Über die Wanderausstellung »Tatort Stadion«

Wandern im Antidiskriminierungsdiskurs

Die Ausstellung »Tatort Stadion« wandert wieder.

Als vor knapp zehn Jahren die Wanderausstellung »Tatort Stadion« des Bündnisses Aktiver Fußballfans (Baff) in Berlin eröffnet wurde, konnte niemand mit einem derart großen Erfolg rechnen: Die Schau wurde mehr als nur der erste Versuch einer sozialhistorischen Aufarbeitung neonazistischer Tendenzen in Fankulturen und der Dokumentation von rechten Sprüchen von Spielern und Trainern. Mit über 100 Ausstellungsorten und einem bemerkenswerten Beiprogramm entwickelte sie sich bis 2007 zu einer Kampagne gegen Diskriminierung im Fußball.
Während im gleichen Jahr Gerhard Schröder folgenlos den sogenannten Aufstand der Anständigen ausrief, sprach die Ausstellung »Tatort Stadion« Themen wie Antisemitismus, Homophobie und Sexismus im Stadion an, betrachtete also auch die Verhältnisse zwischen einzelnen Diskriminierungsformen.
Eine öffentliche, auch für den deutschen Fußball richtungsweisende Debatte verursachte die kleine, zunächst nur in vier Städten vorgesehene Ausstellung dann durch einen Skandal: Der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Gerhard Mayer-Vorfelder, fühlte sich verunglimpft. Obwohl das Baff 10 000 Mark und ein Grußwort zugesagt bekommen hatte, stellte die Ausstellung die wenig engagierte Rolle des DFB im Kampf gegen Diskriminierung und das fragwürdige Verhalten des Verbandes bei der Fußballweltmeisterschaft 1978 im damals von der Militärdiktatur regierten Argentinien infrage und dokumentierte rechtsorientierte Taten sowie Zitate von Mayer-Vorfelder.
Grußwort und Geld wurden zurückgezogen. Unter Druck geriet der DFB, als die TV-Sendung »Kulturzeit« bei 3Sat aufdeckte, wie der Fußball-Bund und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) in einem Aufruf an die Profivereine versuchten, die Ausstellung in den einzelnen Orten anzugreifen. Die Zitate Mayer-Vorfelders wurden zum Medienthema.
Die Verhältnisse änderten sich erst, als Theo Zwanziger die Nachfolge Mayer-Vorfelders antrat. »Direkt nach seiner Wahl zum Präsidenten wollte Zwanziger 2006 das Kriegsbeil begraben«, sagt Baff-Sprecher Martin Endemann. »Zwan­ziger selbst«, so Endemann, habe dann »die Idee zum Fankongress des DFB und der DFL gehabt«, der 2007 in Leipzig der Beginn eines neuen »Dialogs« mit den Fans sein sollte.
Zu den Neuerungen, die auf Geheiß Zwanzigers eingeführt wurden, gehörten ein hauptamtlicher DFB-Fanbeauftragter, eine ehrenamtliche Integrationsbeauftragte, eine Task Force mit drei Pilotprojekten gegen Diskriminierung und einem ständigen Gremium in der DFB-Abteilung »Prävention und Sicherheit«, das Vernetzungsprojekt »Am Ball bleiben«, der alljährlich vergebene Julius-Hirsch- und der Integrationspreis, ein jährlicher Wagen des DFB beim Christopher Street Day, das Aufgreifen entsprechender Themen in Spielberichten und Trainerausbildungen. Und mehr. Einen Sinneswandel hat es allemal gegeben.
Dennoch bleibt das Baff kritisch. »Es ist schwer zu sagen«, meint Endemann, »wie und ob sich das alles strukturell und finanziell überhaupt auf die einzelnen Landesverbände runtergebrochen hat.« Auch die AG Fandialog von DFB und DFL blieb nach einhelliger Einschätzung der drei bundesweiten Fanorganisationen Baff, Pro Fans und Unsere Kurve bislang wirkungslos. Das Ein-Mann-Projekt »Am Ball bleiben« wurde nicht zu einer Koordinationsstelle für Antidiskriminierung nach dem Vorbild der englischen Organisation »Kick it out« ausgebaut, sondern nach drei Jahren eingestellt.
Bei den Landesverbänden gibt es keine hauptamtlichen Gesprächspartner, die sensibilisierend, Projekte unterstützend und als Bindeglied zur NGO-Arbeit fungieren. Während Politiker sich hastig ins Fernsehbild drängeln, wenn mit Fußball das Image verbessert werden kann, kommt von staatlicher Seite in Sachen Antidiskriminierung nach wie vor keine ernsthafte Unterstützung. Stattdessen wird mit der Existenz von sozialpädagogischen Fan-Projekten geprahlt, die aber oftmals unterfinanziert und personalschwach sind, während ihre inhaltliche und didaktische Prägung eine Antidiskriminierungsarbeit nur begrenzt zulässt.
Da auch das Netzwerk »Football Against Racism in Europe« keinen deutschen Partner mehr kontinuierlich mit einer Basisfinanzierung unterstützt, gibt es somit im vereinsmitgliederstärksten Fußball-Land der Welt kein bundesweit etabliertes Projekt, das sich explizit gegen Diskriminierung richtet.
Dies thematisiert die zweite Edition von »Tatort Stadion« nicht, die derzeit im Berliner Fußballshop »Goal« zu sehen ist. Seit sie im vorigen Jahr in Bremen von den Medien nahezu unbeachtet eröffnete, ist Berlin bereits der elfte Ausstellungsort. Bis August wird die Ausstellung in Neumünster, Düsseldorf, Wolfsburg, Nürnberg und München zu sehen sein.
In Wort und Bild und auf Schautafeln werden Fußballinteressierte aufgeklärt, die Schau ist aber auch ein Aufruf zur klaren Positionierung der Fanszenen. Inhaltlich geht sie weiter als ihre Vorgängerin: Sie umreißt beispielsweise die Funktion von rechter Musik und Antiziganismus und entmystifiziert den vermeintlich harm­losen deutschen Nationalismus rund um Welt- und Europameisterschaften. Dass sich viele Fans hinter der fadenscheinigen Parole »Keine Politik im Stadion« verstecken, sowie die Posi­tionen von Ultras zur Diskriminierung sind zentrale Themen.
»Die vermeintlich unpolitische Haltung einer Kurve«, so ist auf einer Tafel zu lesen, »wird als Argument vorgeschoben, um sich in unbequemen Auseinandersetzungen nicht positionieren zu müssen. So manche Fangruppierung versammelt in ihren Reihen Rechte und Linke, die größte politische Differenzen für den Spieltag einfach ausblenden.« Die Identifikation mit dem Verein und der eigenen Gruppe sei vorrangig. Eine Haltung, die dem Baff zufolge auch Fußballclubs reproduzieren, anstatt sich klar zu positionieren.
Andererseits betonen die Ausstellungsmachenden, dass derzeit viele Fangruppen beginnen, ihr Selbstverständnis infragezustellen. Und auch Zwanziger wird zitiert: »Wir können uns als Fußballer nicht unpolitisch geben.«
Was sich »Tatort Stadion 2« allerdings nicht traut, ist die Problematisierung des Freund-Feind-Schemas, das im Fußball die sich voneinander abgrenzenden, sich gegenseitig abwertenden Fangruppen prägt: »Wir« und die »Anderen« wird schnell zu einem »Wir sind besser als die Anderen«.
Zu fragen, ob sich darin nicht bereits ein möglicher Nährboden für Revierdenken, situative Gewaltrituale und Diskriminierung findet – das sollte man wohl nicht von Wissenschaftlern erwarten, die – ähnlich wie die fußballaffinen Institutionen – kaum empirische Ursachenforschung betreiben. Stattdessen reagieren sie anlassbezogen und drehen sich im Kreis, wenn sich eine weitere moral panic (Stanley Cohen) in den Medien abzeichnet.