Jakob Preuss über seinen Film »The Other Chelsea«

»Fußball und Bergbau driften in Donezk auseinander«

Fußball, Bergbau, Politik und viel Geld – Schachtar Donezk hat alles zu bieten. Der ukrainische Klub stürmt aktuell rasant wie kaum ein anderer an die europäische Fußballspitze. Jakob Preuss hat darüber einen Film gedreht: »The Other Chelsea«. Torsten Haselbauer sprach mit dem Filmemacher.

Was ist so besonders an dem Fußballverein FC Schachtar Donezk, dass Sie gleich einen ganzen Film über den Klub gedreht haben?
Mein Film handelt ja eigentlich von der ost­ukrainischen Stadt Donezk und ihren Einwohnern. Mir ist aber bei den Dreharbeiten schnell klar geworden, dass alle Menschen, die in dem Film vorkommen, zu Schachtar ins Stadion ­gehen. Wenn auch aus den unterschiedlichsten Gründen.
Wer besucht denn die Spiele von Schachtar?
Es gibt den klassischen Fußballfan, der noch im Bergbau arbeitet. Es gibt die Neureichen wie den Oligarchen, Klubbesitzer und Präsidenten des Vereins, Rinat Achmetow, der den Verein wie sein persönliches Spielzeug behandelt. Und es gibt aufstrebende Jungpolitiker, die sich zwar nicht für Fußball interessieren, sich dafür aber gerne mit den Schönen, Reichen und Mächtigen der Stadt umgeben. All diese Menschen sitzen im Stadion von Donezk zusammen.
Der Verein ist also eine Art Bindeglied?
Ja, und das war schon zu Sowjetzeiten so. Schon damals hieß es: Wenn Schachtar gewinnt, dann wird mehr Kohle gefördert und allen Menschen geht es gut.
Stimmt das heute immer noch?
Nicht mehr ganz. Fußball und Bergbau driften in Donezk immer mehr auseinander. Die ganz große Identifikation der Bergarbeiter mit dem Verein ist nicht mehr da. Mit der Kohleindustrie geht es stetig bergab, vielen Menschen geht es immer schlechter. Der Verein jedoch erlebt gleichzeitig einen starken Aufschwung.
Das erinnert an das Ruhrgebiet, besonders an Schalke 04.
Es gibt Parallelen zwischen dem Ruhrgebiet und dem Donezkbecken. Die Funktion von Fußball für die Menschen, besonders bei Schalke und Schachtar, ist ähnlich. Allerdings läuft in Donezk alles viel extremer ab. Hier hat sich eine kleine, reiche Machtelite einen Verein zugelegt, der mit viel Mafiageld an die europäische Spitze geführt werden soll. Diese Auswüchse finden wir ja bei Schalke 04 oder Borussia Dortmund zum Glück nicht.
Welche Rolle spielt der sogenannte Oligarch Achmetow für den Verein?
Was er dort veranstaltet, ist eine Art Brot und Spiele. Mit dem Fußball werden die einfachen Leute bei Laune gehalten. Achmetow subven­tioniert sogar die Ticketpreise. Schulklassen haben freien Eintritt und alle Kinder erhalten im Stadion ein Schachtar-Donezk-Büchlein. Manche sagen, das ist Religionsersatz und eine Art Gehirnwäsche. Achmetow macht sich so über den Fußball beliebt und wird für sein Fußball-Engagement sehr verehrt. Er investiert in den Verein, kauft junge brasilianische Spieler ein oder baut dem Klub mal schnell ein neues Stadion.
Ist das neue Stadion überhaupt EM-tauglich?
Keine Frage! Die Donbas-Arena ist ein Fünf-Sterne-Stadion und kann mit jedem Bundesliga­stadion mithalten. Sie ist ja bereits fertig gestellt und funktioniert. Ganz im Gegensatz zu den anderen EM-Stadien in der Ukraine, die noch alle Baustellen sind. Donezk wird sicher der beste EM-Austragungsort in der Ukraine sein.
Woran liegt das?
Donezk ist keine arme Region und die Macht ist hier auf wenige Leute konzentriert. Es gibt klare Hierarchien. Wenn in Donezk etwas entschieden und angepackt wird, dann klappt das auch. Dafür sorgen die Oligarchen. In Kiew und anderswo jedoch versanden die Gelder. Dort gibt es unheimlich viele verschiedene Kräfte, die alle an der EM verdienen wollen.
Wer profitiert denn von der EM in Donezk?
Die Stadt und ihre Bewohner sind unheimlich stolz auf das Stadion. Sie freuen sich, es bei der EM 2012 endlich vielen Menschen präsentieren zu dürfen. Allerdings werden die Einwohner von Donezk am wenigsten von der EM haben. In die neuen Hotels wird nach der EM niemand mehr reisen. Wer macht schon Urlaub in einer Bergarbeiterstadt in der Ostukraine? Ein sicherer Gewinner wird die prorussische Partei sein, die den Osten der Ukraine bereits mit dominiert. Sie wird sich den EM-Erfolg von Donezk als Austragungsort auf ihre Fahnen schreiben.
Sie waren selber im Stadion. Beschreiben Sie mal die Donezker Fußballwelt.
Schachtar inszeniert seine Spiele als Event und hat im neuen Stadion seinen Zuschauerschnitt auf über 30 000 hochgeschraubt. Gegen Dynamo Kiew kommen sogar noch mehr Fans. Die Stimmung ist ausgezeichnet. Vor dem Stadion wird sehr viel Cognac und Wodka getrunken, denn drinnen ist Alkohol verboten. Und nicht zu vergessen: Es wird dort wirklich sehr guter Fußball gezeigt.
Das klingt fast so, als seien Sie ein echter Schachtar-Fan geworden.
Ich freue mich immer, wenn Schachtar gewinnt. Ich glaube, das ist eine ganz normale Reaktion, wenn man sich so lange wie ich mit einem Verein auseinandersetzt. Ich hatte ja auch riesiges Glück. Während meiner Dreharbeiten im Jahr 2009 holte Donezk in Istanbul den Uefa-Cup.
Welche Reaktionen gibt es auf Ihren Film?
In der Ukraine wird sich mit dem Film sehr rege und kontrovers auseinandergesetzt. Er hat dort schnell für eine Diskussion um die enge Verbindung von Fußball, Politik und Business gesorgt.
Und was sagt der Klubbesitzer Achmetow zum Film?
Er hat den Film ausdrücklich gelobt. So schlecht kommt sein Verein ja auch nicht weg.