Über François Ozons Komödie »Das Schmuckstück«

Arbeitskampf im Retro-Look

François Ozons Komödie »Das Schmuckstück« ist ein witziges Plädoyer für mehr Frauen in der Wirtschaft.

Um François Ozons stilistischen Sprüngen und Launen folgen zu können, braucht es schon eine gewisse Beweglichkeit. Hatte er gerade noch im tiefmelancholischen Tonfall von Verlust, Weltflucht und dem Wunder der Schwangerschaft erzählt (»Rückkehr ans Meer«), wendet er sich nun plötzlich dem politischen Leben zu, der Fabrik, der Straße und der häuslichen Kampfzone: Es geht um Arbeiterstreiks, Emanzipationskämpfe und um das Glück, Macht umzuverteilen. Zweifellos gehört »Das Schmuckstück« (»Potiche«) in die Kategorie »exzentrische Referenzspiele mit der Filmgeschichte«. In den vergangenen Jahren konnte man mitunter den Eindruck gewinnen, dass sich dieses für Ozon ty­pische »Genre« trotz seiner zweifellos vergnüglichen Effekte ein wenig im Formalismus erschöpft hatte. Während Komödien wie »Ricky« sich auf selbstzufriedene Zitatexperimente beschränkten, schienen allein die Melodramen für gewichtige Themen vorgesehen zu sein. In »Das Schmuckstück« gehen nun beide Tendenzen wieder zusammen: Ozons Begeisterung für Genreaneignungen bzw. Pastiches und seine gesellschaftspolitischen Interessen, die er in seinem neuen Film zwar in den späten siebziger Jahren ansiedelt, aber gleichzeitig clever zur Diagnose der Zeit verwendet.
46 Jahre nach Jacques Demys »Die Regenschirme von Cherbourg« (»Les parapluies de Cherbourg«) – seinerzeit schon eine charmante Hommage an Stanley Donens »Singin’ in the Rain« – hat sich Catherine Deneuve von der melancholisch-verträumten Regenschirmverkäuferin zur machtvollen Chefin einer Regenschirmfabrik gewandelt. Dabei ist Suzanne zu Beginn des Films nichts weiter als das dekorative Schmuckstück (potiche bedeutet Porzellanvase) ihres Gatten Robert Pujol (Fabrice Luchini). Pujol ist ein cholerischer Fabrikant, der seine Arbeiter hemmungslos ausbeutet, seine Frau nach Strich und Faden betrügt und ihr überhaupt nur eine Meinung zugesteht, wenn sie denn auch die seinige teilt.
Ozon breitet in der Exposition ein exzessiv überspanntes Unterdrückungsszenario aus, in dem sich Suzanne noch ganz in ihrer häuslichen Rolle glücklich glaubt. Die völlig überdrehte Anfangsszene zeigt sie im roten Trainingsanzug und mit Lockenwicklern im Haar beim Joggen im Grünen. Lächelnd grüßt sie Eichhörnchen und Rehe und schreibt dabei romantische Gedichte in ihr kleines Notizbuch, später räumt sie fröhlich singend die Spülmaschine aus. So kommt Suzanne auf eher passive Weise mit ihren verdeckten Emanzipationsbedürfnissen in Kontakt. Denn nachdem ihr Mann bei einem Arbeiterstreik vor Wut und Aufregung einen Herzanfall erlitten hat, übernimmt sie zunächst widerstrebend die Fabrikleitung. Schon bald aber findet sie Gefallen an ihrer neuen Freiheit und Macht, sie setzt Reformen durch und räumt ihren beiden Kindern Joëlle (Judith Godrèche) und Laurent (Jérémie Renier) verantwortungsvolle Posten in der Firma ein. Außerdem kooperiert sie mit dem ehemaligen Gewerkschaftsführer und örtlichen Abgeordneten der kommunistischen Partei, Monsieur Babin (Gér­ard Depardieu), mit dem sie ein lange zurückliegendes romantisches Abenteuer am Rande einer Landstraße verbindet. Als Robert wieder genesen in die Firma zurückkehrt, kommt es zum unausweichlichen Machtkampf. Suzanne zieht den Kürzeren, nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Solidarität ihrer spießig-konservativen Tochter.
Doch die Frustration über die Niederlage stachelt ihren Siegeswillen erst recht an: Erfolgreich beginnt sie eine politische Karriere. Bald hat sie ihren männlichen Kontrahenten Babin überholt. Während dieser schwerfällig über den Wochenmarkt stapft und Hände schüttelnd Stimmen einsammelt, steht Suzanne in großbürgerlicher Garderobe mitten in einem Kuhstall und hat sofort die Milchbauern aus der Region auf ihrer Seite.
Als literarische Vorlage diente das gleichnamige Boulevardtheaterstück von Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy aus dem Jahr 1980, das Ozon mit dem irrwitzigen Tempo und der exzessiven Energie der amerikanischen Screwball-Comedy angereichert hat. Die siebziger Jahre mit ihren schrillen Farben und psychedelischen Mustern werden mit viel ausstattungstechnischer Obsession wiederbelebt, zu den Höhepunkten gehören hier sicherlich die an Jacques Tati erinnernden Aufnahmen der Regenschirmproduktion. Überhaupt stammen die filmischen Vorlagen vor allem aus den Fünfzigern: Mit den Chansoneinlagen zitiert Ozon die Musicals von Vincente Minnelli und Jacques Demy, die Darstellung der Familienbeziehungen – die Kinder sind konservativer als die Mutter – ist lose an die Melodramen von Douglas Sirk angelehnt. Und der agile Fabrice Luchini verleiht als cholerischer Fabrikbesitzer seiner Figur zudem die nervös-hysterische Qualität von Louis de Funès. Wie schon in »8 Femmes« (2002) ist auch die Besetzung mit einigen filmhistorischen Subtexten ausgestattet. Wenn nun der nicht mehr ganz so junge Babin die nicht mehr ganz so junge Suzanne wie ein Teenager anschwärmt und sie sein Angebot, doch wieder zusammenzukommen, mit einem »Wir sind zu alt« beantwortet, dann wirft das natürlich auch eine veränderte Perspektive auf das aus Truffauts »Die letzte Métro« noch gut bekannte Filmliebespaar Gérard Depardieu und Catherine Deneuve.
Verklärend gerät der Blick auf die Vergangenheit allerdings nie, Ozon bedient keine nostalgischen Bedürfnisse. Denn unter der visuell überbordenden Oberfläche und hinter dem immer irrwitzigere dramaturgische Wendungen nehmenden Plot ist der Film ein ziemlich scharfsinniger Kommentar zu den gegenwärtigen politischen Verhältnissen. So finden sich in der Figur von Suzannes Tochter Joëlle nicht nur Anspielungen auf neoliberale Arbeitsverhältnisse und die Tendenz zum anti-feministischen Backlash. Der politische Aufstieg Suzannes ist von der Karriere Ségolène Royals inspiriert, und die Figur Pujols erinnert ganz konkret an Nicolas Sarkozy. Pujols Ausspruch »Wenn sie mehr Geld wollen, sollen sie mehr arbeiten« geht auf eine wörtliche Aussage des französischen Staatspräsidenten zurück. Natürlich gibt es auch eine Menge Quatsch und Klamauk, aber letztendlich erreicht Ozon mit seinem boulevardesken Overkill sicherlich mehr als die meisten sozialrealistischen Filme über das Arbeitermilieu.
Vor allem begeistert der Film als schrullige Emanzipationsgeschichte einer Frau, die mit Perlenkette, Pelzmantel und Gesang zu einer entspannt radikalen Position findet. Wenn sie am Wahltag im eleganten Kostüm vor ihren begeisterten Anhängern das Matriarchat propagiert und anschließend emphatisch »C’est beau la vie« singt, mag das vielleicht heillos versponnen wirken – es ist aber ebenso ein mitreißendes feministisches Manifest.

»Das Schmuckstück« (F 2010). Regie: François Ozon, Darsteller: Catherine Deneuve, Gérard Depardieu.
Start: 24. März