Das Verhältnis von Staat und Kirche in Spanien

Nie wieder Reconquista

Im Nationalkatholizismus der Franco-Diktatur arbeiteten Staat und Kirche zusammen. Das Spektakel des Weltjugendtags und der pompöse Besuch von Papst Benedikt XVI. im August in Madrid täuschen darüber hinweg, dass die katholische Kirche in Spanien gesellschaftlich inzwischen stark in die Defensive geraten ist.

Als Papst Johannes Paul II. 1982 nach Spanien reiste, erklärte er das Land zur spirituellen Reserve Europas. Von dort sollte die Reevangelisierung des Kontinents ausgehen. Damit knüpfte er an eine Vorstellung von Spanien an, die es seit den Tagen der Reconquista und der Gegenreformation mit dem Katholizismus identifizierte und als Glaubensbewahrer ansah. Die spanische Kirche war dadurch zur Stütze der Mächtigen und einer reaktionären Gesellschaftsordnung geworden.
In den dreißiger Jahren bekämpften Linksrepublikaner und die antiklerikale Arbeiterbewegung energisch den gesellschaftlichen Einfluss der Kirche. Unter anderem der damit heraufbeschworene Konflikt führte zum Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939, aus dem die Feinde der Republik als Sieger hervorgingen. In der folgenden Diktatur des Generals Francisco Franco, die bis zu seinem Tod 1975 andauerte, bekam die katholische Kirche ihre alten Rechte zurück, und Spanien wurde zu einem konfessionellen Staat erklärt.

Den Bürgerkrieg hatte die Kirche als »Kreuzzug« gerechtfertigt. Das Konkordat mit dem Vatikan von 1953, in dem die katholische Kirche die Diktatur Francos nicht ausdrücklich, aber de facto legitimierte, war ein entscheidender Schritt, um die Isolation des Landes zu überwinden. Zugleich profitierte die Kirche vom engen Bündnis mit dem franquistischen Staatsapparat. Durch konfessionelle Schulen und die Zensur konnte die Kirche einen enormen gesellschaftlichen Einfluss ausüben. Dieser äußerte sich etwa in einer vehementen Unterdrückung freier Sexualität und der Unterwerfung der Frauen unter patriarchale Normen.
Doch im Laufe der Zeit veränderte sich die Rolle der Kirche. Spanische Arbeiter und Bauern waren nach dem Bürgerkrieg sehr arm und wegen der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen schutzlos. Der spanische Wirtschaftsaufschwung führte seit den sechziger Jahren zwar langfristig zu einem deutlichen Anstieg des Wohlstandes, zunächst sorgte der Strukturwandel jedoch für schwierige Lebensbedingungen. So entstanden in industriellen Zentren wie Madrid Elendsviertel mit Arbeitsmigranten aus den armen Landstrichen Südspaniens.

In diesen Siedlungen engagierten sich »Arbeiterpriester« für die sozialen Belange. Aus den katholischen Arbeiterbruderschaften gingen illegale Gewerkschaften hervor. Viele politisierte christliche Arbeiter radikalisierten sich mit der Zeit, Kommunist und Katholik zu sein, war bald kein Gegensatz mehr. Auch die baskischen und kata­lanischen Nationalbewegungen erhielten Unterstützung durch den katholischen Klerus. Große Teile der Kirche gerieten so in scharfen Konflikt mit dem Regime, das mit Härte zurückschlug und sogar Priester verhaften ließ.
Nach einem Wechsel an der Spitze der Bischofskonferenz und unterstützt von Johannes Paul II., setzte in den achtziger Jahren wieder eine konservative Wende in der spanischen Kirche ein. Gegen die Wiedereinführung der Scheidung kämpfte sie ohne Erfolg, im Abtreibungsrecht konnte sie allerdings eine sehr restriktive Regelung durchsetzen. Bald begannen katholische Geistliche, einen Werteverfall in Spanien zu beklagen. So behauptete Kardinal Ángel Suquía Anfang der neunziger Jahre, die Demokratie als solche sei wegen des in ihr angelegten Agnostizismus die Ursache der bestehenden Probleme.
Mit derartigen Anmaßungen reagiert die Kirche auf ihren gesellschaftlichen Machtverlust. Denn innerlich hat sich ein Großteil der Spanier weit vom katholischen Glauben entfernt, viele sind reine »Ritualkatholiken« geworden. Sie gehören weiterhin der Kirche an und begehen Feste wie Taufe, Eheschließung oder Totenfeier gerne im kirchlichen Rahmen, aber sonntags geht nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung in die Kirche. Selbst praktizierende Christen weichen in ihrem Glauben oft von den katholischen Dogmen ab. Auf dem Gebiet gesellschaftlicher Werte steht der Katholizismus vollkommen im Abseits. Der bekannte Schriftsteller Antonio Muñoz Molina merkte hierzu vor kurzem in der Zeit an, dass der vermeintliche Werteverlust keineswegs die Familien zersetze. Vielmehr führe umgekehrt der traditionell starke Zusammenhalt spanischer Familien dazu, dass besonders ältere Menschen toleranter würden. Die katholisch erzogene Mutter akzeptiert eher die Homosexualität ihrer Tochter, als sie zu verstoßen.
»Spanien hat aufgehört, katholisch zu sein«, meinte bereits 1931 der damalige Ministerpräsident Manuel Azaña polemisch. Heute hätte die Aussage eine gewisse Gültigkeit. Allerdings ist das weniger das Werk politischer Laizisten wie Azaña, was sich auch an den schwachen antiklerikalen Protesten gegen den jüngsten Papstbesuch gezeigt hat. Vielmehr hat sich die spanische Gesellschaft allmählich säkularisiert. Jugendliche arbeiten sich heute meist nicht mehr an der Religion ab und werden zu erklärten Atheisten, wie noch Teile ihrer Elterngeneration. Religion und Kirche haben in ihrer Alltagswelt schlichtweg keinen Platz mehr.

Auf diese für die Kirche besorgniserregenden Entwicklungen reagiert diese mit Gegenwehr. Als die sozialdemokratische Regierung unter Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero seit 2004 einige Reformvorhaben wie die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die Etablierung des Faches Staatsbürgerkunde als Alternative zum Religionsunterricht oder die Vereinfachung der Scheidung anstieß, lief die Kirche dagegen Sturm. Die mittlerweile stramm rechte Haltung der spanischen Amtskirche zeigt sich auch in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung. Im Bürgerkrieg und zu Beginn der Diktatur brachten die spanischen Faschisten Hunderttausende Linke um, sperrten sie in Gefängnisse und in Arbeitslager. Die Kirche stützte diese Verbrechen ideologisch und wollte die »Roten« umerziehen. 1971, in ihrer regimekritischen Phase, bedauerte die Kirche schließlich, nicht stattdessen zur Versöhnung beigetragen zu haben, und auf einer Konferenz von Klerikern wurde eine diesbezügliche Resolution vorgelegt. Bei der Abstimmung wurde die nötige Zweidrittelmehrheit jedoch verfehlt, immerhin stimmte eine einfache Mehrheit der Resolution zu.
Als Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 für das im Namen der Kirche in der Geschichte verübte Unheil um Vergebung bat, wies die spanische Bischofskonferenz ein ähnliches Ansinnen für Spanien zurück. Die Bischöfe sahen vielmehr die Kirche selbst als erstes und wahres Opfer des Bürgerkriegs an. Das von der Regierung Zapateros eingebrachte Gesetz zur Rehabilitierung der »republikanischen« Opfer des Bürgerkriegs lehnten sie ab. Stattdessen ließen sie 498 »Märtyrer«, Ordensleute und Priester, die 1936 der revolutionären Gewalt zum Opfer gefallen waren, selig sprechen. Papst Benedikt XVI. vollzog die Zeremonie im Oktober 2007 in Rom vor 50 000 spanischen Pilgern.
So kann die Kirche weiterhin Getreue und überzeugte Katholiken für ihre Belange mobilisieren. Häufig hat sie dabei die konservative Volkspartei (PP) an ihrer Seite. Doch wenn der PP die kommenden Wahlen am 20. November erwartungsgemäß gewinnt, ist in gesellschaftspolitischen Fragen kein großer Umschwung zu erwarten. Denn auch große Teile seiner Wählerschaft haben sich von katholischen Dogmen und Moralvorstellungen entfernt. Die Reevangelisierung Europas ist bereits in Spanien steckengeblieben.