Über das Werk des Fotografen Roman Bezjak

Es war einmal der Kommunismus

Der Fotograf Roman Bezjak hat in seinen Arbeiten den Wandel des sozialistischen ­Städtebaus festgehalten. Ein neuer Bildband und eine Ausstellung dokumentieren sein Werk.

Das angeschnittene Stahlbetongebäude links vorne im Bild steht auf Stelzen. Seine Fassade ist fein geriffelt, in den Vertiefungen hat sich Schmutz festgesetzt. Die Oberfläche der breiteren, nach vorne gerichteten Seite des Vielparteienwohnhauses ist wellenförmig. Sie korrespondiert mit der nahe gelegene Meeresbucht, die auf der Fotografie nicht zu sehen ist. In ihren Ausbuchtungen befinden sich die Fenster. Die Fensterrahmen sind alle verschieden, manche in hellem, manche in dunklem Holz, manche weißglänzend lackiert, manche unrettbar kaputt.
Im Hintergrund stehen unzählige weitere Exemplare desselben Häusertyps in mehreren Reihen. Man kann insgesamt 19 Stockwerke zählen. Unten rechts findet sich ein entglaster grüner PKW; über den Öffnungen ausgebreitete schwarze Müllbeutel sollen den Regen abhalten. Der schlammige Rasen, den man sieht, findet im bewölkten Himmel seine Entsprechung. Die in den siebziger Jahren gebaute St. Petersburger Plattenbausiedlung Novosmolenskaya Naberezhnaya hat zwar ihre besten Tage hinter sich, in ihren Ruinen geht aber offensichtlich das Leben weiter.
Der Fotograf Roman Bezjak interessiert sich für solche Szenarien wie das der sozialistischen Siedlung am Novosmolensk-Ufer im früheren Leningrad. Seit fünf Jahren reist er in die ehemaligen Länder des Warschauer Paktes, um die zumeist etwas verkommenen Bauten der Nachkriegszeit zu fotografieren und ihr Bild zu bewahren.
Eine kleine Auswahl seiner Fotos ist zurzeit in der Ausstellung »Archäologie einer Zeit: Sozialistische Moderne« im Hannoveraner Sprengel-Museum zu sehen, eine etwas größere im eben erschienenen Buch »Socialist Modernism«. Über den Begriff für jene Art von Architektur, die man hier zu sehen bekommt, gibt es bislang widersprüchliche Vorstellungen: »Sozialistische Moderne ist ein ungenauer Begriff, genauer wäre Sozialistische Nachkriegsmoderne, um die es in meiner Arbeit geht, da die Sowjetunion nur eine kleine Rolle spielt. Treffend wäre auch Ost-Moderne, was aber mehr die DDR meint. Die Bauhistoriker ringen noch um Begrifflichkeiten«, so Bezjak.
Gemeint ist ein gewisser Stil, der seit der Entstalinisierung Mitte der fünfziger Jahre das Bauen in den sozialistischen Ländern bestimmte. Trotz des enormen Wohnungsmangels wurden Häuser in den Nachkriegsjahren zunächst nach traditionalistischen Maßstäben entworfen. Der Bau wurde vom Handwerk ausgeführt, zur Fertigstellung einer Wohneinheit waren auf diese Weise 3 000 Arbeitsstunden notwendig.
1954, ein Jahr nach Stalins Tod, forderte Nikita Chruschtschow auf der Allunionskonferenz der Bauschaffenden die Industrialisierung des Bauens. Angesichts der immensen Wohnungsnot forderte er »die zu teuren Herren Architekten« auf, »besser, billiger und schneller zu bauen«, und gab »die Abschaffung des Konservatismus in der Architektur« bekannt. Der Bauprozess wurde zum Produktionsprozess. In den Fabriken wurden nun die zum Bauen notwendigen Teile produziert, auf der Baustelle wurde dann in erster Linie montiert. Den Architekten Hermann Henselmann, der unter anderem die Wohnhäuser am Frankfurter Tor in Berlin-Friedrichshain entworfen hatte, stimmte diese Entwicklung euphorisch: »Wer einmal eine hochmoderne Häuserfabrik mit Kranbahnen, Kippformen, Verdampfungsanlagen, Rundfunksprechanlagen und Industriefernsehen erlebt hat, begreift, dass Omas ›klein’ Häuschen‹ ein für allemal ›versoffen‹ ist.«
Auf diese Weise entstanden binnen kürzester Zeit zahlreiche neue Wohnquartiere, die sehr vielen Menschen den Komfort einer intakten Stromversorgung, Zentralheizung und fließendem Wasser bescherten. Die neuen Baumöglichkeiten zogen auch Fragen nach neuen Wohn- und Lebensformen nach sich. Diskutiert wurden etwa Möglichkeiten kollektiven Zusammenlebens als Alternative zur bürgerlichen Kleinfamilie. Solcherlei Pläne konnten sich allerdings leider nicht durchsetzen, so überlebte die bürgerliche Kleinfamilie im Sozialismus.
Der Erfolg im Wohnungsbau galt als Beweis für die Stärke des Sozialismus. Die technische Entwicklung wurde unmittelbar dazu eingesetzt, den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben. Der von den Machthabern in Moskau aus verkündete Paradigmenwechsel wurde in allen anderen sozialistischen Ländern übernommen, wobei sich trotz der durch den Produktionsprozess einstellenden Formalisierungen und Vereinheitlichungen regionale Unterschiede und Besonderheiten herausbilden konnten. Auch das ist in Roman Bezjaks Fotoarbeiten, die Bauten aus so unterschiedlichen Ländern wie Albanien, Ungarn und Polen zeigen, nachzuvollziehen.
Neben dem Wohnungsbau widmet sich Roman Bezjak auch den öffentlichen sozialistischen Bauten wie Kaufhäusern, Museen und Verwaltungsgebäuden. Im Vergleich zu den meisten Wohnbauten wirken diese sehr viel spektakulärer. Zu erwähnen wäre etwa der tetrisartige Bau für das georgische Verkehrsministerium und der kathedralenhafte Jugend- und Sportpalast von Priština. Bejzak geht es aber nicht um das Herausstellen spektakulärer sozialistischer Architektur. Diese ist für ihn gleichbedeutend mit den im Westen häufig so verschmähten Plattenbauten.
Seine Fotografien vergleichen und kategorisieren nicht. Weder die Ausstellung noch die dazu gehörige Publikation stellen bloße Informationen wie etwa den Standort und die Funktion des Gebäudes in den Mittelpunkt, das Baujahr und der Name des ausführenden Architekten werden überhaupt nicht erwähnt. Architektur ist in Bezjaks Fotografien stets Teil des historischen Zusammenhangs, in dem Erfahrung und Zeitlichkeit von zentraler Bedeutung sind. Gleichzeitig sind sie immer als Teil eines sozialen Gefüges zu erkennen. Dies sind die Stärken seiner fotografischen Arbeiten. Für eine wissenschaftliche Herangehensweise fehlt Roman Bezjak glücklicherweise die erforderliche neutrale Haltung. Im Interview sagt er: »Den neutralen Blick möchte ich gar nicht beanspruchen. Er ist eher emphatisch.« Seine Motivation erklärt der im ehemaligen Jugoslawien geborene und in Deutschland aufgewachsene Fotograf aus seiner Biografie, die »zu einer grundsätzlichen Empathie gegenüber östlichen Gesellschaften führt und auch zu einem Verständnis für die Zeit, in der die Bauten entstanden, in der die Utopie noch nicht ganz von der Wirklichkeit eingeholt war. Schwermut scheint einigen der Gebäude eingeschrieben zu sein, vielleicht ein Verweis auf das Scheitern, nicht nur der Gebäude selbst, sondern auch der dahinterstehenden Programmatik.«
Till Briegleb vergleicht in seinem Buchbeitrag Bezjaks Vorgehen mit dem Eugène Atgets, der die alten Pariser Viertel fotografierte, bevor sie der auf den Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann zurückgehenden sogenannten Haussmannisierung zum Opfer fielen. Ähnlich wie Atget rettet Bezjak das Andenken an zu Ruinen verkommene, dem Kapitalismus zum Opfer gefallene oder von Abriss bedrohte Betonbauten, indem er ihre Existenz fotografisch verbürgt. Unter seinen Fotos befinden sich auch solche, auf denen inzwischen abgerissene Bauten wie etwa der Berliner Palast der Republik zu sehen sind.

Roman Bezjak: Socialist Modernism. Hatje Cantz. Berlin 2011. 160 Seiten, 29,80 Euro

Roman Bezjak: Archäologie einer Zeit: Sozialistische Moderne. Sprengel Museum Hannover. Bis zum ­16. ­Oktober