Haftstrafe für Manager von Thyssenkrupp in Italien

Unfall mit Vorsatz

»Totschlag mit bedingtem Vorsatz«. So lautete das Urteil gegen den Geschäftsführer von Thyssenkrupp Italien, der in Turin wegen des Todes von sieben Arbeitern bei einem Werksbrand im Jahr 2007 vor Gericht stand. Es ist das erste Mal, dass ein Arbeitsunfall in Italien so schwer geahndet wird.

Der leitende Staatsanwalt Raffaele Guariniello hatte allen Grund, den Richterspruch ein »historisches Urteil« zu nennen. Das Schwurgericht Turin war dem von ihm geforderten Strafmaß gefolgt und verurteilte Anfang April Harald Espenhahn, den Geschäftsführer von Thyssenkrupp Italien, wegen Totschlag mit bedingtem Vorsatz zu 16 Jahren und sechs Monaten Haft. Weitere fünf Manager aus dem italienischen Konzernzweig des deutschen Stahlunternehmens wurden wegen fahrlässiger Tötung ebenfalls zu Haftstrafen zwischen 10 und 13 Jahren verurteilt. Damit wurde zum ersten Mal in Italien die Geschäftsführung eines Konzerns infolge eines Unfalls am Arbeitsplatz der vorsätzlichen Tötung für schuldig befunden.

In der Nacht zum 6. Dezember 2007 war entlang der Produktionslinie 5 im Kaltwalzwerk des Turiner Thyssenkrupp-Werks ein verheerender Großbrand ausgebrochen. Ein Stahlband war aus der Spur gerutscht und gegen einen Stützpfeiler gestoßen. Aufgrund der Reibung kam es zu einem Funkenregen, wodurch Ölrückstände und Schmutzpapier entlang des Maschinenlaufbands Feuer fingen. Die Arbeiter versuchten den Brand mit Handfeuerlöschern einzudämmen. Doch es ging nicht schnell genug: Wegen der Hitze platzte ein Schlauch, der der Anlage heißes Öl zuführte. Der Ölstrahl verwandelte sich zusammen mit den Flammen binnen weniger Sekunden in eine riesige Feuerwolke. Sieben Arbeiter wurden in ihr eingeschlossen. Als sie aus dem Feuerball herausgezogen werden konnten, waren ihre Körper bereits verkohlt. Nur einer ihrer Kollegen, der hinter einem Gabelstapler Zuflucht gefunden hatte, überlebte die Brandkatastrophe mit verhältnismäßig leichten Verletzungen.
Für Guariniello markiert das Urteil »einen großen Schritt in der Rechtsprechung in Sachen Arbeitsunfällen«. Auch die Metallgewerkschaft Fiom hofft, dass der Richterspruch wegweisend sein wird. Das Urteil habe die »soziale Verantwortung« der Unternehmen, die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeiter zu garantieren, zur »unabdingbaren Pflicht« erklärt.
Die Aufklärung der Unfallumstände hat zwei Jahre und drei Monate gedauert. Nach 87 Verhandlungstagen war der Prozess abgeschlossen. Das Gericht erkannte die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise an, wonach Espenhahn über das Risiko eines tödlichen Unfalls Bescheid gewusst und die Gefahr billigend in Kauf genommen habe. Da die Schließung der Turiner Niederlassung bereits im Juni 2007 beschlossen worden war, habe die Geschäftsleitung nicht länger in die Arbeitssicherheit investieren wollen. Zum Zeitpunkt des Unfalls waren bereits viele Stellen abgebaut worden. Es gab keinen ausgebildeten Werkschutz mehr, Reinigungs- und Wartungsaufgaben mussten von den Arbeitern selbst übernommen werden. Aus beschlagnahmten Unterlagen geht hervor, dass die Versicherungsgesellschaft Axa Monate vor dem Brand nach einer Inspektion der Werkhallen die Installation eines automatischen Feuermelde- und Löschsystems angemahnt und wegen der Mängel die Versicherungsfranchise drastisch erhöht hatte. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Verantwortlichen, »der Logik wirtschaftlicher Einsparungen« folgend, erst nach der Verlagerung der Produktionslinie 5 in das Hauptwerk in Terni den vorschriftsmäßigen Brandschutz hätten einbauen lassen wollen. Von den Versuchen der Verteidigung, die Arbeiter selbst für den Unfall und das Ausmaß der Brandkatastrophe verantwortlich zu machen, ließen sich die Richter hingegen offensichtlich nicht beeindrucken.
Neben den führenden Managern verurteilte das Gericht Thyssenkrupp Italien zu einer Geldstrafe von einer Million Euro und ordnete die Einfrierung aller öffentlichen Subventionen für sechs Monate an. Weitere Entschädigungen müssen an die Stadt, die Provinz und die Region von Turin sowie an diejenigen Mitarbeiter bezahlt werden, die trotz massiver Einschüchterungsversuche ihres ehemaligen Arbeitgebers den Mut hatten, als Nebenkläger aufzutreten.
An die Familien der Unfallopfer hatte Thyssenkrupp bereits knapp 13 Millionen Euro gezahlt, damit sie darauf verzichteten, als zivile Nebenkläger aufzutreten. Trotzdem waren die Familienangehörigen bei jedem Verhandlungstag im Gerichtssaal anwesend, weshalb sich die Verteidigung wiederholt über die emotional aufgeladene Atmosphäre während des Prozesses beklagte. Nach der Urteilsverkündung diffamierten Espenhahns Verteidiger das Verfahren als einen »politischen Prozess«, in dem die toten Arbeiter »instrumentalisiert« worden seien. Nur weil es sich um einen ausländischen multinationalen Konzern gehandelt habe, sei ein medialer Krieg »gegen den Kapitalismus« inszeniert worden. Tatsächlich richtete sich die Wut in Turin oft gegen die tedeschi, wiederholt wurden die Deutschen als »Mörder« beschimpft und mit der Verwünschung bedacht, sie mögen eines Tages »in der Hölle verbrennen«. Doch der Vorwurf der Verteidigung, das Urteil basiere auf antideutschen Ressentiments, ist nicht haltbar.

Parallel zum Prozess gegen die Konzernleitung von Thyssenkrupp leitete Guariniello ein Strafverfahren gegen fünf Mitarbeiter der Turiner Gesundheitsbehörde ein, die für die Einhaltung der italienischen Arbeitsschutzbestimmungen zuständig war. Den Angeklagten wird vorgeworfen, der Turiner Firmenleitung Kontrollbesuche angekündigt und die Einhaltung von Auflagen nicht fristgerecht eingefordert zu haben.
Das Unternehmen Thyssenkrupp nannte das Urteil in einer schriftlichen Verlautbarung »unverständlich und unerklärlich«. Klaus Schmitz, Präsident des italienischen Konzernzweigs, hielt sich mit persönlichen Stellungnahmen zurück. Immerhin deutete er an, dass man sich eine Reaktion des italienischen Unternehmerverbands erwarte, da Thyssenkrupp schließlich mehr als 6 000 italienische Beschäftigte zähle und 2010 noch 58 Millionen Euro in Italien investiert habe. Die Unternehmervereinigung Confindustria verzichtete jedoch ebenso wie die italienische Regierung darauf, das Urteil öffentlich zu kritisieren. In Turin finden im Mai Kommunalwahlen statt, es wäre äußerst unpopulär, die deutschen Konzernchefs ausgerechnet jetzt zu verteidigen. Nur der Bürgermeister von Terni, Leopoldo Di Girolamo von der Demokratischen Partei, wagte es, die Streichung der Steuervergünstigungen für den Konzern zu kritisieren. Jahrelang hat man sich in Terni für den Erhalt des Stammsitzes von Thys­sen­krupp eingesetzt, nun hat man dort Angst, der deutsche Stahlkonzern könnte seine Drohung wahrmachen und längerfristig seine Produktion aus Italien abziehen.
Noch ist unklar, ob Thyssenkrupp das erstinstanzliche Urteil akzeptiert. Einer der Verteidiger Espenhahns gab zu, dass man sich von einer Berufung »nicht viel mehr« erwarte. Außerdem drängt der Konzern auf die Freigabe der Produktionslinie 5. Sie soll endlich in Terni wieder aufgebaut und in Betrieb genommen werden. Im Falle eines Berufungsprozesses würde sie hingegen bis zur neuen Urteilsfindung beschlagnahmt bleiben.