Vampire als gesellschaftliche Minderheit in der Serie »True Blood«

Bürgerrechte für Vampire!

Die Integrationsdebatte ist in vollem Gange. In Hinblick auf die Minderheit der Vampire jedenfalls. Die Serie »True Blood« wird seit 2008 im US-amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt, in Deutschland waren die ersten beiden Staffeln im Pay-TV-Sender 13th Street zu sehen.

Auch Vampire können sich von ihrer »Natur« emanzipieren. In der amerikanischen Erfolgsserie »True Blood« nämlich. Seit geraumer Zeit kämpft dort ein Teil der Vampire um volle Bürgerrechte. Sie sind es leid, den Vorurteilen der Menschen ausgesetzt zu sein und als blutsaugende Monster zu gelten. Sie wollen endlich einen Drink in der örtlichen Dorfkneipe nehmen können, ohne Gefahr zu laufen, von irgendeinem Redneck den Holzpflock ins Herz gerammt zu bekommen. Sie nennen das »Mainstreaming«, und damit ist klar: Die Schwierigkeiten mit der Integration stehen im Mittelpunkt der Serie.

Nan Flanagan, die Sprecherin der American Vampire League, sitzt allabendlich in TV-Talkshows und versucht, die Vorurteile der christlichen Sekten und rechten Parteien – die »Natur« der Vampire sei menschenfeindlich und »parasitär« – zu zerstreuen. Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in den vergangenen Jahrhunderten ist auch an den Vampiren nicht spurlos vorbei­gegangen. Nur die eine »Natur« der Vampire, sich ausschließlich von Blut ernähren zu können, scheint unüberwindlich zu sein. Das ist aber auch nicht nötig, denn als Integrationsmaßnahme wird in Supermärkten und Kneipen ein von Japanern entwickeltes synthetisches Blut in Flaschen verkauft: »True Blood«, das es in diversen Geschmacksrichtungen gibt, wobei die Vampire »O-Negativ« bevorzugen. Dank der kapitalistischen Warenproduktion wird also einer Minderheit die Integration in die Mehrheitsgesellschaft immens erleichtert. Eine Gleichsetzung von Kapitalismus und Kannibalismus findet sich in dieser Serie dementsprechend überhaupt nicht.
Es gibt in »True Blood« kein böses Außen, zumindest nicht in dem dualistischen Sinne, dass die Vampire für das absolut Böse stehen, das in die vordergründig so heile Welt des kleinen Ortes Bon Temps im Bundesstaat Louisiana feindlich eindringt. Denn die Bewohner von Bon Temps waren schon vorher so kaputt, wie es sich für ein Hinterwäldlerdorf gehört. Die Untoten haben damit zu kämpfen, dass viele ihrer Spezies moralische, soziale und politische Vorstellungen aus der Zeit konserviert haben, in der sie selbst noch am Leben waren, während ein anderer Teil der Vampire buchstäblich mit der Zeit geht und sich den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst hat bzw. sie weiterentwickelt. Unheimlich sind die Untoten in der Serie also weniger wegen ihres untoten Daseins und ihres jahrhundertealten Gedächtnisses, sondern eher wegen ihrer untoten politischen Ideen.
Die Vampire in »True Blood« sind keine unmenschlichen Monster, die irgendeine dunkle, verdrängte, urgewaltige Seite der Menschen darstellen. Sie sind eher der Spiegel der Gesellschaft – wenn auch mit einigen Eigenarten, die vor allem mit ihren Ernährungsgewohnheiten zusammenhängen. Sie sind schwule Spießer im Einfamilienhaus oder aristokratische Snobs, sie sind partygeil oder kulturpessimistisch, es gibt solche, die ihre »Lebensart« für überholt halten, und andere, die in der Zeit der mittelalterlichen Inquisition hängengeblieben sind. Andere wiederum wähnen den Vampirismus allen sonstigen Lebensarten überlegen und glauben an das Prinzip des survival of the fittest. Um die Ankunft des siegreichen Tages zu beschleunigen, nehmen sie die Dienste der »Werwölfe« in Anspruch.
Nur wenige Menschen in Bon Temps begegnen den Vampiren mit einer solchen Offenheit wie die Kellnerin Sooky Stackhouse, die Hauptfigur der Serie. Sie ist allerdings auch mit telepathischen Begabungen ausgestattet und somit ebenfalls »nicht normal«. Anders Tara, Sookys afroamerikanische Freundin, deren Großeltern als Sklaven in Bon Temps gehalten wurden. Jedes allzumenschliche Verhalten der Vampire ist für sie Beleg von Hinterhältigkeit und Grund für Misstrauen. Hier wird ein Thema angesprochen, das ebenfalls ein Problem in Einwanderergesellschaften ist: Nur weil Tara selbst Opfer von Rassismus und Diskriminierung ist, kommt sie noch lange nicht auf die Idee, den diskriminierten Vampiren ihre politische Solidarität auszusprechen. Warum sollte sie, sie hat mit ihren eigenen Ängsten und ihrem eigenen Hass viel zu viel zu tun.
Subtil durchzieht auch das Thema Freiheit die Serie. Die 17jährige Jessica, die zum Vampir wird, ist zunächst begeistert von ihren neuen Freiheiten, davon, nicht mehr nach Hause zu müssen und das Leben endlich in vollen Zügen genießen zu können. Doch diese Freiheit findet schon bald ihr Ende, da es auch in der Vampirgesellschaft Regeln gibt, die sie strikt befolgen muss, auch wenn sich Vampire freier als vor 173 Jahren bewegen können und Jessica sogar eine Anstellung als Kellnerin in Bon Temps findet.

Die Serie spielt in vielem auf die Kämpfe um Bürgerrechte im Allgemeinen und die Rechte Homosexueller im Besonderen an. Zitate wie der Slogan der Westboro Baptist Chuch: »God hates Fags« (Gott hasst Schwuchteln) werden in »True Blood« zu »God hates Fangs« (Gott hasst Vampirzähne). Das Coming out ist nicht mehr das »Coming out of the closet« (Toilette), sondern das »Coming out of the coffin« (Sarg). Ekstatischer Sex auf Vampirblut, Massenorgien als Teilzeit-Zombie – befreite Sexualität ist ebenfalls ein großes Thema von »True Blood«. Nicht nur unter Fangbangern – so werden jene Menschen bezeichnet, die mit Vampiren Sex haben – ist »V«, so wird das Vampirblut genannt, die angesagte Modedroge. Die Nebenwirkungen des hippiesken Sexdrogenrauschs sind dabei genauso Thema wie die Frage, was es eigentlich heißt, eine »glückliche Ehe« zu führen. Sooky realisiert irgendwann, dass sie das, was man landläufig dafür hält, mit Vampir Bill nie wird haben können: »Wir werden nie zusammen frühstücken.« Doch in der Welt von Bon Temps tauchen ohnehin viel zu viele seltsame Wesen auf, die es gemeinsam zu bekämpfen gilt, als dass die beiden überhaupt ausprobieren könnten, ob ein Eheleben ohne gemeinsames Frühstück funktioniert.
Das Schöne an »True Blood« ist, dass keine Widersprüche versöhnt werden und es auch kein wirkliches Happy End geben kann. Denn alles ist möglich, jederzeit kann ein Werwolf, ein Vampir oder ein Shapeshifter auftauchen, der sich nicht an die Regeln der Menschen hält, von Fortschritt und Emanzipation nichts wissen will und rücksichtslos blutrünstig seine eigenen Bedürfnisse durchzusetzen versucht. Wie eine moderne Gesellschaft damit umgeht, das ist das Thema dieser Vampir-Serie, die ganz nebenbei so spannend und unterhaltsam ist, dass man gar kein »V« braucht, um voll draufzukommen.