Die »B.Z.« erklärt die Berliner Autonomen

Krawall kommt vom Koffein

Pünktlich zum 1. Mai widmet die Berliner Boulevardzeitung B.Z. der autonomen Szene eine ganze Serie. Den Autonomen wird dort eine Professionalität zugesprochen, von der sie sonst nur träumen.

Club-Mate ist das Getränk des kommenden Aufstands. Das hat die Enthüllungsjournalistin Caroline Rosales bei ihrer Recherche in der autonomen Szene herausgefunden: »Mate-Getränke sind unter linken Jugendlichen beliebt. Das Koffein hat aufputschende Wirkung.« Im Auftrag von »Berlins größter Zeitung«, der B.Z., hat sie nicht nur die Trinkvorlieben von Revolutionären aufgedeckt, sondern die ausführlichste Würdigung der Autonomen abgeliefert, die bislang in Berlins Boulevardpresse zu lesen war. In sieben Teilen veröffentlicht die Zeitung ein zuweilen unterhaltsames Sammelsurium aus Fakten, Mutmaßungen und politischer Stimmungsmache.
Der Anlass für die Artikelserie ist nicht nur die bevorstehende Demonstration am 1. Mai. Auch die Auseinandersetzungen um die Räumung des alternativen Wohnprojekts Liebigstraße 14 und die Vergeltungsaktion einer »Autonomen Gruppe« mit Stein- und Molotowcocktailwürfen auf eine Polizeiwache bescherten dem »linksextremen Untergrund« die Aufmerksamkeit der B.Z.
Gleich im ersten Teil von »Der 1.-Mai-Komplex – Wie die linksextreme Mafia in Berlin organisiert ist« wird der ehemalige Bürgermeister Eberhard Diepgen interviewt. Der Ehrenvorsitzende der Berliner CDU gibt dabei die politische Marschrichtung vor: »Arbeits- und Verhaltensweisen von Linksextremisten müssen systematisch aufgedeckt, den Bürgern die notwendigen Informationen angeboten werden. Gegen Rechtsradikale gibt es eine entsprechende Hotline im Internet. Das alles fehlt bisher gegen links. Ich habe Zweifel, ob der Berliner Verfassungsschutz hier richtig an der Arbeit ist.« Was der Verfassungsschutz nicht hinbekommt, versucht jetzt das Springer-Blatt.
Entsprechend wird das »Geheime Netzwerk der linken Chaoten und ihrer Helfer« zur Titelstory aufgeblasen und reißerisch die Entlarvung der »Drahtzieher der linken Szene« angekündigt. Die Geouteten entpuppen sich dann allerdings als völlig legal handelnde Linke. Unter ihnen finden sich eine Berliner- und eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, ein Mitarbeiter des Bundestags, der im Dienst einer Abgeordneten der »Linken« steht, ein Anwalt und ein linker Buchhändler. Offenbar geht es der Boulevardzeitung vor allem darum, eine Kumpanei zwischen Autonomen und der Linkspartei zu konstruieren.

Der Artikel »Die Krawall-Maschinerie« widmet sich der Unterstützungskampagne für einen im März verurteilten, bestenfalls anpolitisierten Autobrandstifter. Kurioserweise liest sich dieser Text stellenweise wie autonomes Wunschdenken: »Die linksextreme Szene in Berlin ist perfekt organisiert. Ein Netz aus Vereinen, Anwälten und Spendern kümmert sich darum, dass Geld fließt, Verhaftete betreut werden und der Protest funk­tioniert. Die Justiz ist meist machtlos.« An anderer Stelle heißt es: »Zwar haben auch Neonazis und rechte Schläger Anwälte, Freunde und Helfer. Aber im Vergleich zur autonomen Antifa nehmen sie sich aus wie ein Abakus neben einem Großrechner.« Den Autonomen wird dabei der Organisierungs- und Professionalisierungsgrad unterstellt, den sie gerne hätten. Die Serie kreiert ein Bild der autonomen Szene, das nur wenig mit der Realität zu tun hat, aber dafür sämtliche bürgerlichen Klischeevorstellungen bedient.

Der schwarze Block wird zur hierarchisch orga­nisierten, paramilitärischen Formation stilisiert. Als Kronzeuge gibt sich das Krawallkind »Dennis P.« her. Denn »Dennis P. war ein Gewalttäter. Ein Linksradikaler. Ein Steinewerfer. Dennis P. war im schwarzen Block.« Der erst 21 Jahre alte »Antifa-Aussteiger« war zwar nur drei Jahre lang aktiv, »getrieben von purem Hass auf den Staat«, hat aber phantasievolle Randalegeschichten parat. Die B.Z. weiß nun, dass »an der Spitze linksextremer Demos (…) ein Trupp harter Schläger« marschiert, eine Elitetruppe, bei der »selbst die eigenen Mitglieder, wie Dennis P., (…) immer und überall nur so viele Information wie unbedingt nötig« bekommen.
Auch in der B.Z. gilt das Motto: Ohne Polizei kein Krawall. Also dürfen auch diejenigen, die sich bereitwillig als Schwert und Schild der herrschenden Klasse verdingen, mit ein paar Anekdoten aus dem Straßenkampf die Leserschaft schockieren. Bevor Rosales mit ihren Enthüllungsgeschichten aus dem Milieu der Autonomen aufwarten durfte, wurden die Leser der B.Z. mit dem Artikel »Polizisten im Visier der Linksextremen« vorbereitet. »Den grünen Blick auf den schwarzen Block« erklärte der Polizeioberkommissar Andreas V. Als Straßenkampfveteran stehe er »jedes Jahr im Hagel von Flaschen und Steinen« oder auch mal in Flammen, weil ein Molotowcocktail explodiert ist. Besonders schlimm findet V., dass »die Leute« keinen »Respekt vor der Uniform« mehr haben. Sein Kollege, ein 54jähriger Hauptkommissar, ärgert sich hingegen über die Politik. Im Hinblick auf den 1. Mai redet er in militärischen Worten Klartext: »Wir wünschten uns mehr Rückendeckung.«
Die gewünschte publizistische »Rückendeckung« liefert die B.Z. mit ihrer Serie bereitwillig. Auch wenn es für die Springerpresse sowieso Ehrensache ist, gegen links anzuschreiben, so unterstützt die Zeitung damit, bewusst oder unbewusst, die politische Strategie des Verfassungsschutzes und des Bundesfamilienministeriums gegen »Linksextremismus«. Die radikale Linke soll effektiv bekämpft werden, indem man inhaltlich präventiv tätig wird. Neben der direkten Intervention in der Bildungsarbeit sollen vor allem Politiker und Journalisten die »demokratische Linke«, also hauptsächlich die Linkspartei, die Grünen und Teile der SPD und Gewerkschaften, für ihre vermeintliche Toleranz gegenüber Linksextremisten geißeln. Ziel ist es, die radikale Linke in die völlige Isolation zu drängen. Autonome Antifas sollen mit der »Extremismusklausel« eine Art Hausverbot bekommen, wenn die sogenannte Zivilgesellschaft Bündnisse gegen Nazis schließt. Während man sich ideologisch an der Extremismusdoktrin orientiert, ist der strategische Ansatzpunkt die allgemeine Ächtung von Gewalt, abgesehen von der staatlichen natürlich.

Da mit Repression und Ausgrenzung den widerspenstigen Autonomen nicht beizukommen ist, gehört die Zähmung durch Integration in Berlin traditionell zur staatlichen Bekämpfungsstrategie. Das alternative, subkulturelle und insbesondere jugendliche Umfeld soll mit »Demokratieangeboten« von den extremistischen Versuchungen weggelockt werden. Die freiheitlich-bürger­liche Demokratie und ihr Staat halten auch antibürgerliche Attitüden gleichmütig aus, um sie so ins Leere laufen zu lassen.
Passend dazu hätte die am Ostersamstag in der B.Z. veröffentlichte Beschreibung des autonomen Hausprojektes »Köpi« als eine »Sehenswürdigkeit und ein Mysterium« auch im Touristenführer »Lonely Planet« stehen können. Denn solange es nur bunt und verwildert bleibt, taugt auch ein ehemals besetztes Haus als Touristenattraktion und Beleg für das weltoffene Berlin mit seiner »Toleranz gegenüber unkonventionellen Lebensentwürfen«. Die Botschaft ist: Schlabberlook und etwas Marx gehen schon irgendwie klar, solange daraus keine ernsthaften, also organisierten und militanten Störversuche werden.
Erstaunlicherweise scheint die B.Z. mit dem subversiven Potential von Club-Mate Recht zu haben. Die drei Molotowcoctails, mit denen am 11. April die Polizeiwache im Bezirk Friedrichshain von »Autonomen Gruppen« angegriffen wurde, wurden aus Club-Mate-Flaschen hergestellt.