Über die Rentendebatte

Arbeit ist das ganze Leben

Rente mit 67? Den forschesten Propagandisten der Alterstüchtigkeit missfällt selbst diese Altersgrenze.

Besetzte Raffinerien, verbarrikadierte Schulen, Hunderttausende auf den Straßen – große Teile der französischen Bevölkerung waren nicht sonderlich amüsiert über die Aussicht, bis zum Alter von 62 statt wie bisher 60 Jahren arbeiten zu müssen. Die französische Regierung hat ihre Rentenreform dennoch durchgesetzt. In Deutschland rief eine ähnliche Reform im Jahr 2007 keinen Widerstand auf der Straße hervor. Von 2012 bis 2029 soll das Rentenalter schrittweise von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben werden. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer wagt zurzeit zwar Widerrede und spricht sich für eine Erhöhung des Rentenbeitrags und gegen die Rente mit 67 aus. Doch nicht nur die Regierung, sondern auch die SPD hält das für Unfug.
Der Plan, den Lohnabhängigen den Rest des Lebens zu verkürzen, der ihnen nach dem Ende der Berufstätigkeit bleibt, oder ihnen das Auskommen zu schmälern, sollten sie eher als mit 67 Jahren in Rente gehen wollen, wird von der Bundesregierung mittlerweile zielstrebig vorbereitet. »Der Prozess einer längeren Erwerbsdauer hat bereits begonnen und wird sich fortsetzen«, heißt es in einem Prüfungsbericht, den Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gestern vorlegte. Die »gestiegene Erwerbsbeteiligung Älterer« sei ein »enormer Erfolg«. Nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat sind über 57 Prozent der Deutschen im Alter von 55 bis 64 Jahren erwerbstätig, in Europa ist der Anteil nur in Skandinavien und auf Zypern höher.
Irgendwann nicht mehr zur Lohnarbeit gezwungen zu sein und genug Geld zum Leben zu haben – diese Aussicht für die Beschäftigten war lange Zeit auch dem kapitalistischen Betrieb dienlich, schließlich steigerte sie die Arbeitsmoral und die Loyalität. Die Zeit solcher Zugeständnisse ist jedoch vorüber. Quietschfidele Grauhaarige grinsen auf Werbeplakaten, die Menschen über 50 das »lebenslange Lernen« und die Rührigkeit im Alter nahelegen. In Verbindung mit der Heraufsetzung des Rentenalters ist die Botschaft klar: Die Rente soll nicht länger Personen alimentieren, die sich noch nützlich machen können.
Doch wie lange kann man sich nützlich machen? »Ein starres Renteneintrittsalter entspricht nicht mehr der heutigen Arbeitswelt und den Lebensplänen moderner Rentnerinnen und Rentner«, sagt Heinrich Kolb, der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion. »Eine kollektiv festgelegte Altersgrenze ist nicht notwendig«, befindet Norbert Berthold, Professor für Volkswirtschaftslehre in Würzburg und seit 1995 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. »Die Zahl 67 ist reine Willkür (…). Nötig ist nur eine einfache Regel: Je länger einer arbeitet, desto höher fällt die Rente aus. Je eher einer aufhört (weil er bescheiden lebt oder gut geerbt hat), desto knapper bemisst sich die Rente«, schreibt die FAZ.
Da sich FDP-Abgeordnete, Wirtschaftsprofessoren, FAZ-Redakteure und andere Propagandisten der Alterstüchtigkeit in der Regel keine Sorgen um ihr Auskommen im Alter machen müssen, sind solche Forderungen eher als Wink an die Lohnabhängigen zu verstehen: Wem die Arbeit bis zum Sterbebett oder aber die Altersarmut angedroht wird, beschwert sich nicht mehr über die Rente mit 67.