Griechenland will Flüchtlinge abschrecken

Graben an der Grenze

Die griechische Armee baut einen Wassergraben entlang der etwa 50 Kilometer langen Grenze zur Türkei. Er soll die Migration erschweren, die die europäische Grenzschutztruppe Frontex nicht in den Griff bekommt.

Der Nutzen sei nicht von der Hand zu weisen: Der geplante teure Grenzzaun müsse nicht gebaut werden, illegale Einwanderer würden ferngehalten und die vom Grenzfluss Evros immer wieder überschwemmten Felder und Äcker würden drainiert – somit wird die Bevölkerung nach Ansicht der griechischen Regierung gleich dreifach vor Schaden geschützt. Die Arbeiten am Graben, so General Frangos Frangoulis, der Kommandeur des griechischen Heeres, seien in vollem Gange, ein Teilstück nahe der Stadt Orestiada sei bereits fertiggestellt worden. Der Graben soll ein zusätzliches Hindernis für Migranten sein.
Die Zahl der Flüchtlinge, die die Grenzstädte im Evros-Gebiet täglich erreichen, ist seit 2009 verzehnfacht. Seit Ende 2009 ist zudem die EU-Grenzschutztruppe Frontex präsent, was für noch mehr Unmut und offenen Protest der Bevölkerung sorgt. Frontex führt bereits die zweite »Joint Operation«, eine personell von mehreren Mitgliedstaaten getragene Operation, am Evros durch. Die Truppe kooperiert mit griechischen Polizeieinheiten, dem Militär, dem Geheimdienst und den türkischen Grenzschützern.

Die Menschen am Evros wissen, dass Frontex-Beamte vor allem nachts auf dem Fluss und den Spargel- und Baumwollfeldern an den Flussufern patrouillieren, flankiert von Flugzeugen und Helikoptern, die mit Hilfe von Nachtsichtgeräten Bewegungen orten und die Informationen an die Einheiten am Boden und auf dem Wasser weitergeben, die dann die Jagd eröffnen.
Das Hauptinteresse von Frontex ist es, die Menschen bereits in der Türkei aufzuspüren und von türkischen Grenzern festnehmen zu lassen. Sind die Flüchtlinge bereits auf dem Wasser, gilt es, sie zurückzutreiben oder anderweitig loszuwerden. »Sie drängen sie zurück in türkische Gewässer, zerstören die Boote oder überlassen sie dem Ertrinken«, sagt Nasim Mohammad vom Support Office for Immigrants and Refugees in Evros. »Frontex hat Kriegsgerät: Schiffe, Helikopter, Flugzeuge. Frontex verwendet Kriegstaktiken, führt Krieg gegen Flüchtlinge.«
Die Schleuser sind für die Wahl der Wege verantwortlich, die sie selbst nicht gehen. Sie setzen ihre menschliche Fracht in Gruppen in kleine Boote und schicken sie los. Viele der Migrantinnen und Migranten ertrinken oder werden von den Grenzschützern abgedrängt, andere erreichen das griechische Ufer und übernachten in kleinen Hütten, die andere Ankömmlinge zuvor gebaut haben. Am Tag durchqueren sie dann zu Fuß das unbesiedelte Anbaugebiet, in dem noch immer Minen aus der Zeit der türkisch-griechischen Kriege liegen.

In der Kleinstadt Orestiada erzählen die Bewohner von den Flüchtlingsgruppen, die immer wieder aus dem Nahen und Mittleren Osten, aber auch aus Afrika kommen und um Essen, Trinken oder Strom für ihre Handys bitten. Während NGO für 2009 noch von knapp 4 000 illegalen Grenzübertritten am Evros sprachen, wird die Zahl für 2010 auf knapp 50 000 geschätzt. Die meisten Flüchtlinge werden aufgegriffen und in einem der zahllosen Camps entlang der Grenze bis zu sechs Monate lang inhaftiert. Diese »Auffanglager« sind überfüllt und verfügen nicht über die erforderliche Infrastruktur.
Als unter anderem die NGO Ärzte ohne Grenzen im vorigen Jahr auf die unhaltbaren Zustände in den Camps hinwies, wurde auch Frontex kritisiert. Die Verantwortlichen bei Frontex behaupteten, nichts von den Lagern gewusst zu haben, da diese ausschließlich der griechischen Polizei unterständen. Dass viele Flüchtlinge den Grenzübertritt nicht überlebten und auf den muslimischen Dorffriedhöfen des Evros-Distrikts beerdigt wurden, wollte Frontex nicht kommentieren. Die Grenzschutztruppe behauptet, der Flüchtlingsstrom sei um 75 Prozent reduziert worden. Doch Flüchtlinge, die den gefährlichen Grenzübertritt wagen, werden sich auch von einem weiteren Hindernis wie dem Graben nicht abschrecken lassen.