Rechte Deutsche ohne Rechtspartei

Stammtisch ohne Führer

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat wieder einmal deutlich gemacht, wie verbreitet rechtsextreme und insbesondere rassistische Einstellungen in Deutschland sind. Trotzdem scheint für eine neue Rechtspartei kein Platz zu sein.

»Wie groß Sarrazins Basis wirklich ist«, titelte Spiegel Online nach Erscheinen der von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Auftrag gegebenen Studie »Die Mitte in der Krise«. Nicht erst seit der Präsentation der Ergebnisse geistert das Phantom einer neuen Rechtspartei durch die Medien. Die Rahmenbedingungen für ein solches Projekt scheinen auf den ersten Blick günstig: Trotz medialer Euphorie über den Aufschwung in den Auftragsbüchern grassiert die Angst vor dem sozialen Absturz. Und während Bundespräsident Christian Wulff die »bunte Republik« ausruft, stimmen 58,4 Prozent der 2 411 Personen, die von den Forschern in Ost und West befragt wurden, der Forderung zu, dass man »für Muslime in Deutschland die Religionsausübung erheblich einschränken« solle.

Mit solchen Umfragewerten illustriert die Studie der FES die Verbreitung autoritärer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Der Satz »Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß« findet Zustimmung bei 17,2 Prozent der befragten Personen. Einen »starken Führer« befürwortet jeder Zehnte. 8,2 Prozent der Bevölkerung verfügen demnach über ein »geschlossen rechtsextremes Weltbild«.
Das Ergebnis der Studie überrascht kaum, denn der grundsätzliche Befund wurde von den Leipziger Forschern schon in den Vorläuferstudien formuliert und ist für Westdeutschland seit Beginn der achtziger Jahre bekannt. Der Titel der 1981 vorgelegten »Sinus-Studie« lautete: »Fünf Millionen Deutsche: ›Wir sollten wieder einen Führer haben …‹« Angesichts all dieser Ergbnisse drängt sich die Frage auf, warum hierzulande trotzdem immer noch keine langfristig und bundesweit erfolgreiche Rechtspartei existiert.
Versuchen wir eine Antwort: Zunächst einmal verfügt die gespaltene deutsche Rechte über keinen charismatischen Führer. Der rechte Rand außerhalb der NPD wird gegenwärtig von einer mausgrauen Phalanx aus Kleinverlegern, Gymnasiallehrern und Kulturpessimisten dominiert. Der jungkonservative Nachwuchs frönt derweil der epigonenhaften Obsession, Carl Schmitt und anderen Größen der sogenannten Konservativen Revolution posthum Persilscheine auszustellen. Die parlamentarische Rechte, die jenseits von Feuilletondebatten agiert, wurde und wird von dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Henry Nitschke oder von Holger Apfel von der sächsischen NPD repräsentiert. Selbst rechte Medienintellektuelle wie Norbert Bolz, der im August im Tagesspiegel eine neue Partei geradezu herbeisehnte, würden mit solchen Figuren kaum ein Zugabteil teilen wollen, geschweige denn einen Mitgliedsausweis für eine politische Organisation. Die Aussicht, dass die bürgerliche Rechte mit einem derartigen Personal Auseinandersetzungen führen müsste, mindert zumindest gegenwärtig deren Engagement in dieser Angelegenheit.

In anderen Ländern Europas waren entsprechende Parteiprojekte meist erfolgreicher, auch weil die Bedürfnisse der Medien bedient werden konnten. Die Allianz der sogenannten Rechtspopulisten verfügt immer wieder über schillernde Persönlichkeiten. Jörg Haider, der – trotz seiner offen nationalsozialistischen Bekenntnisse – aufgrund seiner gesellschaftlichen Wirkung in diese Reihe der »Rechtspopulisten« gehört, wurde von seinem Freund als sein »Lebensmensch« und insgesamt auch als Lebemann verehrt, Pim Fortuyn berichtete im niederländischen Fernsehen freizügig über ethisches Verhalten im Darkroom. Auch Geert Wilders ist nicht zuletzt ein Medienphänomen. Die Wähler goutierten den mitunter anti-bürgerlichen Habitus, zumal »Rechtspopulisten« wie der mal handzahme, mal polternde Haider über eine chamäleonartige Wandlungsfähigkeit verfügten. Wer aber in Deutschland diesen Vorbildern nacheiferte, erhielt zwar wie »Richter Gnadenlos« Ronald Schill in Hamburg schon mal zeitweise die Unterstützung des Springer-Verlags, kam aber bislang immer – wie gerade auch Jürgen W. Möllemann – auf tragische Art zu Fall.
Wie verworren die Debatte um das Phantom von rechts ist, zeigt der Verweis auf Thilo Sarrazin. Dessen neo-eugenisches »Programm«, soweit man seine diversen Thesen überhaupt als ein solches Bezeichnen kann, ist höchst elitär. Der ehemalige Bundesbanker bedient zwar Ressen­timents unterschiedlichster Art, liefert aber kaum ein kohärentes Konzept für eine schichtenübergreifende Rechtspartei. Zwar plakatiert die NPD Losungen wie: »Alle wissen: Sarrazin hat recht!« Doch der Versuch, ins Fahrwasser des Bestsellerautors zu gelangen, schlägt fehl.
In der Person Sarrazin verdichten sich die Widersprüche des Projekts »Rechtspartei«. Der ehemalige Berliner Finanzsenator ist kein Anti-, sondern ein geradezu politisch überkorrekter Philosemit. Er geriert sich im Gegensatz zur NPD nicht als Anwalt der Malocher, sondern fordert einen Bundesarbeitsdienst für die Bezieher von Sozialleistungen. Zudem kämpft der Sozialdemokrat nicht gegen den demokratischen Verfassungsstaat, seine Positionen sind kompatibel mit Teilen der bürgerlichen Mitte und deren Leistungsfetisch. Nicht zuletzt inszeniert er sich als liberaler Verteidiger des säkularen Staates und ist so für von der Union enttäuschte Rechtskatholiken kaum attraktiv. Seine Forderung nach bundesweiter Einführung von Ganztagsschulen käme für die konservative Klientel einer Totalverstaat­lichung der Kinderbetreuung gleich. Der kleinste gemeinsame Nenner bleibt die Forderung nach einem Zuzugsstopp für muslimische Migranten und deren Familien. Das Medienphänomen Sarrazin bedient Reizthemen und verdeutlicht, dass die antimuslimische Ideologie nicht entlang der klassischen Rechts-Links-Dichotomie verstanden werden kann.

Jenseits der programmatischen Differenzen stünde eine Rechtspartei vor den Schwierigkeiten des Parteiaufbaus in der föderalen Bundesrepublik. Eine langfristig erfolgreiche Rechtspartei müsste sich in gleich 16 Bundesländern stabilisieren. Zudem existiert keine Partei wie die PDS, auf die »Die Linke« organisatorisch und finanziell zurückgreifen konnte. Jörg Haider konnte in seiner Anfangszeit die damals marode FPÖ als Grundgerüst nutzen. Dass die österreichische Rechte mit der Ankündigung der Unterstützung der Pro-Bewegung in Deutschland Aufsehen erregen kann, zeigt vor allem die Schwäche der Bewegung. Dass führende Pro-Kader wie Manfred Rouhs oder Markus Beisicht als ehemalige Kader der »Deutschen Liga für Volk und Heimat« über eine neonazistische Vergangenheit verfügen, verrät viel über die Kooperationsbereitschaft der »Freiheitlichen«. Der Mehrheit der viel zaghafteren bürgerlichen Rechten in Deutschland dürfte diese Klientel kaum satisfaktionsfähig erscheinen.
Der eigentliche Grund für die noch geringen Erfolgsaussichten rechter Wahlparteien wird durch ein Ergebnis der FES-Studie deutlich: Ausländerfeindliche Einstellungen sind demanch vor allem unter den Anhängern der sogenannten Volksparteien verbreitet. Rund 20 Prozent der Anhänger von SPD und Union im Westen bejahen einschlägige Positionen. Das hat Folgen. Nach wie vor gilt innerhalb von CDU und CSU das Diktum, dass rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei existieren dürfe. Zu sehr überwog bei von CDU-Dissidenten betriebenen neuen Parteigründungen wie den Republikanern der Ruch des Nationalsozialismus. Das Muster ist seit der »Asyldebatte« der neunziger Jahre bekannt: Zeigt sich in der rechten Klientel Unmut, warnen nicht nur Unionspolitiker vor der »Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen«. Bürgerliche Politiker liefern der extremen Rechten die Stichworte. Deren Parteien konnten zeitweise stark werden, bislang aber blieben bundesweite Erfolge Ausnahmen.
Denn Rechtsextreme wählen bundesweit meist nicht die NPD, sondern CSU, CDU, SPD, »Linke«, Grüne, FDP – oder gar nicht. Und solange das so bleibt, heißt der Vorsitzende der imaginären deutschen Rechtspartei in diesem Quartal – Horst Seehofer.