Präimplantationsdiagnostik und Embryonenschutzgesetz

Das Ende der Kinderüberraschung

Nach dem Urteil zur Präimplantationsdiagnostik ist es erlaubt, in bestimmten Fällen Embryonen auf Gendefekte zu untersuchen und auszuwählen. Auch das Embryonenschutzgesetz scheint nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht mehr zeitgemäß zu sein.

Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Diese Frage gehört beinahe ebenso selbstverständlich zum Kinderkriegen wie die Zeugung oder die Geburt. Sie offenbart, dass es trotz wissenschaftlicher Fortschritte immer noch Bereiche in der menschlichen Biologie gibt, die sich nicht steuern oder planen lassen. Oder deren Steuerung gesetzlich verboten ist. Denn zumindest bei der künstlichen Befruchtung könnte schon lange das »Wunschgeschlecht« ausgewählt werden. In Deutschland ist das jedoch verboten.
Das 1991 in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz verbietet die Auswahl des biologischen Geschlechts und setzt weitere rechtliche Grenzen im medizinischen Umgang mit Embryonen. Doch nicht alle Bereiche der Forschung und der menschlichen Fortpflanzung werden in dem Gesetzeswerk eindeutig geregelt. An dem jüngst vor dem Bundesgerichtshof (BGH) verhandelten Fall zur Präimplantationsdiagnostik (PID) wird dies deutlich.
Ein Berliner Gynäkologe hatte sich im Jahre 2006 selbst angezeigt, nachdem er an den Embry­onen von drei genetisch vorbelasteten Paaren Gentests vorgenommen hatte. Entstanden waren die Embryonen durch eine In-Vitro-Befruchtung, also außerhalb der Gebärmutter. Diese Technik wird bei Paaren angewendet, die sich ihren Kinderwunsch nicht auf dem »natürlichen« Weg erfüllen können. Bei der In-Vitro-Fertilisation wird eine weibliche Eizelle im Reagenzglas mit einer Samenzelle verschmolzen; der dabei entstehende Embryo wird in die Gebärmutter verpflanzt. Da bei dieser Methode immer das Risiko besteht, dass der Embryo abstirbt, werden in der Regel gleich mehrere Eizellen befruchtet und eingesetzt. Dies führt dann häufig zu Mehrlingsschwangerschaften.
Bei den Fällen, die der 47jährige Berliner Gynäkologe zur Selbstanzeige brachte, handelte es sich nicht um eine solche Routinebefruchtung. Die Paare, die ihn konsultierten, brachten schwierige genetische Voraussetzungen. Der Mediziner gelangte zu der Einschätzung, dass bei ihnen ein erhöhtes Risiko bestand, bestimmte genetisch bedingte Krankheiten an die Embryonen weitervererbt werden könnten. Eine seiner Patientinnen hatte eine behinderte Tochter, eine weitere hatte bereits mehrere Fehlgeburten erlitten. Aus diesen Gründen entschied sich der Gynäkologe für die PID, um bestimmte genetische Dispositionen ausschließen zu können.
Bei vier der acht erzeugten Embryonen stellte er gravierende genetische Defekte fest. Mit Zustimmung der Patientinnen übertrug er nur die genetisch unauffälligen Embryonen in die Gebärmutter. Nach der Befruchtung reichte der Gynäkologe eine Selbstanzeige ein, da er sich unsicher war, ob er mit seinem Vorgehen gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen hatte. Die Vermutung, gegen das Gesetz gehandelt zu haben, war berechtigt. Mit der PID hatte der Gynäkologe einen anderen Zweck als lediglich das Herbeiführen einer Schwangerschaft verfolgt. Strafrechtliche Konsequenzen musste er auch befürchten, weil er vier genetisch belastete Embryonen »verworfen« hatte.

Im Mai 2009 wurde er vom Berliner Landgericht in beiden Anklagepunkten freigesprochen. Die Richter argumentierten, dass er durch die PID sehr wohl dem Wunsch der Patientinnen nach ­einer Schwangerschaft entsprochen und die überzähligen Embryonen auf deren Wunsch nicht in die Gebärmutter übertragen habe. Das Gericht gelangte zu der Auffassung, dass hier der »Einwil­ligungsvorbehalt« der Frauen den Ausschlag gegeben habe. Gegen das Urteil legte die Staats­anwaltschaft Revision ein. Im Juli dieses Jahres bestätigte der fünfte Strafsenat des BGH den Freispruch. Er verwies in seiner Begründung darauf, dass die PID bei der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes noch keine Rolle gespielt habe. Der Verteidiger Daniel Krause wies darauf hin, dass ähnliche Untersuchungen auch bei normalen Schwangerschaften im Mutterleib durchgeführt würden. Sie führten bei genetischen Defekten dann – über den Umweg der psychischen Unzumutbarkeit für die Mutter – zu Abtreibungen.
Ganz Unrecht hat er mit dieser Argumentation nicht, in Deutschland besteht die Möglichkeit, bei Feststellung eines Defekts während der Schwangerschaft auch sogenannte Spätabtreibungen vorzunehmen. Theoretisch kann dies sogar noch im letzten Schwangerschaftsmonat geschehen. Der Freispruch entspricht somit einer logischen Konsequenz, um nicht der Doppelmoral zu verfallen.
Kritiker warnen jedoch, dass das Urteil die Wirkung eines »Dammbruchs« habe und dazu führen könne, dass sich Eltern in Zukunft die Augenfarbe und das Geschlecht ihres Kindes aussuchen. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Hartmut Schneider, warnte bei seiner Aussage im Prozess genau vor diesem Risiko. Er erachtet die PID nur als zulässig, wenn sie dem Zwecke diene, »schwere erbliche Erkrankungen des Embryos festzustellen«.

Das Urteil des BGH hat zumindest darauf aufmerksam gemacht, dass die Regelungen des bestehenden Embryonenschutzgesetzes nicht mehr zeitgemäß scheinen, weil die medizinisch-technische Entwicklung immer neue Fragen aufwirft.
»Das BGH-Urteil ist windelweich. Die Auswahl des Geschlechts bleibt zwar nahezu ausgeschlossen, viele andere umstrittene Techniken jedoch nicht«, sagt Jochen Taupitz, Jurist und Mitglied des Deutschen Ethikrates, im Gespräch mit der Jungle World. Vor zwei Wochen hat sich der Ethikrat mit dem Embryonenschutzgesetz beschäftigt, vor allem wegen kürzlich gefällter Urteile sieht Taupitz einen erhöhten Handlungsbedarf. So hat zum Beispiel das Oberlandesgericht Rostock im Mai in einem Urteil festgestellt, dass eine Befruchtung mit dem Samen eines Verstorbenen grundsätzlich verboten ist. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Befruchtung vor dem Tod des Mannes erfolgte und die befruchtete Eizelle durch Kryokonservierung, ein Verfahren, bei dem Zellen in flüssigem Stickstoff eingefroren werden, haltbar gemacht wurde. »In diesem Fall könnte theoretisch noch Jahrzehnte nach dem Ableben des Mannes ein Embyro und schließlich ein Kind gezeugt werden. Das wirft umfangreiche ethische Fragestellungen auf und bringt die Generationenfolge durcheinander«, gibt Taupitz zu bedenken.
Der Ethikrat bemängelt die fehlende Eindeutigkeit der Regelungen des Embryonenschutzgesetzes und plädiert für eine differenzierte Reform. Unterstützung erhält er von Politikern. Der gesundheitspolitische Sprecher der CSU, Markus Söder, und Maria Böhmer (CDU), Staatsministerin im Kanzleramt, fordern ein sofortiges Verbot der PID. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wendet sich gegen ein generelles Verbot. »Wir können doch nicht vorschreiben, dass Embryonen ohne Untersuchung mit schweren Schäden eingepflanzt werden«, sagte Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit der FAS. Innerhalb der schwarz-gelben Koali­tion zeichnet sich ein Streit über das Embryonenschutzgesetz ab.
Das Gen-ethische Netzwerk (GeN) warnt generell vor einer Novellierung des Embryonenschutzgesetzes. Alexander von Schwerin, Biopolitik-Experte beim GeN, sieht in dem Argument, dass das Embryonenschutzgesetz Lücken enthalte, eine Schutzbehauptung. »Es handelt sich dabei um ein taktisches Manöver, um einen Handlungsdruck zum Aufschnüren des Gesetzes zu schaffen«, sagt er der Jungle World. Das Gesetz habe bislang gut gegriffen, und bei der Debatte um dessen Novellierung gehe es vor allem um forschungsfreundliche Liberalisierung. Bei der derzeitigen Stimmungs­lage in der Koalition, vermutet das GeN, werden sich die forschungsfreundlichen Kreise durchsetzen.

»Das würde zu einer genetischen Diskriminierung und zu einem Automatismus zur Selektion führen«, befürchtet von Schwerin. Denn bei einer weiteren Zulassung genetischer Testverfahren manifestiere sich im schlimmsten Fall ein Druck, behindertes Leben zu verhindern.
Das Beispiel der Pränataldiagnostik zeigt dies seit Jahren. Sie erzeugt einen gesellschaftlichen Druck auf Schwangere, eine Behinderung zu vermeiden. Eine Änderung des Embryonenschutz­gesetzes könnte in eine ähnliche Richtung zielen. Es entspricht der derzeitigen Logik, mit neuen und besseren Testverfahren mögliche Schäden am ungeborenen Leben auszuschließen. Mit dieser medizinischen Entwicklung geht jedoch auch einher, dass Entscheidungsprozesse individualisiert werden. Und bei aller Technikgläubigkeit bleibt stets ein Restrisiko. Die meisten Methoden der Pränataldiagnostik können nur eine Wahrscheinlichkeit für eine Behinderung berechnen. Die Entscheidung für oder gegen das Kind muss die Schwangere, anhanddieser Prognose, dann selbst treffen. Und dabei ist sie einem enormen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.