Die Debatte über den Fall Strauss-Kahn in Frankreich

Der Teppich lügt nicht

Im Vergewaltigungsprozess gegen Dominique Strauss-Kahn wird versucht, die Glaubwürdigkeit der Klägerin in Frage zu stellen. Die nächste Anhörung ist nun vom 18. Juli auf den 1. August verschoben worden.

Der Ton ist rauer geworden. »Dominique Strauss-Kahns Anklägerin war eine Hotelhure, laut Insidern« titelte, ohne jegliches Schamgefühl, kürzlich die Tageszeitung New York Post, der enge Verbindungen zu rechten Polizei- und Justizkreisen nachgesagt werden. Diverse US-amerikanische Medien übernahmen die Meldung prompt. In Frankreich blieb es Blogs und anderen Webseiten vorbehalten, die angebliche Enthüllung zu posten. Die französische Presse hielt sich zurück und erwähnte sie jedenfalls nie explizit.
Die Anwälte von Nafissatou Diallo haben schnell reagiert. Sie versprechen, es werde nicht lange dauern, bis die New York Post für ihre Hetze verurteilt werde. Die aus Guinea stammende 32jährige Diallo war als Zimmerfrau im Hotel Sofitel in New York beschäftigt und hatte gegen den ehemaligen Hotelgast Dominique Strauss-Kahn (genannt »DSK«), den früheren Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Vorwürfe wegen versuchter Vergewaltigung und erzwungenen Oralverkehrs erhoben.
Unabhängig vom Verleumdungsverfahren gegen die New York Post ist die Aufgabe der Anwälte Diallos jedoch schwieriger geworden. Am 1. Juli waren sie vom Anklagevertreter Cyrus Vance Jr. vorgeladen worden. Die Staatsanwaltschaft wolle die ganze Anklage fallen lassen, verkündeten die Zeitungen schon Stunden vor dem Termin. Sie sei auf Ungereimtheiten und Lügen der Urheberin der Strafanzeige gegen »DSK« gestoßen, die das gesamte Dossier in ihren Augen unglaubwürdig erscheinen ließen.

So habe Nafissatou Diallo bei Polizeianhörungen zugegeben, in ihrem Asylantrag vor knapp fünf Jahren in den USA gelogen zu haben. Sie habe eine Geschichte über ihre angebliche politische Verfolgung nacherzählt, die ihr zuvor auf Tonband vorgespielt worden sei. Ihr Mann soll nicht wegen seiner politischen Meinung getötet worden, sondern in jungen Jahren an einer Krankheit gestorben sein. So lautet jedenfalls die Aussage der Ermittler. Ferner habe Diallo zu viel Kindergeld kassiert, weil sie ein bei ihr lebendes Kind einer Freundin als ihr eigenes angegeben habe. Vor allem hätten Telefongespräche bei den Polizisten Zweifel geweckt, die Nafissatou Diallo auf Fulani mit einem Mann geführt habe, der in Arizona wegen eines Drogendelikts inhaftiert ist. Dabei soll sie die Formulierung benutzt haben: »Ich weiß, was ich tue. Er (Strauss-Kahn) hat viel Geld.« Diallo behauptet jedoch, sie sei falsch übersetzt worden. Ihre Anwälte fordern die Veröffentlichung und Übersetzung der Aufnahme. Zudem insistieren sie darauf, sie habe zuvor in demselben Gespräch deutlich gemacht, dass sie Opfer einer versuchten Vergewaltigung geworden sei. Der in Arizona Inhaftierte ist Berichten zufolge ein gambischer Staatsbürger, mit dem Diallo seit einem Jahr durch einen Imam, jedoch bisher nicht standesamtlich, verheiratet ist.
Zur selben Zeit kam jedoch heraus, dass die DNA-Analyse von Kleidungsstücken der Klägerin sowie eines Stückes des Teppichbodens aus dem Hotelzimmer Strauss-Kahns eindeutig bestätigt, dass der ehemalige IWF-Direktor dort sein Sperma hinterlassen hat. Insofern dürfte nach wie vor erheblicher Erklärungsbedarf für ihn bestehen. Diallo als angebliche Prostituierte hinzustellen, um zu suggerieren, sie habe Strauss-Kahn vielleicht doch freiwillig zur Verfügung gestanden und sich erst hinterher gegen ihn gewendet, dürfte nichts als ein Ablenkungsmanöver sein. Angestellte und Direktion des Sofitel haben dementiert, dass Diallo eine solche Aktivität in ihrem Haus ausübe. Zudem stellten sich auch weitere Vorwürfe, die die Glaubwürdigkeit der Klägerin in Frage stellen sollten, inzwischen als falsch heraus. So wurde Diallo vergangene Woche vorgeworfen, es sei unverständlich, warum sie nach der angeblichen Vergewaltigung zunächst »ein anderes Zimmer gereinigt habe und dann in die Suite Strauss-Kahns zurückgekehrt« sei, bevor sie den Vorfall angezeigt habe. Eine Auswertung der Magnetkarten des Hotels hat hingegen ergeben, dass Diallo kein anderes Zimmer betreten hatte, bevor sie von dem Geschehen berichtete.

Die Gewerkschaft der Hotelangestellten unterstützt Nafissatou Diallo weiterhin. Inzwischen setzen sich auch Bürgerrechtsorganisationen, die gegen die Benachteiligung von Schwarzen kämpfen, für die junge Frau ein. Angehörige der Polizistenorganisation »100 Blacks in Law Enforcement Who Care« demonstrierten am Mittwoch vergangener Woche vor dem Büro des Staatsanwalts Vance und warfen ihm die Verletzung seiner Pflichten vor, falls er die Anklage in der Strafsache Diallo vs. Strauss-Kahn fallen lasse. Die Anwälte der Klägerin forderten Vance inzwischen dazu auf, wegen Befangenheit seinen Posten zu räumen und einen anderen Vertreter der Anklage einzusetzen. Dies lehnte Cyrus Vance definitiv ab, gleichzeitig erklärte er sich jedoch dazu bereit, von einer Verfahrenseinstellung abzusehen und die Ermittlungen fortzuführen.
Unterdessen hat sich die Affäre politisiert. In den USA ist sie Thema antirassistischer Verbände, in Diallos Herkunftsland Guinea zeichnet sich eine starke »ethnische« Polarisierung ab, die auch sonst die Innenpolitik des westafrikanischen Landes prägt. Diallo kommt aus der Bevölkerungsgruppe der Peul, der größten ethnischen Gruppe Guineas, die bedeutende Teile des Handels kontrolliert, aber häufig Anfeindungen anderer Ethnien ausgesetzt ist, die je nach politischer Konjunktur zu- oder abnehmen. Angehörige der Peul in Guinea betrachten Nafissatou Diallo eher als Opfer, andere Bevölkerungsgruppen tendenziell als Lügnerin. Präsident Alpha Condé, der im vergangenen Jahr einen gegen die Peul gerichteten Wahlkampf geführt hatte, richtete in einer ersten Erklärung zwar einen Gedanken an seine »Landsmännin in Schwierigkeiten«. Noch eiliger schien es ihm aber damit zu sein, zu erklären, er freue sich über die Entlassung Strauss-Kahns aus dem Hausarrest, da seine Partei, ebenso wie die Strauss-Kahns, der Sozialistischen Internationale angehöre.