Die Achselhaare von Nena

Berlin Beatet Bestes. Folge 105. The Tourists: I Only Want To Be With You (1979).

Ich kann dir doch helfen. Ich kann doch deine Kolumne schreiben«, schlage ich vor. Andi ist nämlich im Stress. Er muss noch zeichnen und zwei Artikel abliefern. So ist das halt, wenn man verreisen will. »Hättest ja früher anfangen können«, belehre ich ihn. Komisch, meine Vorwürfe helfen gar nicht. Vielleicht etwas konstruktiver? »Also, soll über Musik was sein, ja? Irgendwas, ja? Was denn zum Beispiel?« bohre ich nach.
»Schreib doch über die Tourists«, meint Andi.
»Häh, wer soll denn das sein?« frage ich.
»Das war die erste Band von Annie Lennox«, meint Andi.
Annie Lennox fand ich immer super. Als ihr Video zu »Sex Crime« rauskam, wollte ich unbedingt ihren Haarschnitt. Ich bin dann zu Polo – der hat uns damals allen die Haare geschnitten. »Ich muss genau diese Frisur haben – wie Annie Lennox in dem neuen Video.« Polo wusste sofort, was ich meinte. Neben dem Haareschneiden war Musik seine große Leidenschaft. Leider gaben meine Haare nichts her. Ich sah nach einer halben Stunde weder aus wie Annie Lennox in dem neuen Video noch überhaupt wie Annie Len­nox. Ich sah aus wie eine magersüchtige Verrückte, die aus der Klapse entflohen ist.
Und jetzt erinnere ich mich auch wieder daran, dass es eigentlich nach jedem Friseurbesuch Tränen gab. Ich war immer unzufrieden mit den neuen Haarschnitten. Bevor sich Polo an meinen Spaghettihaaren versuchte, ging ich zu einem normalen Friseur. Immer mit einem Bild aus irgendeiner Zeitschrift.
In der siebten Klasse wollten wir alle die Farrah-Fawcett-Löwenmähne. Kein Friseur sagte mir, dass man dazu vielleicht etwas dickere Haare braucht. »Klar, machen wir, kein Problem.« Wenn ich dann in den Spiegel guckte, sah das so schlimm aus, dass ich mir nur mit Mühe das Heulen verkneifen konnte, sofort in eine Drogerie stürmte, um mir »Gard Extra Stark« zu kaufen und die paar Fransen auf meinem Kopf irgendwie in Form zu bringen.
Nach Farrah Fawcett kam Nena. Wer wollte nicht diesen roten Minirock und diese fluffige Frisur? Alles, womit ich dienen konnte, waren Nenas Achselhaare.
Irgendwann sind wir alle dazu übergegangen, uns die Haare selbst zu schneiden. Den Kopf über die Badewanne hängen und einfach drauflosschnippeln. Dann Seife und Haarspray rein. Das ging irgendwie.
Dann kam das Färben. Meine erste Tönung war ein Desaster. Auf der Packung stand »Mahagoni« und »Tönung«. Jahrelang habe ich wirklich geglaubt, das wäscht sich wieder raus – ist ja nur getönt. Aber eigentlich ist das alles Färbung. Jedenfalls sah ich original aus wie Christiane F. Wie die wollte ich allerdings nicht aussehen.
Dann wurden die Haare einfach immer schwarz gefärbt. Irgendwann habe ich meine Haare dann gar nicht mehr gefärbt, und plötzlich fingen sie an, grau zu werden. Heute gehe ich ohne Foto von anderen Leuten zum Friseur. Ich sage einfach: »Mach’ mal irgendwie.« Und das kostet dann mit Färben und Schneiden 70 Euro, und Andi sagt, dass man gar nicht sieht, dass ich beim Friseur war. Allerdings gibt es auch keine Tränen mehr. Ich frage mich nur, was Annie Lennox immer gemacht hat mit ihren Haaren. Die sahen immer super aus.

Julia Tägert ist die Freundin von Andreas »Andi« Michalke, dem Autor von »Berlin Beatet Bestes«.