100 Jahre Internationaler Frauentag

Fast alles auf Anfang

Der Internationale Frauentag wird am 8. März 100 Jahre alt. Viele politischen Forderungen, die mit ihm verbunden werden, sind weiterhin aktuell.

»Her mit dem ganzen Leben! Brot und Rosen!« Vor 100 Jahren demonstrierten Frauen in den USA und Europa unter anderem mit diesen Parolen für das Wahlrecht, den Acht-Stunden-Tag und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Als Ursprung des Datums kann man unterschiedliche Ereignisse bemühen. 1857 gab es in New York einen Arbei­terinnenstreik, 1909 streikten ebenfalls in New York 20 000 Näherinnen, ein Jahr später fand in Kopenhagen die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz statt; auf dieses Ereignis beziehen sich heutzutage die meisten Frauen, Clara Zetkin forderte dort erstmals einen internationalen Frauentag. Im Jahr 1911 wurde der Frauentag zum ersten Mal in den USA und Europa zwischen Mitte Februar und Ende März begangen.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist immer noch eine der zentralen Forderungen, wenn am 8. März das 100jährige Bestehen des Internationalen Frauentags gewürdigt wird. Dabei kann man nicht nur auf Siege und Niederlagen in der Frauen­politik zurückblicken, sondern auch auf die Geschichte der Frauenbewegung, die selten einheitlich war und ist. In der Weimarer Republik rieben sich sozialistische Arbeiterinnen an den bürgerlichen Suffragetten auf. Im Kalten Krieg war der Frauentag in der DDR die Gelegenheit für einen Betriebsausflug mit Tanz und Blumen, die den weiblichen Werktätigen in die Hände gedrückt wurden. Im Westen der Republik erschien es hingegen lange Zeit wenig opportun, sich auf die Kommunistin Clara Zetkin zu beziehen. Der Frauentag geriet in Vergessenheit und wurde erst von der zweiten Frauenbewegung in den sechziger Jahren wiederbelebt. Mittlerweile wird der Frauentag vor allem in einem institutionalisierten Rahmen begangen.
Claudia Menne, Leiterin des Bereichs Gleichstellungs- und Frauenpolitik beim DGB-Bundesvorstand, erhält zurzeit »Einladungen ohne Ende von der offiziellen Politik«, um das Jubiläum zu feiern. 1983, sechs Jahre nachdem die Vereinten Nationen den 8. März zum politischen Gedenktag ausgerufen hatten, begannen auch die Gewerkschaften hierzulande wieder, Veranstaltungen auszurichten. Die inhaltliche Ge­staltung des Tages ist schwieriger geworden, seitdem es den »Equal-Pay-Day« am 16. April und den Tag gegen Gewalt gegen Frauen am 25. November gibt. Der Frauentag sollte sich »allgemeinen und umfassenden Forderungen« widmen, auch in dem Sinne, »ein feministisches ­Gegenmodell zu entwickeln«, sagt Menne. Ihre zentrale Forderung ist immer noch: »Faire Jobs und gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, sei es an der Maschine oder am Menschen.«

Tatjana Böhm spricht lieber von »Entgeltgerechtigkeit« und Chancengleichheit. Sie ist in der DDR aufgewachsen, Ende 1989 gründete die Soziologin mit verschiedenen Frauen- und Lesbengruppen wie beispielsweise der »Lila Offensive« den Unabhängigen Frauenverband (UFV), auch um in der Wendezeit feministische Errungenschaften zu verteidigen. »Bestimmte Selbstverständlichkeiten, wie eigenes Geld zu verdienen oder ein eigenes Leben zu führen, waren in der DDR verankert«, erzählt Böhm. Die Gleichberechtigung auf der rechtlichen Ebene bestand in der DDR wie auch weitgehend in der BRD bereits seit den fünfziger Jahren, wurde im Osten aber wirksamer durchgesetzt. Ausbildung und Arbeit, gleicher Lohn oder eine kostenlose Kinderbetreuung gehörten dazu.
Um diese Rechte fürchtete der UFV im Zuge der Vereinigung, man sah die Gefahr, dass Frauen an den Herd zurückgedrängt würden. Der UFV war am sogenannten Runden Tisch vertreten und arbeitete an der Sozialcharta zweier deutscher Staaten mit. Die politische Entwicklung machte einen Großteil der Forderungen zunichte, und der UFV löste sich 1991 wieder auf.
Rückblickend erzählt Böhm, dass die ost- und westdeutschen Bilder von Männern und Frauen ungleich gewesen seien und verschieden bewertet wurden. Ein Umstand, der sie auch heute noch beschäftigt. Sie arbeitet im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie in Brandenburg zu Frauen und Gewaltprävention und organisiert die Frauenwoche rund um den 8. März mit.
Eine Vielzahl von Frauenprojekten, Verbänden und Vereinen nahm seit den neunziger Jahren den 8. März zum Anlass, frauenpolitische Interessen sichtbar zu machen. Als ein Höhepunkt kann der Frauenstreiktag von 1994 angesehen werden, an dem bundesweit eine Million Frauen demonstrierten. Vor allem für staatlich subventionierte Frauenprojekte hat sich die Situation seit den ausgehenden neunziger Jahren verschlechtert, sie sind regelmäßig von Kürzungen betroffen. Die autonome Frauen/Lesben-Szene spielt nur noch eine marginale Rolle, mittlerweile hat die queere Bewegung an Bedeutung gewonnen. Frauenthemen und Frauenpolitik zogen verstärkt in Institutionen und Behörden ein und werden dort als Selbstverpflichtungen, Quoten und »Work-Life-Balance-Konzepte« bearbeitet, wie die derzeitige Diskussion um die Einführung einer Frauenquote für Dax-Konzerne zeigt. In den Vorständen der 200 größten, hierzulande ansässigen Unternehmen sind nur 29 von 906 Vorstandsposten mit Frauen besetzt. Eine gesetzliche Quote könnte eine Möglichkeit sein, mehr Chancengleichheit herzustellen. Allerdings müssen auch Zuschreibungen und Selbstbilder revidiert und die von Männern dominierten informellen Netzwerke der Arbeitswelt umgestaltet werden.
Es bleibt auch noch die Frage der Reproduktionsarbeit. Wer leistet sie, beziehungsweise an wen wird sie delegiert? Diese Frage hält auch Kersten Artus, die frauenpolitische Sprecherin der Hamburger »Linken«, weiterhin für ungelöst. Um darauf aufmerksam zu machen, reichte ihre Fraktion im Jahr 2009 einen Antrag ein, den Gedenktag zum Feiertag zu erklären. Seitdem wartet man ab und hofft anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Frauentags und der zahlreichen Feierlichkeiten, die dieses Jahr am 8. März anstehen, auf eine stärkere Resonanz auf den Antrag.
Unter dem Motto »Das Rathaus gehört uns« plant ein Hamburger Bündnis seit zwei Jahren für das 100jährige Jubiläum ein Programm mit Vorträgen, Workshops und einer Jobmesse. Bei den Veranstaltungen wird verstärkt auf einen Netwerkcharakter gesetzt, der an die beruflichen Interessen der Frauen anknüpft.
»Es fehlen Vorbilder, an und mit denen sich Protest artikulieren lässt«, sagt Artus. Häufig sind bei Festivitäten dieser Art vor allem Frauen anwesend, die wohlhabend sind. Die Tatsache, dass Frauen mit schlecht bezahlten Jobs und jüngere Frauen dem Frauentag oft fernbleiben, erklärt sie mit einer zunehmenden Privatisierung und Individualisierung, die gerade auch jüngere Frauen betreffe. Sie würden die gesellschaftliche Unterdrückung erst später spüren, wenn sie nach dem Studium einen Arbeitsplatz suchen oder ein Kind bekommen. Die Illusion von Gleichheit verlieren sie dann, und Slogans wie »Her mit dem ganzen Leben« oder »Das Private ist politisch« aus dem Repertoire früherer Frauenbewegungen erscheinen plötzlich wieder aktuell.