Nico Nussinger vom Silvio-Meier-Bündnis im Gespräch über den Kampf gegen Nazis und den Staat

»Wir richten keine Appelle an den Staat«

Von Ivo Bozic

Am 20. November findet in Berlin die jährliche Silvio-Meier-Demonstration statt, in diesem Jahr unter zwei verschiedenen Mottos. Nico Nussinger ist Sprecher des Vorbereitungsbündnisses. Dessen Aufruf kann unter der Internetadresse silviomeier.de.vu nachgelesen werden.

Was ist der Hintergrund dieser alljährlichen Gedenkdemonstration?
Silvio Meier war ein Antifaschist und Hausbesetzer. Er wurde 1992 im U-Bahnhof Samariterstraße in Berlin-Friedrichshain von Nazis umgebracht. Die Mörder sind mit sehr geringen bzw. ganz ohne Haftstrafen davongekommen. Die Tat wurde entpolitisiert und als Auseinandersetzung zwischen Jugendbanden dargestellt. Dabei war die Tat eindeutig politisch. Silvio Meier hat einen der Nazis auf seinen Aufnäher angesprochen, und daraufhin kam es dann zu der Konfrontation, die mit seinem Tod endete. Und auch die ganzen Umstände Anfang der neunziger Jahre, der nationalistische Taumel und die rassistischen Pogrome damals, die ganze Stimmung war politisch extrem aufgeladen. Seitdem hat sich die Silvio-Meier-Demons­tration zu einer festen Institution in der Berliner Antifa-Szene entwickelt.
Es gibt auch eine Kampagne dafür, eine Straße nach Silvio Meier zu benennen. Gibt es da Fortschritte?
Der Vorschlag, die Samariterstraße in Silvio-Meier-Straße und entsprechend auch den U-Bahnhof umzubenennen, existiert schon seit Jahren, hat aber bisher leider zu keinem Erfolg geführt.
Gibt es neben dem Gedenken an Silvio Meier auch aktuelle Anlässe für die Demonstration?
Es wird jedes Jahr auf aktuelle Dinge Bezug genommen. In diesem Jahr ist das Motto »Kampf den Nazis! Kampf dem Staat! Gemeinsam für eine Gesellschaft ohne Rassismus und Unterdrückung!« Wir wollen auf die rassistischen Zustände in Deutschland aufmerksam machen, die ja in diesem Sommer auch durch Thilo Sarrazins Buch wieder deutlich geworden sind, als auf dem Fuße folgend die Politiker gleich eine neue Integrationsdebatte losgetreten haben, mit klar rassistischer Schlagseite. In einem Klima, in dem von ganz oben bis unten an den Stammtischen alle gegen integrationsunwillige Migranten hetzen, können sich Nazis gut als Vertreter des Volkszorns gebärden und auf entsprechende Sympathien bei ihren Aktionen hoffen. In diesem Kontext muss man auch die jüngsten Vorfälle sehen, wie den Nazi-Mord an dem 19jährigen Kamal in Leipzig, den Brandanschlag auf die Synagoge in Mainz und auch den Brandanschlag auf das linke Szene-Geschäft »M99« in Berlin.
Es geht also um große politische Themen, aber in den letzten Jahren war die Demonstration immer eher eine Art Schüler-Demo. Was sagt uns das über die Antifa-Bewegung?
Generell ist Antifa, wie wir sie seit Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Deutschland kennen, leider oft eine Jugendbewegung. Und speziell die Silvio-Meier-Demo ist schon auch ein bisschen als Jugenddemo angelegt. Für viele jüngere Leute war das tatsächlich die erste Demons­tration, auf die sie gegangen sind. Aber es fängt langsam eine Diskussion an über die Frage, mit welchen Bündnispartnern man künftig zusammenarbeiten möchte, inwiefern unser Kampf nur erfolgreich sein kann, wenn wir ihn mit denen zusammen führen, die von Nazis und staatlichem Rassismus verfolgt und bedroht sind, wie Migrantenorganisationen, jüdischen Gemeinden, Vereinigungen von Sinti und Roma und so weiter.
In dem Aufruf heißt es: »Jeder konsequente Widerstand gegen Nazis stößt früher oder später auf den deutschen Staat. Bei jedem Naziaufmarsch sehen sich AntifaschistInnen der Polizei gegenüber.« Das können doch die Nazis genauso gut von ihren Aufmärschen behaupten. Und während es einige staatliche Förderprogramme gab und gibt, bei denen Antifas dafür bezahlt werden, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren, kenne ich kaum einen Fall, bei dem es andersherum ist.
Man kommt nicht weit, wenn man das im Sinne einer Totalitarismustheorie gleichsetzt. Fakt ist, dass die Nazis in Deutschland an der Macht waren, halb Europa versklavt haben, das europäische Judentum und 500 000 Sinti und Roma vernichtet haben. Und wenn Leute, die sich direkt in diese Tradition stellen, 65 Jahre nach dem Ende des Faschismus hierzulande überhaupt die Möglichkeit haben aufzumarschieren, dann ist das allein schon ein Skandal. Und erst recht, wenn so ein Aufmarsch dann von der Polizei durchgeprügelt wird, wie es häufig passiert.
Also das heißt, eigentlich müsste der Staat auf eurer Seite sein?
Wir richten keine Appelle an den Staat. Letztlich muss der Kampf gegen Nazis selbst organisiert werden.
Es gibt zwei Aufrufe in diesem Jahr und auch zwei konkurrierende Mobilisierungen. Wie kam es denn dazu?
Das ist tatsächlich eine neue Entwicklung. Das hat es vorher noch nicht gegeben. Es gibt das Silvio-Meier-Bündnis, in dem der Großteil der Ber­liner Antifa-Gruppen sich zusammengeschlossen hat und das die Mobilisierung Jahr für Jahr stemmt. Dieses Jahr hat sich eine Gruppe in dem Aufruf des Bündnisses nicht so richtig wieder­gefunden und dann ihre eigene Mobilisierung gestartet. Man kann es positiv sehen, dass so doppelt mobilisiert wird, aber nach außen hin hat das natürlich für Irritationen gesorgt und vermittelt nicht gerade das Bild eines geschlossenen Vorgehens.
Euer Aufruf setzt sich mehr mit gesellschaftlichem und staatlichem Rassismus auseinander, bei dem konkurrierenden Aufruf der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) gibt es noch eine antikapitalistische Ausrichtung. Ist das die Differenz?
Wir haben nicht bewusst Kapitalismuskritik aus unserem Aufruf rausgehalten, wir wollten nur einfach ein Thema klar in den Mittelpunkt stellen, und das ist das Zusammenspiel von Nazis und Staat hinsichtlich des Rassismus. In dem anderen Aufruf werden verschiedenste Dinge aufgelistet. Aber dass das ursächlich war, würde ich nicht sagen.
Was ist denn dann der Grund?
Da muss man jene fragen, die die Einzelmobilisierung gestartet haben.
In eurem Aufruf heißt es an erster Stelle: »Kampf den Nazis«. Bei der ALB kommen »Nazis« erst an vierter Stelle nach »Staat«, »Repression« und »Pressehetze«. Vielleicht geht es denen gar nicht mehr so sehr um die Nazis?
Auch in unserem Aufruf steht aber zum Beispiel, dass der Staat Hauptakteur des Rassismus ist und seine Abschiebe- und Migrationspolitik letztlich die Forderung der Nazis, »Ausländer raus«, ganz praktisch umsetzt.
Wie viele Teilnehmer werden erwartet?
Voriges Jahr waren es um die 4 000 Leute. Wir gehen davon aus, dass es dieses Jahr auch wieder eine gute Beteiligung gibt.
Ihr schreibt da »Kampf dem Staat«, aber wenn der Staat gegen euch kämpft und die Polizei repressiv auftritt bei der Demonstration, werdet ihr euch sicher beschweren, oder?
Selbstverständlich reagieren wir auf staatliche Offensiven gegen die linke Bewegung auch mit unserer Öffentlichkeitsarbeit. Und selbstverständlich beschweren wir uns immer über diesen Staat. Nicht, weil wir denken, er müsse nur besser verwaltet werden. In Berlin sieht man ja deutlich, dass eine rot-rote Regierung auch nichts besser macht. 2009 wurden aus Berlin auch 1 500 Menschen abgeschoben und zurückgewiesen. Aber wie die Polizei bei der Demonstration vorgehen wird, bleibt abzuwarten. Vielleicht beschwert sie sich ja auch anschließend.