Die Sympathie der europäischen Linken für den libyschen Diktator

Wie Linke einem Diktator nachweinen

Über das Verhältnis deutscher und europäischer Linker zu Muammar al-Gaddafi, der gerade die libysche Oppositionsbewegung massakrieren lässt.

Der Fall Gaddafi ist ein ganz spezieller – nicht nur, was die Beziehungen zu den Regierungen der Europäischen Union angeht. Gerade für die Linke gehört Muammar al-Gaddafi zu jenen Geistern alter antiimperialistischer Leidenschaften, die sie im arabischen Raum heimsuchen. Unter Linken verschiedenster Couleur genossen die »Libysche Revolution« und die von ihrem Führer, Oberst Gaddafi, ausgerufene Volksmassenrepublik »Jamahiriyya« Sympathien, nicht zuletzt, weil der libysche »Revolutionsführer« sich als Vorreiter des antiimperialistischen Kampfes gegen die USA und Israel gerierte.
Erinnert sei etwa an den stramm antizionistischen Dozenten Karam Khella, der in den achtziger Jahren einige Apologien auf den libyschen Diktator und seine »Revolution« verfasst hat, die teils auch in einem damals recht verbreiteten Fachblatt für angewandten Israelhass namens al-Karamah nachgedruckt und in linken antiimpe­rialistischen Kreisen eifrig diskutiert wurden.
Auch das vom libyschen Diktator selbst verfasste »grüne Buch« – eine Art Gebrauchsanweisung für einen aus panarabistischen und islamischen Elementen zusammengebrauten völkischen Sozialismus – stand in so manchem gutsortierten antiimperialistischen Bücherregal, vermutlich gleich neben dem als »Mao-Bibel« bekannt gewordenen roten Büchlein. Das Verhältnis damaliger antiimperialistischer Linker zu Gaddafi ­erinnert fatal an die heutigen Fans des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Man zeigte sich zwar etwas irritiert von Gaddafis operettenhaftem militaristischem Prunkgehabe, hielt das Ganze aber ansonsten für einen unterstützenswerten Versuch eines »authentischen« arabischen Sozialismus.

Solche Sympathien beschränkten sich bei weitem nicht auf übriggebliebene knallharte Antiimps und deren zeitweiligen Chefideologen Khella, dessen völkischer Stalinismus am »libyschen Modell« lediglich zu bemängeln wusste, dass es dort nicht so ordentlich parteikadermäßig durchorganisiert zuging wie im sowjetischen. Auch diverse Alternativbewegte vermochten gelegentlich im Gaddafi-Regime »basisdemokratische Ansätze« zu erkennen. Was dem Stalinisten an der »Jamahiria« suspekt war und den Sponti gerade anzog, nämlich der weitgehende Verzicht auf staatliche Regierungsinstitutionen und die scheinbar spontane Organisation in dezentralen Volkskongressen und -komitees, diente in Wirklichkeit der unumschränkten Herrschaft Gaddafis, der offiziell seit 1979 kein Amt mehr innehat.
Gerade diese Informalität beförderte die totale Machtausübung Gaddafis und seiner Getreuen mittels einer Mischung aus brutaler Racketherrschaft und direkter Kommunikation zwischen dem großen Führer und den »Volksmassen«. In völliger Verkennung dieser Tatsache reiste etwa 1982 eine Delegation europäischer Ökopaxe nach Libyen, um sich vom Revolutionsführer Lektionen in »direkter Demokratie« erteilen zu lassen, darunter auch die damals prominenten Grünen-Politiker Otto Schily, Roland Vogt und Alfred Mechtersheimer. Letztgenannter befand sich zu der Zeit gerade auf dem grünen Abschnitt eines Weges, der ihn von der CSU über die Friedensbewegung schließlich nach ganz rechts führte. Dabei fiel der »Nationalpazifist« immer wieder mal durch seine guten Kontakte zu Gaddafi auf. Auch das ist symptomatisch, der arabische Volksstaat von Oberst Gaddafi und dessen antiimperialistische Ideologie zogen neben Linken natürlich auch Rechte ins Beduinenzelt des Revolutionsführers.

Noch in den neunziger Jahren fanden in Libyen internationale »Friendship Youth Camps« statt, die von einer in Wien ansässigen »Jamahir«-Gesellschaft organisiert und weitgehend vom libyschen Staat finanziert wurden. Dort trafen deutsche Karam-Khella-Fans auf antiimperialistische Jamahiriyya-Anhänger anderer Länder, aber auch zahlreiche eher aus Neugier angereiste jugend­liche Mitglieder von europäischen linken Organisationen nahmen teil. Berichten von damaligen Teilnehmern zufolge gab es dort kompakte Indoktrination mit der Ideologie von Gaddafis »grünem Buch«, kritische Fragen zur libyschen Menschenrechtssituation wurden umgehend mit der Denunziation des Fragenden als Handlanger des imperialistisch-zionistischen Feindes beantwortet. Leiter der libyschen Volkskomitees empfahlen den europäischen Junglinken auch schon mal die »Protokolle der Weisen von Zion« zur Lektüre. Viele wurden durch solche Erfahrungen von ihrer Sympathie für das »libyschen Modell« kuriert, andere dagegen fanden gerade in der antizionistischen Verbrüderung mit dem libyschen Regime die wahre Erfüllung ihrer Reise ins »Paradise on Earth«, wie die Jamahiriyya auf einem Begrüßungstransparent genannt wurde.
Auch der prominente linke Globalisierungskritiker Jean Ziegler pflegte jahrelang gute Kontakte zu Gaddafi. Nach verschiedenen Medienberichten soll er sogar in die Stiftung eines seit Jahren existierenden »Gaddafi-Menschenrechtspreises« involviert gewesen sein, was Ziegler aber stets bestritt. Heute redet er sich in zahlreichen Interviews um seine guten Beziehungen zu Gaddafi herum, wobei aber seine einstige Bewunderung wie in einem aktuellen Interview mit dem Deutschlandfunk durchaus noch durchscheint: »Er war sicher einmal ein Revolutionsführer, als er die Freien Offiziere angeführt hat, den König Idris gestürzt hat und dann gleich das Erdöl nationalisiert hat. Da war er ein Revolutionär und wurde als solcher auch von seinem Volk begrüßt, gefeiert.« Solch nostalgische Trauer plagt offenbar auch andere Antiimperialisten wie Werner Pirker, der in der Jungen Welt der »antiimperialistischen Mobilisierungsfähigkeit« von Gaddafis Regime nachtweint, die freilich in den vergangenen Jahren durch den »Kurswechsel in Richtung Westen« verlorengegangenen sei.
Manche sind natürlich völlig erfahrungsresistent und halten auch jetzt noch für den Despoten ihr antiimperialistisches Fähnchen in den Gegenwind. So etwa die »Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg«, auf deren Website ein Pamphlet von Brigitte Queck und Hans-Jürgen Falkenhagen zu lesen ist, das ganz im Stil der libyschen Regimepropaganda die Revolution gegen Gaddafi als westlich gesteuerte Machenschaft denunziert: »Gaddafi ist dem Westen wegen seiner antiimperialistischen Haltung ein Dorn im Auge, eine Haltung, die er beibehalten hat, obwohl er in letzter Zeit westlichen Regierungen große Zugeständnisse« gemacht habe, was natürlich ein Fehler gewesen sei. In diesem geschlossenen Wahnsystem stecken hinter allem Aufruhr natürlich die bösen Amerikaner, die bei dieser Gelegenheit auch gleich noch den Europäern das günstige libysche Öl wegnehmen wollen.