Erste Auswirkungen der »Extremismusklausel« in der Sozialarbeit

Extreme Treue zahlt sich aus

Seit fast einem Jahr müssen Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, eine Demokratieerklärung unterzeichnen, wenn sie staatliche Fördergelder erhalten wollen. Nun werden erste Projekte nicht mehr unterstützt.

Die Antwort war kurz, aber deutlich: »Die Bundesregierung sieht keine Probleme mit der Kontinuität der Arbeit vor Ort in ihren Programmen zur Extremismusprävention.« Mit diesen knappen Worten wurde Anfang Juli eine Kleine Anfrage im Bundestag beantwortet, in der sich Abgeordnete der Linkspartei nach den Auswirkungen der »Demokratieerklärung« erkundigten. In ihrer Anfrage hatten sie die Befürchtung geäußert, dass Projekte, Initiativen und Träger aufgrund der auch als »Extremismusklausel« bezeichneten Erklärung auf Fördermittel verzichten und ihre Arbeit einstellen müssten.
Die Bundesregierung begründet ihre Einschätzung damit, dass bislang kein Träger von Modellprojekten der Programme »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« und »Initiative Demokratie stärken« die für den Erhalt von Fördergeldern benötigte Unterzeichnung der Extremismusklausel verweigert habe.
Wie die Regierung zu dieser Einschätzung gelangen konnte, ist rätselhaft, denn einen Überblick konnte sie sich kaum verschaffen: Projekte, die keine Förderung mehr erhalten, werden administrativ nicht gesondert vermerkt, zumal die Zuständigkeit für die Anträge bei den Kommunen und Landkreisen liegt.
Knapp ein Jahr ist es nun her, dass Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) via Twitter die Öffentlichkeit über ihre Absicht in Kenntnis setzte, staatlich subventionierten Initiativen künftig ein Bekenntnis zur Verfassung abzuverlangen. Als sich abzeichnete, dass die Vergabe von Fördergeldern zusätzlich von der Bereitschaft der Organisatoren der Projekte abhängig gemacht werden sollte, ihre Kooperationspartner auf »extremistische« Strukturen zu überprüfen und selbst deutlich von »extremistischen« Tendenzen Abstand zu nehmen, kam es wegen des Generalverdachts zu empörten Reaktionen. Doch erst jetzt wird deutlich, wie sich die »Extremismusklausel« auf die bundesweite Aufklärungsarbeit auswirkt.

»In meinen Augen ist die Verknüpfung von po­litischem Engagement mit dem Zwang zur Unterschrift schlicht Erpressung«, bringt es Sascha Schmidt von der DGB-Jugend Südhessen auf den Punkt. »Angesichts der Einforderung einer Gesinnungsprüfung frage ich mich auch, wie viel Vertrauen, Wertschätzung und Interesse die Bundesregierung der politischen Arbeit gegen Rechts überhaupt entgegenbringt.« Der DGB in Hessen entschied sich nach langen Diskussionen dafür, die Klausel als Antragsteller des »Netzwerks für Demokratie und Courage e.V.« (NDC) zu unterzeichnen.
Derzeit betreut Schmidt ein Projekt des NDC im Schwalm-Eder-Kreis, das sich auch gegen die Aktivitäten der rechts­extremen Kameradschaft »Freie Kräfte Schwalm-Eder« richtet, eine der größten und stabilsten Neonazi-Gruppen in Hessen. Bundesweit bekannt wurde sie im Juli 2008 mit ihrem Angriff auf ein Sommerlager von Solid, der Jugendorganisation der Linkspartei. Dabei wurde ein schlafendes 13jähriges Mädchen beinahe getötet. In der Folge initiierten verschiedene Organisationen ein groß angelegtes Projekt, mit dem beispielsweise an Schulen über die Organi­sationen und Aktivitäten der Neonazis informiert werden soll. Im »Lokalen Aktionsplan« der Bundesregierung wird der Schwalm-Eder-Kreis zu den 23 Kommunen mit höchster Dringlichkeitsstufe gezählt. Eine Verweigerung der Unterschrift hätte das Aus bedeutet, eine alternative Finanzierung war angesichts der Kosten, die im fünfstelligen Bereich liegen, undenkbar.
An diesem Beispiel zeigt sich, wie perfide die Extremismusklausel funktioniert: Meist ehrenamtlich engagierte Menschen müssen sich entscheiden zwischen ihrer Überzeugung von der Notwendigkeit der antifaschistischen Aufklärungsarbeit vor Ort und der Ablehnung des Zwangs, sich dafür vor sich selbst und gegenüber anderen Menschen mit einem schriftlichen Bekenntnis zu rechtfertigen. Nur wenn sich die Projekte über Spenden oder Landeshaushalte finanzieren lassen, kann die Arbeit uneingeschränkt fortgesetzt werden. Das war bei einem der prominentesten Beispiele für eine Unterschriftenverweigerung der Fall: Die Initative »Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus« (MBR) aus Berlin wurde kürzlich noch im Roten Rathaus vom regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) für ihre langjäh­rige und erfolgreiche Arbeit gewürdigt, kurze Zeit später waren Mitarbeiterstellen gefährdet, weil der MBR erstmals die Finanzierung aus Bundesmitteln verweigert wurde.
Den Beschluss, die Unterzeichnung der Extremismusklausel abzulehnen, begründete die MBR mit dem drohenden Vertrauensverlust in der Zusammenarbeit mit anderen Projekten. Die Ini­tiative müsste, beispielsweise bei der Beratung und Fortbildung von Abgeordneten, vor einer Zusammenarbeit das Umfeld des Politikers durchleuchten und dabei dessen Mitarbeiter und Be­rater auf »extremistische« Tendenzen hin überprüfen. In anderen Projekten sind die Befürchtungen hinsichtlich der durch die Extremismusklausel verschärften Kontrolle längst Realität ­geworden.

Die Initiative »Jung, muslimisch, aktiv« (Juma), die antirassistisches und demokratisches Engagement junger Muslime fördert, erlebte das absurde Ausmaß der eingeforderten Extremismusinspektion: Für die Eröffnungsveranstaltung zu ­einem neuen Projekt musste die Initiative sogar einen geladenen Musiker auf Verfassungstreue überprüfen. Ließe sich das Ausmaß deutscher Gründlichkeit noch mit einer sarkastischen ­Bemerkung quittieren, vergeht einem beim Blick auf die umfangreiche Liste der Projekte, die ­wegen der Nichtunterzeichnung gefährdet sind, endgültig der Humor. So wird das »Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus« einen Großteil seiner Ideen nicht verwirklichen können, wie zum Beispiel die geplante Spurensuche nach deportierten jüdischen Kindern und Jugendlichen. Die Veranstaltungen unter dem Titel »Geschichte wird gemacht!« des »Conne Island« aus Leipzig und eine Publikation über Frauen in der Neonaziszene sind zwar bewilligt, aber ihre Finanzierung wird von der Unterzeichnung der Klausel abhängig gemacht. Und auch die »Antifaschistische Bildungsinitiative e.V.« aus Wetterau wird ihre Aufklärungsarbeit über Faschismus und Rassismus künftig wohl ohne Unterstützung durch den Bund fortsetzen müssen, weil sie eine Unterzeichnung der Klausel ablehnt: »Uns ist bewusst, dass wir hiermit als förderungswürdiger, eingetragener und gemeinnütziger Verein auf viel Geld verzichten. Jedoch verzichten wir lieber auf dieses und behalten unsere demokratischen Grundsätze bei, als uns selbst zu verraten.«

Die politische Grundlage für die Einführung der »Demokratieerklärung« ist die nivellierende Bewertung von »Links- und Rechtsextremismus«. Mit dem Ergebnis, dass dem Engagement gegen Rechtsextremismus zunehmend die staatlichen Fördergelder gestrichen werden. Betroffene Projekte, darunter die MBR, die Aktion Sühnezeichen und die Amadeu Antonio Stiftung, wollen das einjährige Jubiläum der Extremismusklausel im Herbst zum Anlass nehmen, auf deren Auswirkungen aufmerksam zu machen. Sie plädieren für ein Engagement ohne Einschränkungen. Ein Argument für diese Notwendigkeit liefert auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht, der in Ostdeutschland einen starken Anstieg gewalttätiger Übergriffe durch Neonazis verzeichnet.