Armenier fordern die Errichtung eines Mahnmals in Berlin

Bitte schön opferorientiert

Der Zentralrat der Armenier fordert, dass in Berlin ein Mahnmal zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich errichtet wird. Als Fürsprecherin führt er Erika Steinbach an.

»Ich bin sehr überzeugt, dass das Mahnmal zustande kommt.« Azat Ordukhanyan ist zuversichtlich. Bislang habe er sehr zustimmende Reaktionen erhalten. Sowohl die CDU als auch die Linkspartei hätten bereits in Gesprächen ihr Einverständnis bekundet, sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Armenier in Deutschland (ZAD). Ordukhanyan zufolge gibt es allerdings noch keine offiziellen politischen Stellungnahmen, vielmehr sei der Bau des Mahnmals nur mündlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit erörtert worden. Namen von an den Gesprächen teilnehmenden Politikern könne er daher auch noch nicht nennen. »Es ist noch zu früh, unsere Pressemitteilung ist erst wenige Tage alt.«

In der Pressemitteilung forderte der ZAD den Bau eines Mahnmals »im Blickfeld des Berliner Reichstags«, das an den von den Osmanen in den Jahren 1915 und 1916 verübten Völkermord an den Armeniern erinnern soll. Nach den Vorstellungen der Organisation soll es am 24. April 2015 enthüllt werden. So möchte der ZAD an den 100. Jahrestag des Genozids erinnern. Am 24. April 1915 begann die Verhaftung von Mitgliedern der armenischen Oberschicht im damaligen Konstantinopel, in den folgenden Monaten wurden ungefähr 1,5 Millionen Armenier in Massakern oder auf Todesmärschen ermordet.
Seine Unterstützerin führt der ZAD unter anderem Erika Steinbach an, die derzeitige Sprecherin für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Präsidentin des »Bundes der Vertriebenen« (BdV) (s. Jungle World 1/10). So wies der ZDA vor kurzem ausdrücklich auf eine Pressemitteilung hin, in der Steinbach für den Genozid an den Armeniern einen »festen Platz im weltweiten kollektiven Gedächtnis« gefordert und verlangt hatte: »Die Türkei muss zu einem opferorientierten Umgang mit den dunklen Seiten der eigenen nationalen Geschichte finden. Es ist nach beinahe einem Jahrhundert an der Zeit, die Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern endlich zu beginnen.« Zudem hielt die Politikerin am Ostersonntag eine Rede auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Völkermords in der Frankfurter Paulskirche. Freilich steht Steinbach mit dem »Bund der Vertriebenen« einer ausgesprochen revanchistischen Vereinigung vor (s. Jungle World 32/10). Dieser Tatsache begegnet Ordukhanyan äußerst pragmatisch: »Wir sind uns mit Frau Steinbach in der Frage des Mahnmals einig. Sie unterstützt uns. Was sie sonst tut, das sind andere Angelegenheiten. Das ist nicht unsere Sache.«
Ein weiterer Umstand verschafft dem BdV und seiner Vorsitzenden die Sympathien des ZAD. Die Vertriebenenorganisation vergibt alle zwei Jahre den »Franz-Werfel-Menschenrechtspreis«. Er ist nach dem jüdischen Schriftsteller Franz Werfel benannt, der mit seinem Roman »Die 40 Tage des Musa Dagh« den Genozid an den Armeniern literarisch verarbeitete. Die Nazis verboten das im November 1933 erschienene Buch bereits im Februar 1934 wegen »Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung«. Seit 2003 vergibt der BdV den mit 10 000 Euro dotierten Preis. Franz Werfel kann sich nicht mehr gegen diese Vereinnahmung wehren, eine Erbin hat der Verwendung seines Namens 2002 zugestimmt.
Nicht nur in der Beurteilung Steinbachs ist Ordukhanyan nachsichtig. Die Rolle des deutschen Kaiserreichs, das damals Bündnispartner des Osmanischen Reichs war und den Völkermord duldete, betrachtet er »zweiseitig«. So habe »die Regierung des kaiserlichen Deutschland« zwar »tatenlos zugeschaut, einige hochrangige deutsche Offiziere, die in der Türkei stationiert« gewesen seien, hätten den Genozid sogar mit vorangetrieben. »Aber viele Organisationen der deutschen Bevölkerung haben uns unterstützt und uns geholfen. Ich unterscheide daher zwischen der deutsch-kaiserlichen Politik und dem deutschen Volk.« Heutzutage schätze man, dass etwa zwei bis 2,5 Millionen Armenier zwischen 1914 und 1923 getötet oder vertrieben wurden. »Auch unter dem Reformer Atatürk wurde der Genozid fortgesetzt«, sagt Ordukhanyan. Deshalb sei es nötig, ein Mahnmal zu errichten. »Das gehört zu unserer demokratischen Gesellschaft dazu.«

Politische Stellen halten sich offiziell aber noch bedeckt. Erika Steinbach gibt derzeit ebenso wenig Stellungnahmen zum Mahnmal ab wie andere Mitglieder der CDU-Fraktion. Muslimisch-türkische Organisationen reagieren auf Fragen nach dem Genozid und dem Mahnmal ausweichend. Es soll in der Nähe des Reichstags errichtet werden und »auch an die deutsche Mitverantwortung für dieses Menschheitsverbrechen erinnern«, wie der ZAD schreibt. Deshalb haben der ZAD und die Diözese der Armenier in einem gemeinsamen Schreiben an den Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) die Bundesregierung gebeten, dieses Projekt »aus gemeinsamer Verantwortung auch für die deutsche Geschichte« zu unterstützen.
Das Mahnmal soll aus drei, fünf oder sieben »Khatchkars« bestehen, armenischen Grabstelen, auf denen Kreuze eingemeißelt sind. Nach Ansicht des ZAD haben diese Khatchkars »auch eine gute Proportion zum großen Mahnmal«. Dass in der Nähe des Reichstags bereits das Holocaust-Mahnmal existiert, berücksichtigt die Organisation. Bedenken finanzieller Art möchte sie auch ausräumen: »(…) diese Steine kosten, was in Zeiten enger Kassen wichtig ist, fast nichts.«
Die Ideen zur Gestaltung des Mahnmals gehen auf einen Vorschlag zurück, den der Journalist und Historiker Wolfgang Gust bereits vor zwei Jahren vorbrachte. Gust forschte in der Vergangenheit zu den deutschen Verwicklungen in den Genozid und sichtete die Akten des Auswärtigen Amts im Kaiserreich. Nach seinen Erkenntnissen wurden sie vielfach gefälscht, um die deutsche Mitverantwortung an dem Völkermord zu verschleiern. Angesichts der deutschen Rolle ist das Mahnmal Gust zufolge »eine in Stein gehauene Bitte um Versöhnung mit einem geschundenen und fast verschwundenen Volk«.

Derzeit leben etwa 65 000 Armenier in Deutschland, die der Diözese der armenischen Kirche angehören. Es gibt weitere 65 000, die zum Teil aus der Türkei, aus Syrien, dem Libanon oder anderen arabischen Ländern stammen und keine Christen sind, weil ihre Vorfahren zwangsislamisiert wurden. »Sie, die Armenier in Deutschland und anderswo, sind keine Bittsteller. Sie können mit Recht von uns verlangen, dass wir eine historische Schuld begleichen und ihnen helfen«, schrieb Gust vor zwei Jahren.

Siehe auch Dschungel-Seiten 8/9