Neues zum Olympischen Dorf von 1936

Hindenburghaus und Leninbilder

Das Olympische Dorf von 1936 hat mehr zu erzählen, als die Geschichtsforschung über die Nazispiele bislang herausgefunden hat.

Die Farbe an den Türen ist abgeblättert, Rost hat sich tief in die Fensterrahmen gefressen. Dicke Holzbretter vor den Fenstern verhindern einen freien Blick in die Gebäude und sollen wohl gleichzeitig die Einbrecher abschrecken. Das Gelände davor haben sich mächtige Birken zurückerobert.
Man kommt sich vor wie in einer Geisterstadt. Kaum vorstellbar, dass hier vor 75 Jahren das olympische Leben tobte. 14 Kilometer westlich vom Berliner Olympiastadion waren nämlich während der Olympischen Spiele 1936 rund 4 600 männliche Sportler und ihre Betreuer untergebracht – im Olympischen Dorf. Den nur 328 Athletinnen wurde ein Domizil direkt neben dem Olympiastadion zugewiesen.
Als im Mai 1931 die 11. Olympischen Spiele vom 1. bis zum 16. August 1936 an die deutsche Hauptstadt vergeben wurden, begannen die Organisatoren gleich mit der Suche nach einem Standort für das Olympische Dorf. Carl Diem, Generalsekretär des Olympischen Organisationskomitees, entschied sich für das 55 Hektar große Gelände in der Döberitzer Heide – wohl nicht nur wegen der guten Verkehrsverbindung zu den Sportstätten rund um das Berliner Olympiastadion. Ein Grund war auch die vorherige Nutzung des Areals durch die Wehrmacht. Von Anfang an kalkulierten die NS-Organisatoren, dass nach der Erweiterung und Modernisierung des Geländes und dem Abzug der Sportler gleich wieder die Soldaten Einzug halten sollten. Es gab von Beginn an eine Verbindung von Olympia- und Weltkriegsvorbereitung. Der Weltöffentlichkeit jedoch wurde das Olympische Dorf in der offiziellen Propaganda als ein »Dorf des Friedens« präsentiert.
Die Sportler waren von dem Dorf begeistert. Auf historischen Fotos sieht man ausschließlich fröhliche Athleten. Entspannt schlendern sie durch das vom Architekten Werner March entworfene Dorf. Die internationale Presse war voll des Lobes. Nur wenige Artikel kritisierten die Nazi-Propagandaveranstaltungen, die während der Spiele im Dorf stattfanden. Das Dorf wurde übrigens von seinem Architekten in Form einer Deutschland-Karte angelegt. Aber auch das fiel kaum jemandem auf.
Das Olympische Dorf spielte in der NS-Propaganda eine wichtige Rolle, die lange unterschätzt wurde. Den Teams sollte es an nichts mangeln. Ihnen standen modernste Trainingsstätten zur Verfügung: Ein Sportplatz, zwei Sporthallen, eine Schwimmhalle, mehrere Seen und diverse Trainingsräume in dem zentra­len Hindenburghaus sorgten für optimale Bedingungen. Sämtliche Anlagen waren mit mehrsprachigen Stewards besetzt, die den Athleten die Sportgeräte zur Verfügung stellten und die Sportstätten beaufsichtigten. Auch abseits der Übungsplätze wurden die Sportler so gut versorgt wie nie zuvor in der Geschichte der Spiele in der Neuzeit, also seit 1896. Im zentralen Speisehaus sorgten nicht weniger als 38 Küchen für eine landestypische Verpflegung der Bewohner des Olympischen Dorfes. Im Saal des zentralen Hindenburghauses wurde ein internationales Unterhaltungsprogramm geboten, bestehend aus diversen Ballett-, Theater- und Musikaufführungen. Arrangiert wurde das alles vom Deutschen Theater in Berlin. Bis zu 1 000 Athleten fasste der von den Nazis so bezeichnete Kulturraum. In einem Fernsehsaal konnten sich die Athleten erstmals bei Olympischen Spielen überhaupt die Übertragung der Wettbewerbe live im Fernsehen anschauen. Untergebracht waren die Sportler in insgesamt 140 Bungalows, zumeist in komfortablen Zweibettzimmern. Und wer sich entspannen wollte, derbesuchte die finnische Blocksauna.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Dorf zunächst zur Unterbringung von Vertriebenen genutzt. Danach bezog die Rote Armee das Gelände und blieb dort 47 Jahre lang stationiert. Noch heute wird der Kulturraum des Dorfes von einem Lenin-Bild geziert. Nicht viele Informationen drangen aus dieser Zeit an die Öffentlichkeit. Manche Gebäude des Dorfes wurden zwecks »Baustoffgewinnung« abgerissen. Andere, vor allem vierstöckige Plattenbauten für die Offiziersfamilien, wurden dem Gelände hinzugefügt. Das ehemalige Speisehaus nutzte dann der »Sportklub der Armee«. Im Jahr 1992 zog die Sowjetarmee, und das Gelände sollte endlich zivil genutzt werden. Der Start allerdings war wenig verheißungsvoll. Das zunächst noch ungeschützte Areal wurde von zahllosen Einbrechern und Vandalen heimgesucht. Heute existieren nur noch 16 Athletenhäuser, darunter das renovierte »Jesse-Owens-Haus« und einige zentrale Gebäude wie das Speisehaus. Seit 2005 versucht eine Stiftung als neuer Eigentümer, das Areal, das unter Denkmalschutz steht, wieder in seinen ursprünglichen baulichen Zustand zurückzuführen.
Immerhin ist wieder sportliches Leben ins ehemalige Dorf eingezogen. Auf dem Sportplatz spielt jetzt der Fußballverein ESV Lok Elstal.