Linke Eltern und linke Kinder. Erfahrungsberichte

Die linke Brut

Wir alle kennen Linke, die zu Eltern werden. Andersherum passiert es eher selten. Manche von uns sind sogar selbst das Eine oder das Andere – oder versuchen womöglich, beides zu sein. Hier einige Berichte.

Kinder sind nicht links
Kinder sind nicht links. Sie kommen ohne Bewusstsein zur Welt, haben seltsame oder weniger seltsame Eltern. Sie fangen an zu laufen und zu sprechen und zu denken. Und sie passen sich perfekt ihrer Umgebung an. Die reinsten Überlebenskünstler. Zuerst laufen, sprechen und denken sie das, was man ihnen vormacht. Oder auch nicht. Stress gibt’s eigentlich nur um Süßigkeiten und Heiabettchen. Wenn du Werder-Fan bist, sind sie es auch. Das Dumme ist nur, dass sie auch Freunde haben: Die sind dann z.B. Hertha-Fans. Und das sind deine Kinder dann auch. Die ganze Sache lässt sich nicht mehr kontrollieren. Du bist nämlich kein Hertha-Fan, ganz im Gegenteil. Aber auf einmal gibt es hier blau-weiße Fanschals und Fahnen. Hey, das ist doch nicht mehr links! Wie wäre es denn vielleicht mit TeBe? 6:2 gegen Preußen! Wie? Sechste Liga interessiert doch keinen?
Kinder sind Mainstream. Die wollen »Drei ???«, Kung Fu Panda 2 und Bayern München. Warum? Weil Kinder nicht gerne verlieren. Das haben sie schon bei »Mensch ärgere dich nicht« gelernt. Sie wollen zu den Gewinnern gehören. Ich habe es einige Male erlebt, wie mein Sohn während eines Fußballspieles seine Meinung geändert hat – ach nee, Köln ist doch nicht so doll, ich bin ab jetzt für Schalke. Empathie ist zwar da, aber es fehlt das Leiden-Wollen. Und das braucht man doch gerade als Linker. Die Fähigkeit sein Selbstbewusstsein aus einer Geschichte der Niederlagen zu ziehen. Und daraus, auf eine hellere Zukunft für uns alle zu schließen (wobei: so naiv sind Kinder nicht). Oder in ätzenden Zynismus zu verfallen (aber: das macht keinen Spaß). Und überhaupt: Es fehlt der ideologische Überbau. Kinder sind nicht links.
Heiko von Schrenk

Wer braucht schon Freunde?
Gegen linke Eltern ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Doch birgt die Vermehrung, neben Lohnarbeit, Baugruppen und Parteien, die akute Gefahr, die Reihen der Genossinnen und Genossen auszudünnen. Um dem entgegenzuwirken, brauchen linke Eltern zwingend linke Freundinnen und Freunde ohne Kinder – wie eine Allee die Bäume braucht.
Denn sind die Kleinen noch winzig und benötigen rund um die Uhr Aufmerksamkeit, vergessen auch linke Eltern schnell, dass es ein Leben jenseits der Windelworld gibt. Politische Analysen und Szenetratsch sind daher von ihren Freundinnen so regelmäßig an sie heranzuführen wie Penatencreme an den Babypopo. Da sich linke Eltern untereinander nur mit einer Vorbereitungszeit von mindestens sechs Wochen und zur Kaffeezeit besuchen können, brauchen sie Freunde ohne Kinder, um nicht zu vereinsamen und vernünftige Gespräche zu führen, die nicht im Geschrei untergehen. Diese Freunde kommen auch mal spontan am Abend vorbei oder passen auf die Brut auf, während die linken Mütter und Väter am Kneipentisch diskutieren.
Mit den Kindern wächst der Betreuungsbedarf der Eltern. Reifen die Racker zu kleinen Prinzessinnen und Mini-Mackern heran, benötigen ihre Eltern jemanden, der ihnen versichert: Nein, ihr seid nicht schuld, das war der Kapitalismus. Rümpfen die Kinder erst über Kapuzenjacken, Drogenkonsum und fehlende Altersvorsorge der Eltern die Nase, bedarf es der Erklärung, dass sich die Sprösslinge abgrenzen müssen. Und werden diese dann ganz furchtbar tolerant, denken nur an die Karriere und wählen Grün, geht es erst recht nicht ohne linke Freundinnen, die, nicht gebeugt durch solche Schicksalsschläge, den Eltern Mut machen.
Sind die Kleinen endlich aus dem Haus, ereilt die linken Eltern die Midlife-Crisis, die ihre Freunde ohne Kinder schon längst hinter sich haben. Die helfen dann bei der Verarbeitung der bitteren Erkenntnis, dass das Leben kein Pixi-Büchlein ist, kennen gute Therapeuten und wissen, dass alles irgendwann wieder besser wird. Wenn es so weit ist, kann der Kampf weitergehen.
Regina Stötzel
Man spricht Deutsch
Der frühkindliche Spracherwerb ist eine faszinierende Angelegenheit. Aus dem anfänglichen Gebrabbel des Kindes werden wiederkehrende Laute, sie verwandeln sich allmählich in erkennbare Silben und wortähnliche Äußerungen. Dann ist es so weit: Das Kind sagt sein allererstes Wort. Doch damit nicht genug. Wie von selbst kommen Wörter hinzu, denn überall schnappt das Kind neue auf, sehr zum Erstaunen und zur Freude der Eltern. So wächst der Wortschatz des kleinen Vokabelsammlers unaufhörlich.
Er wächst aber vor allem: unaufhaltsam. Das merken linke Eltern, wenn ihr Kind eines Tages aus dem Kindergarten kommt, einen Ball in die Hand nimmt und, offensichtlich von der Begeisterung seiner peer group für die Fußballweltmeisterschaft aufs Heftigste infiziert, ganz laut plärrt: »Deutschland! Deutschland!« Dann ist der Jammer groß. Unser Kind! Wie konnte das nur geschehen? Was haben wir falsch gemacht? Wie drängend das Problem ist, zeigt sich bei jedem Gang auf den Spielplatz. Ein »Deutschland! Deutschland!« schreiendes Kind rennt ballspielend über die Wiese, die Eltern laufen mit gesenkten Köpfen hinterher. Was tun? Den Mund des Kindes mit Seife auszuwaschen oder einen unbarmherzigen Teddybär-Entzug zu verhängen, ist für linke Eltern ja nicht drin. Nun, vielleicht hilft dieser Rat: Manchmal zeigt ein sanftes elterliches Gegensteuern gute Ergebnisse. Neben »Deutschland! Deutschland!« eignen sich die Kleinen nämlich auch schnell »Holland! Holland!« oder »Uruguay! Uruguay!« an. Allerdings haben wir ein Problem, liebe linke Miteltern. Der 8. Juni 2012 rückt unaufhaltsam näher. Dann beginnt die Fußball-EM. Bis dahin gilt es, die Farben Schwarz, Rot und Gelb vorsorglich aus dem Malkasten und der Wachsmalkreidensammlung zu entfernen und sich auf Schlimmes gefasst zu machen.
Francis Klein

Sie oder wir
Zweierlei Sorten linker Eltern gibt es hierzulande. Bei der einen gilt: Wenn es dir schon nicht gelingt, zu deinen Lebzeiten die Welt zu verbessern, verbessere an ihrer Statt deinen Nachwuchs. Mach aus ihm den Prototyp einer besseren Zukunft. Versuche, aus ihm schon im Kindesalter das altkluge, frustrierte, verkniffene Wesen zu verfertigen, das du selbst heute bist. Deine Kinder sollen schließlich einmal den Planeten retten. Damit sie frühzeitig lernen, wie das geht und wie ein moralisch einwandfreies Leben aussieht, werden sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit zuckerfreien Bio-Reiswaffeln vollgestopft und dazu genötigt, mit Fingerfarben Mandalas zu malen. Wer die von Selbstgerechtigkeit zerfressenen Gesichtszüge der Eltern und ihre erloschenen Zöglinge sieht, fragt sich sofort, wer die bemitleidenswerteren Geschöpfe sind, die verbiesterten Künast-Eltern oder ihre Zombiekinder.
Die andere Sorte linker Eltern verwöhnt hingegen ihre Brut nach Strich und Faden, in der Absicht, den Sprösslingen nichts von alldem vorzuenthalten, was ihnen selbst von den Eltern in der Kindheit verwehrt worden ist, und ihnen die Ahnung einer Welt des Wohlstands und Genusses, für die es zu kämpfen lohnt, mit auf den Lebensweg zu geben. Was sie auf diese Art erschaffen, sind kleine Monster, die, wenn sie einmal zwölf sind, für ihr Marken-Sweatshirt, ihr Smartphone oder irgendeinen anderen bunten oder blinkenden Plastikscheiß mehr Zärtlichkeit empfinden werden als für ihre Erzeuger, die von ihnen nur noch als lebende Geldautomaten wahrgenommen werden.
Leider wird oft vergessen: Kinder sind unsere natürlichen Feinde. Die ihnen gemäße Staatsform ist die Diktatur. Wenn sie könnten, würden sie unser Konto plündern, uns in der Küche anketten, uns eine Magnum an die Schläfe halten und uns 24 Stunden am Tag Schokoschaumkuchen backen lassen. Wenn Sie einmal gehört und gesehen haben, was ein Kind an einer Supermarktkasse zu veranstalten in der Lage ist, um Sie fertigzumachen, dann wissen Sie: Ihren süßen kleinen Fratz, den Sie zu einem besseren Menschen erziehen wollen, können Sie jederzeit als akustisches Folterinstrument in Guantánamo einsetzen. Für den Umgang mit Kindern gilt, was für den Krieg gilt. Es gibt nur ein Gesetz: Sie oder wir. Sie sollten also wissen, was zu tun ist. Die Anwendung von Verhütungsmitteln ist einfach zu erlernen.
Thomas Blum (Unser Autor ist ausgebildeter Erziehungswissenschaftler)

Interview mit einem »Kind«
Alena ist in einem Hausprojekt aufgewachsen. Heute ist sie 17 und wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in einer Einfamilienwohnung. Sie sitzt auf dem Balkon, vor sich eine rosafarbene Shisha, die ihr eine Schulfreundin aus dem Libanon mitgebracht hat. Sie bläst Rauchkringel.

Sind deine Eltern links?
Joaaaa.
Was ist für dich links?
So kommunistisch-mäßig.
Woran merkt man, dass dein Papa links ist?
An den Demos.
Musstest du als Kind schon auf viele Demos gehen?
Ja, auf sehr viele. Ich glaub, der fand das so geil, einfach gegen die Polizei und gegen die Politiker zu sein. Jeden Tag auf eine Demo gehen, das war das Beste überhaupt, besser als eine Party. Da kennt man jeden, am besten malt man noch ein paar Plakate und nimmt noch eine Horde Kinder mit.
Hat dich das genervt?
Als Kind noch nicht. Auch weil man nicht so mitbekommen hat, dass andere Eltern ihre Kinder nicht auf Demos schleppen. Ich kann mich auch noch erinnern, da waren wir auf einer 1.-Mai-Demo, da hat der sich einfach gedacht, wenn was ist, dann renne ich einfach mit ihr weg. Das würde ich mit meinen Kindern später nicht machen. Das wär’ mir ein bisschen zu gefährlich.
Du hast gesagt, links ist kommunistisch-mäßig. Was stellst du dir unter »kommunistisch« vor?
Ja, halt so die Arbeiter, die immer so zusammenhalten und sich so cool fühlen, dass sie Arbeiter sind und die reichen Leute hassen und auch gar nicht reich sein wollen. Zum Beispiel Papa, der wohnt ja richtig gerne im Wedding. Und den Prenzlauer Berg hasst er, macht sich lustig über die Leute da: Einen auf High Society tun, in ihre Cafés gehen und Latte Macchiato trinken.
Und wie findest du das?
Die finde ich auch komisch, die ganzen Prenzlauer-Berg-Szene-Menschen. Die bilden sich ein bisschen zu viel ein. Aber in Zehlendorf, da ist es nochmal krasser, da wirst du komisch angeguckt, wenn du nicht viel Geld hast.
Möchtest du lieber ein Arbeiterkind sein?
Joa. Aber ohne die Demos. Wenn es jetzt so krass wäre, dass die Leute zum Beispiel am Erfrieren sind, weil die nichts zum Heizen haben, dass man dann demonstriert, das kann ich verstehen. Aber so für allgemeine Sachen, die einen eigentlich nicht interessieren müssten? Und dann noch so viel? Das ist ein bisschen übertrieben.
Paul Schwan
Rappelkiste oder Abitur?
Auch mein Leben hat Michael Ende zerstört. Wir, das sind die Menschen aus der Generation Toco­tronic, also die Opfer der antiautoritären Erziehung. Auch wenn meine Eltern keine sogenannten 68er waren. Doch man kam als Kind der Siebziger gar nicht drum herum, Rappelkiste zu schauen, Musik vom Gripstheater zu hören und sich in die phantastische Welt Phantásiens zu flüchten. Das war Mainstream. Damals wurde man quasi automatisch links erzogen. Für Kindersendungen wie die Rappelkiste gab’s 1975 den Adolf-Grimme-Preis (großartig: »Rappelkiste – Vom Arbeiten müssen« auf Youtube). Und was kam dabei heraus? Voll die Schluffies wie ich. Jahrelang studiert, ohne Abschluss und auch sonst keine Ausbildung.
Und jetzt bin ich am Ruder. Meine Tochter ist fast zwei Jahre alt. Demnächst ziehe ich in den sogenannten Rütli-Kiez in Berlin-Neukölln, damit sie nicht unter Deutschen aufwächst und auch ja die Härten des Lebens kennenlernt. Ginge es nach mir, würde meine Kind kein Abitur machen, sondern eine Schlosserlehre, damit es gar nicht erst mit diesem ganzen humanistischen Bildungsquatsch in Berührung kommt. Aber leider habe ich ja nur das halbe Sorgerecht. Mein Kind soll bloß nicht so werden wie diese ganzen Prenzlauer-Berg-Kinder. Denen werde ich es zeigen, diesen grünen Bio-Eltern. Denn was für die 68er die faschistische BRD war, das ist für mich der grüne Wohlfühl-Kapitalismus. Meine Tochter wird mich rächen. Sie wird eines Tages mit einer Tonne Dioxin in einen Bioladen gehen und das ganze verfluchte Obst und Gemüse verseuchen. Sie wird bei American Apparel heimlich T-Shirts aus Sweatshops unter die Ware schmuggeln. Aber nein, halt, das kann ich meiner Tochter ja nicht antun, verdammt. Naja, dann ziehe ich eben doch in ein Hausprojekt mit Solardach und einen energieeffizientem Blockheizkraftwerk im Keller. Was soll’s. Dann wird mein Kind später eben nicht links, sondern macht irgendwas mit Medien. Das ist ja auch ein ehrenwerter Beruf.
Maximilian Schulenburg
Gaybies und Väterinnen
Regenbogenfamilien sind angesagt. Es gibt sie schon in der Werbung, in TV-Serien, Kinderbüchern. In Berlin sollen Schülerinnen und Schüler über »lesbische und schwule Lebensweisen« aufgeklärt werden. Die Regenbogenwelt, die im Mainstream dargestellt wird, unterscheidet sich kaum von der heterosexuellen Welt, denn, so lautet die Botschaft: Die sind nicht anders als wir und Kinder machen alle glücklich. Auch ich hätte eine ganz homonormale Familie haben können, wenn ich es gewollt hätte.
Wollte ich aber nicht. Auch mit Kind wollte ich Teil der Subkultur bleiben. Nur musste ich feststellen, dass das nicht so einfach war. Zunächst einmal, weil es »in der Szene« immer weniger Beziehungen im klassischen Sinne gibt, zumindest in der Theorie. Polyamorie gilt Linken als emanzipatorisches Modell, die Liebe zu verwalten, und die Auffassung, monogame Beziehungen seien total uncool, ist sehr verbreitet. Denn Monogamie basiert auf Exklusivität, diese produziert das reaktionärste aller Gefühle, nämlich Eifersucht, die wiederum Besitzansprüche mobilisiert und folglich völlig abzulehnen ist. Dieser Liebeskommunismus hat sicherlich viele Vorteile, mit dem Kinderkriegen ist er allerdings kaum vereinbar. Denn es gibt kaum etwas Exklusiveres als die Beziehung eines Kindes zu den Eltern, und es bestehen keine Chancen, dass sich ein dreijähriges Kind auf eine Diskussion über Besitzansprüche einlässt.
Nicht-heterosexuelle Eltern, die sich weigern, Teil der glücklichen Homowelt zu sein und ihre Kinder »Gaybies« zu nennen, haben es noch schwerer. Nicht nur die Exklusivität, sondern auch die eigene Gender-Identität kann zum Problem werden. Der Umgang mit Identitäten ist in der queeren Subkultur zwar flexibler als in anderen Kreisen, aber sobald Kinder im Spiel sind, beginnen die Schwierigkeiten mit der gender performance. Als leibliche Mutter wurde ich immer wieder an meine eigene biologische Rolle erinnert, ob ich das wollte oder nicht. Dabei habe ich früher immer peinlich darauf geachtet, meinen Sohn nicht in der Öffentlichkeit zu stillen. Sobald das Kind mich »Mama« nennt, wird meiner Partnerin eine Rolle zugeschrieben, die sie nicht immer ausübt, nämlich die der Co-Mutter, manchmal auch »Väterin« genannt. Und ganz schwierig wird die Sache mit der Identität immer dann, wenn sich herausstellt, dass es zum Kind auch noch einen »Bio-Vater« gibt und dass dieser nicht bloß ein Samenspender war. Als queere Mama muss ich meine street credibility permanent verteidigen.
Bianca Ravel
Ein Hobby weniger
Statt Plena, Demos und Kapitalismuskritik nur noch Spielplatzgeplauder, Rückzug in die Privatheit und die Beschäftigung mit Bio-Babybreirezepten – so sehen die Vorurteile vieler Linker gegenüber der Elternschaft ihrer einstigen Genossinnen und Genossen aus. Auch wenn die Entscheidung, ein Kind in diese deprimierende Welt zu setzen, bei den Eltern liegt, tragen viele Linke selbst zum Ausschluss der sich mehr oder weniger bewusst Reproduzierenden bei.
Kinder fressen nicht nur Biobrei, sondern auch jegliches Hobby, das die Eltern einmal hatten, es sei denn, Aufräumen und Babybespaßung waren bereits die liebsten Freizeitbeschäftigungen. Das gilt auch für das Hobby Politaktivismus, das so gut wie immer kinderinkompatibel ist. Wage ich mich mit dem Kleinkind zu einem Politplenum, untermalt es die Diskussionen mit Trommelrhythmen und Dada-Gesängen. Unangepasste Anarchos, die sich sonst zu jedem Hardcore-Gebrüll prima unterhalten können, gucken böse und haben kein Verständnis für die kindliche Kreativität. Wir müssen gehen.
Wie wäre es dann mit einer Demo? Da ist es bereits laut und es gibt was zu sehen für die Kinder. Natürlich nur ein Protest mit möglichst wenig radikalen Forderungen, denn auf jeden Fall gilt es, Stress mit der Polizei zu vermeiden. Verbannt ans Ende der Demo in den Kinder- und Gehbehindertenblock, ist es nicht zu laut und einigermaßen sicher. Dafür bekommen wir nichts davon mit, was vorne läuft, und können uns mit anderen Eltern darüber unterhalten, welcher Buggytyp am besten für die schnelle Flucht geeignet ist, falls die Polizei sich doch entschließen sollte, die Demo von hinten zu überrollen. Auf den Soli-Partys danach, wo in der Szene sowieso das Wichtigste entschieden wird, können wir uns auch nicht mit Baby blicken lassen: giftige Kippenstummel, bruchgefährdete Bierflaschen, gehörschädigendes Musikgewummer. Sollte ich aus Babysittermangel doch mal kurz in Kinderbegleitung vorbeischauen, sind mir auch da die bösen Blicke sicher. Das ist doch kein Platz für ein Kind! Nein, der ist Zuhause, im konformistischen Familien­idyll.
Nicole Tomasek
Das ist kein Spiel
Die Geschichte menschlicher Konflikte beginnt auf dem Spielplatz. Wehe, ein anderes Kind hat einen größeren Bagger, eine längere Schaufel, einen bunteren Ball: Schon beginnt ein Kampf, den nur der Stärkere gewinnen kann. Völlig hoffnungslos ist die Situation, wenn man unvorbereitet einen Sandkasten besucht und keine eigenen Gerätschaften dabeihat. »Komm, lass doch den lieben Paul mit deinem Lastwagen spielen, du hast doch noch sooo viele andere Spielsachen!« Teilen ist besser als besitzen, alles schön gerecht verteilen, wer weniger hat, dem wird gegeben – Pustekuchen! Mit linkem Gewäsch ist hier rein gar nichts zu gewinnen.
Konservative wie Frank Schirrmacher grübelten vor kurzem öffentlich darüber nach, ob die Linke nicht doch Recht haben könnte angesichts der globalen Wirtschaftskrise. Auf dem Spielplatz zumindest werden linke Eltern immer wieder mit Eigenschaften ihrer Sprösslinge konfrontiert (das begierige Horten von Spielzeugwaffen gehört auch dazu), die sie eigentlich eher bei bösen Geldsäcken, verachteten Spießern oder anderen Feindbildern vermutet hätten, nicht gerade bei ihren Lieblingen.
Auch soziohistorisch längst überwunden geglaubte Rollenbilder holen die (Hetero-)Eltern ein, die immer schön auf dem Christopher Street Day mitgelatscht sind und sich für ganz freie, selbstbestimmte Individuen gehalten haben: Max will partout nicht mit dem Puppenhaus spielen und seine Schwester Mia denkt nicht daran, sich für den Traktor mit Anhänger zu begeistern. Und überhaupt ist es heute schwer, wenn man zu H & M oder C & A geht, sein Kind so zu kleiden, dass nicht jeder dessen Geschlecht schon an der Mütze erkennt. Da müssen linke Eltern sich richtig Mühe geben: Bruno hat schulterlange blonde Locken und Lara ihren ersten Iro. Der wird natürlich mit der rosafarbenen Barbie-Bürste frisiert. Während Bruno erklärt, er sei ein Wikinger.
Anton Landgraf