Die Slutwalks sind feministische Proteste

Slut Pride!

Von anna kow

Die Schlampe verkörpert alles, was eine Frau nicht sein soll. Die Slutwalks stellen ein befreiendes Moment dar, denn sie richten sich gegen den Wunsch, weibliche Sexualität unter Kontrolle zu halten.

»Where is my parade? What about Slut Pride?«, fragte schon vor rund zehn Jahren die Stand-Up-Comedian Margaret Cho in ihrer Show »I’m the one that I want«. Jetzt ist es endlich soweit: Die Slutwalks brachten zum ersten Mal Frauen bewusst unter dem Label »Schlampe« auf die Straße, um für das feministische Anliegen der sexuellen Selbstbestimmung zu demonstrieren.
Dass sich Frauen den Begriff »Schlampe« positiv aneignen, ist nichts Neues – wenn auch der Fokus dabei nicht immer der gleiche war. Die Slutwalk-Bewegung formierte sich Anfang des Jahres, als ein Polizeibeamter an der kanadischen York University Frauen riet, sich nicht wie Schlampen anziehen, wenn sie nicht zu Opfern sexueller Übergriffe werden wollten. Die Aufforderung an Frauen, das Begehren des Mannes nicht unnötig auf sich zu lenken und damit die Verantwortung für dessen angebliche Triebhaftigkeit zu übernehmen, ist ein Element weiblicher Sozialisation – eines, das eigentlich längst überwunden sein sollte. Offenbar ist es aber immer noch notwendig, auf Demonstrationen Schilder mit der Aufschrift hochzuhalten: »Don’t tell women what to wear, tell men not to rape«.
In lesbischen Kreisen hatte sich Ende der neunziger Jahre die »Schlampagne« als Reaktion auf die geplante Einführung der Homoehe gegründet. Die selbsternannten Schlampen forderten statt der Ausweitung der Eheprivilegien auf Homosexuelle eine Anerkennung vielfältiger Lebens- und Liebesformen, die oft auch innerhalb einer auf Normalität und Anpassung ausgerichteten Szene auf Widerstand stießen. »Eine Schlampe ist eine widerständig l(i)ebende Frau, die ihre Beziehung­(en) keiner ›herr‹-schenden Norm anpassen und/oder unterwerfen will!« hieß es damals in einem Artikel über die Aneignung des Schlampenbegriffs. Schlampe zu sein, bedeutete schon immer, sich den Vorstellungen und allgemeinen Vorschriften von Ordnung und Anstand zu entziehen.

Genau darin liegt das widerständige Potential des Begriffs. Gleichermaßen Objekt der Verachtung und der Versuchung, verkörpert die Schlampe all das, was Frauen nicht sein sollen. Sie nimmt sich, was ihr nicht zusteht, ihr ist die eigene Lust wichtiger als die Moral. Im Hass auf die Schlampe verbinden sich die Empörung über die Hure, die es wagt, aus ihrem Frausein Kapital zu schlagen, der gekränkte Stolz des Mannes, dem das Begehrte verwehrt werden könnte, und der Neid von Frauen, die an der Schlampe all das erkennen, was sie sich selbst nicht zugestehen: eine aggressive und promiske Sexualität, Selbstbewusstsein trotz billigen Make-ups und Cellulite und den Vorrang des Genusses vor den alltäglichen Pflichten. Die Schlampe ist das Bad Girl, das benötigt wird, um kleine Mädchen zu Good Girls zu erziehen, das schmuddelige Negativ der Anständigen. In einem Kommentar auf dem Mädchenblog wird die Schlampe als eine Frau charakterisiert, die »aufreizend und eher billig gekleidet« sei, keine Manieren habe, dafür aber einen Hang zur Selbstdarstellung und ein »einseitig körper­fixiertes Verhalten«. Die paternalistische Aufforderung, sich nicht »wie eine Schlampe« anzuziehen, entspringt nicht nur dem Wunsch, weibliche Sexualität unter Kontrolle zu halten, sondern auch einem Ressentiment gegen die Unterschicht.
Die Gefahr, als Schlampe bezeichnet zu werden, trifft nicht alle Frauen gleichermaßen – es ist ein Privileg, beim Klang dieses Wortes nicht an unzählige Demütigungen erinnert zu werden. Aber »Slut Pride« bedeutet letztlich, sich der traditionellen patriarchalen Spaltung zwischen Heiligen und Huren zu verweigern: »Wenn wir auf einmal alle zu Schlampen werden, verliert die Fremdbezeichnung als Schlampe ihre Wirkungskraft«, schreibt rather_ripped auf dem Mädchenblog. Denn wenn es keine Heiligen mehr gibt, dann werden auch die Huren verschwinden.
Ob sich die selbsternannten Schlampen nun den Beziehungskonventionen des heteronormativen Mainstreams wie auch der lesbischen Szene widersetzen, das Ende des victim blaming einfordern oder das Recht, auch als Frau gierig, schamlos und ohne Angst vor Stigmatisierung ihre ­Sexualität zu leben: Es geht darum, Verhältnisse abzuschaffen, in denen weibliche Lust und se­xuelle Selbstbestimmung – inklusive dem Recht, etwas nicht wollen zu müssen – keine Selbstverständlichkeit sind. In diesem Sinne: Love sluts, hate sexism!