Spanien ist das neue Griechenland

Der Dialog ist beendet

Mit drastischen Einsparungen will die spanische Regierung der Krise beikommen. Die Gewerkschaften drohen mit einem Generalstreik.

»Zwei Minuten, die Spanien veränderten« – die Tageszeitung El País ließ keinen Zweifel an der Bedeutung der Reformen aufkommen, die Präsident José Luis Rodríguez Zapatero am 12. Mai im spanischen Abgeordnetenhaus verkündete. Mit den größten Sparmaßnahmen seit Einführung der Demokratie im Jahr 1977 sollen bis 2011 zusätzlich 15 Milliarden Euro eingespart werden.
Spanien gilt als der nächste mögliche Pleite-Kandidat der Euro-Zone. »Der eigentliche Brandherd ist nicht Griechenland, sondern Spanien«, hatte der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman bereits im Januar betont. Durch die EU-Ratspräsidentschaft des Landes bekommt die spanische Krise auch symbolische Bedeutung.
Umso größer ist der internationale Druck auf die sozialdemokratische Regierung Spaniens, alles zu versuchen, um den Bankrott abzuwenden. Einen Tag vor der Bekanntgabe des Sparpakets hatte US-Präsident Barack Obama seinen spanischen Amtskollegen per Telefon ermahnt: »Die Märkte müssen beruhigt werden.« Die öffentlichen Investitionen werden nun um sechs Milliarden Euro gekürzt, die Entwicklungshilfe um 600 Millionen. Die Gehälter der Beamten sinken um fünf Prozent und es werden 13 000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen. Der erst Ende 2007 eingeführte »Baby-Scheck« – für jedes neugeborene Kind werden 2 500 Euro gezahlt– wird wieder abgeschafft und die Renten werden erstmals seit der Demokratisierung eingefroren.
Auch wenn die Minister in Zukunft sogar 15 Prozent weniger Gehalt bekommen, trifft die Sparpolitik insbesondere Familien, Rentner und Beamte. Bereits im Januar hatte die Regierung ein Sparpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro verabschiedet, damals jedoch betont, dass es im sozialen Bereich keine Kürzungen geben werde. Die Krise »werden nicht die Schwächsten bezahlen, da nicht sie es gewesen sind, die sie verursacht haben«, hieß es damals noch ganz im Stil der Sozialdemokratie. Deren Politik ist nun an ihr Ende gelangt.
»Keinem Präsidenten gefällt es, Kürzungen zu verkünden, und mir noch viel weniger«, sagte der sichtbar angeschlagene Zapatero im Abgeordnetenhaus. Dass ihm die drastischen Maßnahmen schwer gefallen sind, ist leicht zu glauben. Schließlich hat Zapatero nicht nur seine soziale Politik, sondern wohl auch seine Karriere geopfert. Nach aktuellen Umfrageergebnissen kommt die rechtskonservative Volkspartei (PP) auf die absolute Mehrheit, obwohl die Oppositionspartei nicht mehr zu bieten hat, als Zapatero selbst für das »Grundproblem der spanischen Wirtschaft« verantwortlich zu machen.
Der »Schockplan« trifft aber nicht nur die Ökonomie, sondern auch das politische Selbstverständnis. Zapatero war gewählt worden als Vertreter des progressiven, liberalen und sozialen Spaniens. Die drastischen Einschnitte beenden nun den »Sozialen Dialog«, die gemeinsame Entscheidungsfindung von Zivilgesellschaft und Staat.:Der Sparplan wurde per Dekret verabschiedet. Nur so konnte verhindert werden, dass der Senat oder die Gesetzeskommission noch Änderungen vornehmen.
Ob sich »der Markt«, der auch in der spanischen Diskussion eher als zornige Gottheit denn als ein System menschlicher Beziehungen erscheint, damit zufrieden geben wird und das Haushaltsdefizit von über elf Prozent im vergangenen Jahr in nur drei Jahren auf drei Prozent gesenkt werden kann, bleibt fraglich. »Der Markt« weiß offenbar nicht so recht, was er will. Einsparungen werden gefordert, doch Ende Mai wurde Spaniens Kreditwürdigkeit von der Rating-Agentur Fitch um eine Stufe herabgesetzt, da zu erwarten sei, dass der verabschiedete Sparplan das Wirtschaftswachstum bremsen werde.

Die Problemanalyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) klingt bedrohlich. Beklagt werden »ein dysfunktionaler Arbeitsmarkt, die zusammenfallende Immobilienblase, das große Haushaltsdefizit, die hohe Verschuldung, das blutleere Produktivitätswachstum, die schwache Wettbewerbsfähigkeit und der in Teilen schwache Bankensektor des Landes.« Derzeit bricht das spanische Sparkassensystem zusammen, im Mai musste die von der katholischen Kirche kontrollierte CajaSur verstaatlicht werden.
Seit Monaten streiten sich Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer über eine Arbeitsmarktreform. Infolge des Zusammenbruchs der Immobilienbranche vor zwei Jahren ist die Arbeitslosigkeit mittlerweile auf 20 Prozent angestiegen, den höchsten Wert in der ganzen EU. Über vier Millionen Spanier stehen ohne Job da. Eine Million Familien sind komplett ohne eigenes Einkommen, alleine in diesem Jahr werden wohl 180 000 ihr Haus verlieren.
Der Unternehmerverband CEOE und die Regierung wollen diese Probleme mit einer Senkung der Lohnnebenkosten und dem Abbau der Arbeitnehmerrechte beheben. Dass Kündigungen erleichtert und Abfindungen verringert werden sollen, führte Ende vergangener Woche zum endgültigen Scheitern der Gespräche mit den Gewerkschaften. Mehrmals hatte die Regierung eine allerletzte Frist für eine mögliche Einigung festgelegt, um sie dann doch zu verlängern, so als wolle sie das Unvermeidliche hinauszögern.
Nun ist der »Soziale Dialog« jedoch beendet, die Regierung will noch diese Woche, wieder per Dekret, die Arbeitsmarktreform durchsetzen. Aber es bleibt offen, ob sie es kann. Das Sparpaket war Ende Mai mit nur einer Stimme Mehrheit und nur wegen der Enthaltung der konservativen katalanischen Nationalisten der CiU verabschiedet worden. Sollte Zapatero diesmal mit der Reform im Abgeordnetenhaus scheitern, würde der Ruf nach Neuwahlen laut werden. Ausgerechnet die Abgeordneten der CiU, die stillen Retter des Sparpakets, hatten dieses Thema bereits in die Diskussion gebracht.

Man könnte meinen, dass es für Gewerkschaften und Linke derzeit mehr als genug Gründe gibt, auch in Spanien für griechische Verhältnisse zu sorgen. Nach sozialen Unruhen sieht es aber nicht aus. Ein erster Streik der Beamten Anfang Juni wurde von größeren Demonstrationen begleitet, sorgte aber nicht für viel Aufsehen. Nach Angaben der Regierung folgten nur etwa zwölf Prozent der 2,5 Millionen öffentlich Bediensteten dem Aufruf der beiden großen Gewerkschaften UGT und CCOO. Diese hingegen sprachen von einem »großen Erfolg« und einer Beteiligung von fast 75 Prozent.
Allein die Tatsache, dass sowohl die Berichterstattung über den Streik als auch seine Nachbe­reitung auf Streitereien um Prozentzahlen beschränkt blieb, zeigt die derzeitige Schwäche der gewerkschaftlichen Bewegung. Selbst die aus der Vergangenheit bekannte Militanz der spanischen Hafenarbeiter beschränkte sich auf kurze Blockaden der Häfen. Dies wird auch ein Grund sein, warum die Gewerkschaften immer wieder nur mit einem Generalstreik gedroht haben, anstatt einfach zu streiken. Selbst bei der Verkündung der Einsparungen im sozialen Bereich hieß es, man wolle sich dieses Mittel für »schlimmere Zeiten« aufheben. Die Gewerkschaften bezogen sich dabei auf die mögliche Durchsetzung der Arbeitsmarktreform per Dekret.
Die fehlenden kämpferischen Massen werden im Falle eines Generalstreiks aber nicht das einzige Hindernis sein. Während der Fußball-Weltmeisterschaft zieht man es auch in Spanien vor, sich von Bier und Ball von der Misere abzulenken. Die Arbeitsmarktreform wird nun wohl nicht der Anlass für den huelga general sein. Es soll gestreikt werden, doch wollen die Gewerkschaftsführungen offenbar bis zum Herbst warten, bis zum Aktionstag der europäischen Gewerkschaftsbewegung am 29. September.