloré wird wegen seiner monopolistischen Politik in allen westafrikanischen Häfen kritisiert.

Doch einige Änderungen sind tatsächlich zu verzeichnen. Seit 2002 etwa macht die internationale NGO-Kampagne »Publish what you pay« Druck auf internationale Konzerne. Sie möchte Firmen mit Niederlassungen in afrikanischen Ländern, wie zum Beispiel Ölkonzerne, dazu zwingen, die von ihnen an örtliche Regimes bezahlten Summen offen zu legen. Einerseits will man dadurch vermeiden, dass im Zusammenspiel zwischen korrupten Diktaturen und den Konzernen zu niedrige Rohstoffpreise berechnet werden, wie es jahrzehntelang in fast allen Erdölstaaten des Kontinents der Fall war. Andererseits soll der Verwendung der Einnahmen innerhalb der Länder nachgespürt werden.
Brice Makosso, der vorige Woche zu einem französisch-afrikanischen Gegengipfel von Bürgerrechtlern in der Pariser Vorstadt Aubervilliers anreiste, berichtete von seiner Tätigkeit als Aktivist dieser Kampagne in Congo-Brazzaville. Vor 2003 seien die Öleinnahmen grundsätzlich nicht als Staatseinnahmen verbucht, sondern direkt auf Konten des Präsidenten im Ausland einbezahlt worden, erklärte Makosso. Seit die Kampagne Druck macht und nachdem die britische Regierung unter Tony Blair sich ihr offiziell angeschlossen hat, werden die Ölgelder offiziell in den kongolesischen Staatshaushalt integriert.
»Jetzt beginnt der konkrete Kampf vor Ort, mit den Leuten in den Stadtteilen«, fügte Makosso hinzu. Früher seien die Gelder in den Taschen von Funktionären des Regimes verschwunden. »Jetzt wird ihr Verbleib dadurch gerechtfertigt, dass etwa in jedem Stadtteil eine Schule errichtet werden soll. Dies erlaubt es uns, die örtliche Bevölkerung zu organisieren, um Forderungen zu stellen: Wo ist denn nun die Schule, die Ihr uns versprochen habt, von der wir aber keine Spur sehen?« Beim vorigen Gegengipfel zur Afrika-Politik, der in Frankreich stattfand, befand sich Makosso noch in Pointe-Noire unter Hausarrest. In diesem Jahr konnte er als freier Mensch nach Frankreich reisen.

Auch die Sans Papiers, die illegalisierten Migranten in Frankreich, organisierten sich im Vorfeld des Gipfels. Seit Oktober befinden sich 6 000 von ihnen im Streik, um ihre Legalisierung zu erreichen. Etwa 80 von ihnen marschierten in den vergangenen Wochen zusammen mit Aktivisten aus der antirassistischen Szene zu Fuß quer durch Frankreich, um von Paris aus Nizza zu erreichen. Überall, wo sie durchkamen, organisierten linke Gruppen, Solidaritätsinitiativen und zum Teil die Gewerkschaften Unterstützungsveranstaltungen und Demonstrationen. Am Montag erreichten die Sans Papiers Nizza. Sie wollen die dort versammelten Staatschefs auf ihre Lage aufmerksam machen. Und sie wollen erreichen, dass die konsularischen Vertretungen der afrikanischen Staaten keine »diplomatischen Passierscheine« mehr ausstellen, die es den französischen Behörden erlauben, auch Personen ohne gültige Reisedokumente abzuschieben. Die Konsulate der meisten afrikanischen Länder verhalten sich dabei sehr gefügig gegenüber französischen Forderungen. Im Gegensatz etwa zu jenen Staaten Lateinamerikas, allen voran Ecuador, die vor anderthalb Jahren erklärten, dass sie bei Abschiebungen aus Europa nicht länger kooperieren wollten.
Die meisten afrikanischen Potentaten reagierten nicht auf die Forderungen der Sans Papiers. Die Regierung von Mali zeigte sich hingegen bereit, die Protestierenden zu empfangen. Seitdem die Bevölkerung in Mali im Frühjahr 1991 den Diktator Moussa Traoré verjagte, ist das westafrikanische Land eines der wenigen positiven Beispiele für eine gelungene Demokratisierung »von unten«. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren immer wieder dem französischem Druck zur Rücknahme unerwünschter Immigranten widerstanden.