Eine iranische Künstlerin erinnert an die Ermordung ihrer Eltern

Der Tatort in Teheran

Gedenken als Akt des Widerstands: Die iranische Künstlerin Parastou Foruhar erinnert an die Ermordung ihrer Eltern.

Immer im November reist Parastou Foru­har von Deutschland in den Iran, und jedes Mal beginnt damit für ihre über den Globus verstreuten Freunde die Zeit des Wartens auf Nachricht aus Teheran. Auch in diesem Jahr ist sie in die iranische Hauptstadt gereist, auch in diesem Jahr sorgen sich die Freunde um ihre Sicherheit. Seit 1998, als ihre Eltern ermordet wurden, ist die Reise für die bei Frankfurt am Main lebende Künstlerin zu einem wichtigen Ritual geworden: In Teheran organisiert sie am Jahrestag der Ermordung eine Gedenkveranstaltung für ihre Eltern.
Es geschah am 21. November 1998. Damals ermordeten Attentäter Parwaneh Eskandari Foru­har und Dariusch Foruhar in deren Wohnung in Teheran. Man hat sie auf besonders grausame Weise erstochen, die Tat sollte abschreckende Wirkung haben und Panik unter Intellektuellen verbreiten. Das Ehepaar gehörte zu den ersten Opfern in einer Reihe von Morden an bekannten dissidenten Intellektuellen. Als Drahtzieher der Attentate wird der iranische Geheimdienst vermutet, der die Opposition erfolgreich einzuschüchtern vermochte.
Seit 1991 lebt Parastou, die in Teheran Kunst studiert hat, in Offenbach.
Seit fünf Jahren ist eine öffentliche Gedenkveranstaltung für die Opfer untersagt – aus Gründen der »Nationalen Sicherheit«. Parastou sucht dennoch alljährlich ihr Elternhaus auf und gedenkt im privaten Kreis der Ermordeten oder gibt telefonisch Interviews.
Im vorigen Jahr wurde ihr im Informationsministerium, wo sich auch der Geheimdienst befindet, von Agenten der Pass abgenommen und ihre Ausreise um einige Tage verzögert. In einem Bericht an ihre Freunde schrieb sie drei Monate später über die verschärften Bedingungen ihres Aufenthalts: »Nach einer Weile des gegenseitigen Anstarrens fing der Agent an, mich mit lauter Stimme mit Anschuldigungen zu überschütten. Ich würde die Feinde des Landes bedienen, und es gäbe sogar Berichte, wonach ich dafür Geld entgegengenommen hätte. Ich sei ein Propagandist gegen das Regime und würde die Gesetze brechen und Verbote missachten (…). Außerdem warf er mir vor, im Ausland mit Konterrevolutionären zu verkehren. (…) Ich würde im Ausland in Zusammenarbeit mit Theater- und Filmregisseuren Propagandastücke gegen das Regime produzieren. Ich missbrauchte die Kunst!« Den letztgenannten Vorwurf aus dem Mund der Zensoren empfindet die Künstlerin als besonders absurd.
Mit den Arbeiten von Parastou Foruhar kam ich zum ersten Mal in Berlin in Kontakt. Ich kam im Sommer 2003 gerade von einer Reise aus Teheran zurück und interessierte mich für eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin. Parastou bespielte den westlichen Seitenflügel oberhalb des Museumsrestaurants. Als ich den Austellungssaal betreten wollte, ertönte eine sanfte, leise Stimme: »Schuhe ausziehen, bitte.« Erschrocken sprang ich einen Meter zurück und sah andere Besucher auf Socken durch die Ausstellung laufen und musste lachen. Die Stimme kam vom Band und gehörte zu einer Videoarbeit. Sie dokumentiert Parastous Besuch bei einer staatlichen Stelle im Iran. Der Animationsfilm fängt die seltsame Atmosphäre, die im Iran herrscht, auf geniale Weise ein. Ein Regime alter Männer vermag ein ganzes Volk in kleine Kinder zu verwandeln, die folgsam tun müssen, was die Männer für richtig halten. Die Schuhe auszuziehen, soll eine Respektbezeugung sein, da in Innenräumen auch gebetet wird. Das ist der vorgeschobene Grund.
Ich erinnerte mich an eine Recherche über islamistische Jugendliche in Istanbul. Als ich das mehrstöckige Gebäude der Jugendorganisatiıon der islamistischen Wohlfahrtspartei 1996 betrat, trug ich Schnürstiefel. Ein junger Mann führte mich zu den Funktionären auf den unterschiedlichen Etagen des Gebäudes. Beim Betreten und Verlassen der Flure musste ich vor grinsenden Halbwüchsigen meine Stiefel aus- bzw. wieder anziehen. Immer wieder auf Socken durch ein großes Zimmer zu gehen, in dem ein wichtiger Mann hinter einem zu großen Schreibtisch sitzt, ist ziemlich entwürdigend. Genau wie in Parastous Film: eine ganz klare Demütigungsprozedur.
2007 lernte ich Parastou Foruhar in Istanbul persönlich kennen. Sie hatte ein Künstlerstipendium des Berliner Senats und genoss die Zeit in Istanbul, denn die Türkei vereinigt viele Elemente nahöstlicher Lebensart mit dem Maß an Freiheit, an das sie gewöhnt ist. Parastou war nach ihrem Kunststudium in Teheran nach Offenbach gezogen, wo sie auch heute noch lebt. Dariusch Foruhar, ihr Vater, war nach der islamischen Revolution Arbeitsminister, die Mutter, Parwaneh Eskandari Foruhar, eine engagierte Soziologin und Journalistin. Wie viele Demokraten hatten sie das Schah-Regime bekämpft, mussten aber bald einsehen, dass die sogenannte islamische Revolution keine Alternative darstellte. Sie gründeten die Partei Nationale Front, die sich für ein säkulares System einsetzt und aus einem kleinen, relativ einflusslosen Kreis Teheraner Intellektueller besteht.
»Irgendwo im Herzen dieser Stadt, in einem alten Viertel, und dort in einer engen Gasse, liegt mein Elternhaus, das Ziel meiner Reise.« Mit diesen Worten beschreibt die Künstlerin den Ort der Erinnerung. »Es ist ein Raum, zu dem ich ambivalente Beziehungen habe, ein Raum der Gegensätze. Einerseits ein Ort, an dem ich aufgewachsen bin, Liebe und Geborgenheit erfahren habe und wo ich die Hoffnungen und Ideale meiner Eltern kennen lernte. Ein Ort, erfüllt von ihrem Leben, ihrem Lachen und ihrer Aufrichtigkeit. Andererseits aber auch ein Ort, der zum Tatort ihrer Ermordung wurde – wo die Schmerzensschreie ihrer Todesnacht widerhallen!«
Am 16. November 2009 wurde Parastou ins Teheraner Präsidialamt zitiert. Eine neue Adresse, aber auch hier wartete der Geheimdienst auf sie. Solche Termine machen Angst, doch das Gespräch verläuft ähnlich wie das im Jahr zuvor, es hagelt Drohungen, ihr Pass wird einbehalten. Das diene ihrer Sicherheit, erklärt der Agent frech. »Wohl eher der Sicherheit des Passes«, kontert Parastou. Das ist sehr mutig. Iranische Offizielle sind es gewohnt, dass alle Menschen vor ihnen kriechen und kuschen. Selbstbewusste Oppositionelle gibt es viele im Iran, aber es wird immer gefährlicher, seine Haltung öffentlich zu zeigen. Interviewpartner etwa sind für ausländische Journalisten in Teheran kaum noch aufzutreiben. Das Regime duldet durchaus Kritik in den nationalen Medien. Doch vor allem Veröffentlichungen im Ausland werden übelgenommen. Wem der Pass abgenommen wird, dem droht ein Ausreiseverbot.
Parastou beschreibt die Masche der Agenten: »Nach dem Aufbau dieser Drohkulisse aus Verleumdungen ging der Vernehmer zur zentralen Botschaft meiner Vorladung über: Das Regime sei bisher sehr geduldig mit mir gewesen, so könne es aber nicht weitergehen. Ich müsse mit harten Konsequenzen rechnen und einen hohen Preis für mein Verhalten zahlen. Ich sollte ihm das Versprechen geben, nicht mehr so weiterzumachen. Ich erwiderte, dass ich eigentlich diejenige sei, die sich ständig in großer Geduld übe, und dass ich diejenige sei, die einen unvorstellbar großen Verlust hinnehmen musste. Ich hätte den höchsten Preis schon bezahlt, sagte ich und fragte den Herrn, was er denn mit einem ›hohen Preis‹ meine? Zehn Jahre? 15 Jahre? Ich lächelte ruhig und bat, zum WC gehen zu dürfen. Er zeigte mir den Weg. Als ich zurückkam, sagte er, dass mir mein Pass ›in Kürze‹ zurückgegeben werden würde, ich sollte jedoch seine Worte in Erinnerung behalten.«
Die Agenten versuchten zu erreichen, dass sie endlich die offizielle Legende akzeptiert, die nach der Ermordung ihrer Eltern verbreitet wurde. Am 5. Januar 1999 gestand das Informationsministerium in einer offiziellen Erklärung, dass Angehörige dieses Ministeriums zum Täterkreis gehörten. Der Prozess wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab September 2000 in zwölf Sitzungen hinter verschlossenen Türen abgehalten. Von den 18 in der Akte genannten Tätern wurden drei Personen, welche die Morde ausgeführt hatten, zum Tode verurteilt. Die Familien der Opfer erklären seitdem, dass sie nicht an Rache, sondern einer Aufklärung der Umstände der Morde interessiert sind. Es bleibt zu hoffen, dass Parastou dieses Jahr ungehindert ausreisen kann.