Der Kampf um einen Gedenkort für die »Asozialen« an der Berliner Rummelsburger Bucht

Kein Mensch ist asozial

Ein Bündnis kämpft für einen Gedenkort auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Arbeitshauses in Rummelsburg.

An der Rummelsburger Bucht im Berliner Stadtteil Lichtenberg hat in den vergangenen Jahren ein Bauboom eingesetzt. Man muss schon lange suchen, um in der Gegend noch Hinweise auf Berlins größtes ehemaliges Arbeitshaus zu entdecken, das dort 1879 in der Hauptstraße 8 eingeweiht wurde. Auf einer Tafel des ehemaligen Expo-Projekts Rummelsburg ist lediglich zu lesen: »Das Arbeitshaus und das Waisenhaus waren Sozialbauten, die vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Hauptstadt und ihrer sozialen Probleme entstanden.« Die vielen Menschen, die dort, als asozial und arbeitsscheu stigmatisiert, zwangseingewiesen wurden, werden nicht erwähnt. Dabei war für sie das Arbeitshaus oft ein Ort des Schreckens, wie der Berliner Historiker Thomas Irmer betont. Die sechs dreistöckige Gebäude umfassende Anlage war für mehr als 1 000 Insassen beiderlei Geschlechts vorgesehen. Dazu gehörten Personen, die nach einer Strafverbüßung eingewiesen wurden, aber auch Obdachlose, Bettler, Prostituierte und Pflegebedürftige, die kein Hospital aufnahm.

1933 sorgten Razzien und Verhaftungswellen dafür, dass das Arbeitshaus bald überbelegt war. Arrestzellen für Homosexuelle und »psychisch Abwegige«, ein »Bewahrungshaus« für »Asoziale« und eine »Sonderabteilung« für Juden wurden eingerichtet. Nach einem Erlass des Reichsinnenministeriums von 1937 wurden die Insassen aus Rummelsburg, soweit sie für den »Zwangs­arbeitsein­satz« ungeeignet waren, in Konzentrationslager überführt. Wie viele Menschen davon betroffen waren, ist ebenso wenig bekannt wie deren Namen und ihr weiteres Schicksal. Der Arbeitskreis »Marginalisierte gestern und heute«, in dem Erwerbslosen- und Antifagruppen sowie soziale Initiativen zusammenarbeiten, hat in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Veranstaltungen sowie einem Buch und einem Film an die Geschichte des Arbeitshauses erinnert.
Der AK fordert eine intensivere Forschung und einen eigenen Gedenkort für die als asozial Stigmatisierten auf dem Gelände. Am 24. Juni konnte er nun einen ersten Erfolg verbuchen. Die Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg verfügte einen vorläufigen Baustopp für ein Grundstück, auf dem der Friedhof des Arbeitshauses lag, um dort Ausgrabungen durchführen zu können.
In den vergangenen Wochen hatte der AK mit einer symbolischen Besetzung und einer Open-Air-Filmnacht gegen die Privatisierung des Grundstücks protestiert. »Es ist der letzte freie Ort, an dem ein würdiger Erinnerungsort für die Opfer der Stigmatisierung als Asoziale und Arbeitsscheue errichtet werden kann«, erklärte Lothar Eberhardt von der Gedenkinitiative. Doch um das zu erreichen, werden die Aktivisten wohl noch mehr Druck ausüben müssen als bisher. Denn die Parteien in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg haben dem Baustopp aus teils fragwürdigen Gründen zugestimmt.

Die CDU interessiert sich vor allem für die Zeit von 1950 bis 1990, als das Gebäude in der DDR als Untersuchungsgefängnis genutzt wurde. »Die Singularität der Naziverbrechen darf nicht aufgeweicht werden«, bekräftigt demgegenüber Dirk Stegemann vom AK. Die Initiative fordert einen Gedenkort für die als asozial Stigmatisierten sowie die sowjetischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die tagsüber in Fabriken in Lichtenberg und Oberschöneweide schuften mussten und nachts auf dem Gelände unter erbärmlichen Bedingungen untergebracht waren. Die Existenz dieses Zwangsarbeiterlagers ist erst vor kurzem bekannt geworden. Lothar Eberhardt erinnert überdies daran, dass die Geschichte der Verfolgung sogenannter Asozialer lange vor 1933 begann und 1945 nicht beendet war. Sie erhielten im Nachkriegsdeutschland keine Entschädigung. Unter den Opfern der Neonaziangriffe der vergangenen Jahre waren auch Erwerbslose wie der im Jahr 2000 in Berlin-Buch ermordete Dieter Eich. An sie soll nach dem Willen des Arbeitskreises am Ort des ehemaligen Arbeitshauses ebenfalls erinnert werden.