Taqwacore und die muslimische Punk-Szene in den USA

Punk ist groß

Ein US-amerikanischer Konvertit hat ihn erfunden: Taqwacore, muslimischen Punk. Sein Buch über eine islamische Hardcore-WG in Buffalo gilt als Gründungsdokument der Bewegung.

Am Anfang war alles nur die Idee eines einzigen Menschen. Michael Muhammad Knight, ein US-amerikanischer Konvertit Mitte Zwanzig, hatte einfach nur einen Roman schreiben wollen. Einen Roman über Muslime, die Punks sind. Genau wie er. Die ersten Auflagen seines Buches mit dem Titel »The Taqwacores« hatte er noch per Hand kopiert. Das war im Jahr 2002. Mittlerweile ist sein Roman von zwei Verlagen veröffentlicht worden. Ins Französische wurde er übersetzt und ins Italienische. Es geht darin um junge Muslime in einer WG in Buffalo. Am Wochenende steigen wilde Parties, während der Woche werden die Gebetsteppiche ausgerollt. Im vergangenen Jahr wurde die Geschichte der Punk-WG sogar verfilmt, der Film lief auf dem legendären Sundance Festival in Utah. Was zunächst nur eine Erfindung Michael Muhammad Knights war, ist mittlerweile Realität geworden: In den USA hat sich eine kleine muslimische Punkszene herausgebildet.
In Omar Majeeds Dokumentarfilm »Taqwacore – The Birth of Punk Islam« erzählt Knight, wie aus der fiktiven Band namens The Taqwacores die reale Band gleichen Namens geworden ist. »Einer, der sich bei mir meldete, war so ein 15jähriger Perser aus Texas. Er schrieb mir und fragte, wie er die Leute aus dem Roman treffen könne, und ich antwortete: ›Es tut mir leid. Das ist alles fiktiv, und das sind alles fiktive Charaktere. Taqwacore gibt es nicht.‹ Da sagte er: ›Dann werde ich dafür sorgen, dass es Taqwacore gibt, denn ich bin Taqwacore.‹« Kourosh Poursalehi hat Wort gehalten. Wenig später ist sein Bandprojekt Vote Hezbollah, benannt nach einer Gruppe in Knights Buch, ein Act bei der Taqwacore-Tour geworden, die quer durch die USA führt. Omar Majeed hat die Tour in der ersten Hälfte seines Films dokumentiert.
Im grünen Tourbus sitzen neben Knight und und Poursalehi die Mitglieder der Bostoner Band The Kominas und die Frauen der kanadischen Riot-Grrrl-Band Secret Trial Five. Höhepunkt der Tour ist der Auftritt bei einer Großveranstaltung der Islamic Society of North America in Chicago, der mit einem Polizeieinsatz endet. Die Organisatoren warfen den Künstlern vor, ihr Gebaren sei haram, also nach islamischem Recht verboten.
Michael Muhammad Knight erklärt das Konzept von Taqwarcore so: »In diesem sogenannten Kampf der Kulturen strecken wir unsere Mittelfinger in beide Richtungen.« Die meisten Taqwacores in Nordamerika sind Migranten der zweiten Generation, aufgewachsen mit dem alltäglichen Widerspruch zwischen der muslimischen Kultur ihrer Eltern und dem westlichen way of life ihrer Nachbarn und Mitschüler. Als Muslime waren sie gesellschaftliche Außenseiter. Spätestens seit 9/11. Als muslimische Punks sind sie doppelte Außenseiter. In der Punkszene waren sie meist die einzigen Nicht-Weißen weit und breit, und ihre Familien hatten oft keinerlei Verständnis für den Krach, den sie Musik nennen. Taqwacore ist für die Musiker auch eine Art Selbstermächtigung. Nach dem Motto: Ihr wollt uns nicht? – Uns egal, wir haben jetzt etwas Eigenes!
Taqwacore ist ein Phänomen der muslimischen Diaspora. In islamisch geprägten Ländern ergäbe dieses Konzept keinen Sinn. In Malaysia und Indonesien etwa existieren gigantische Punkszenen, doch haben diese mit Taqwacore wenig bis gar nichts gemein. Auch Bands wie Demo­khratia aus Algerien oder Detox aus dem Libanon können nicht diesem Genre zugerechnet werden. Taqwacore setzt die Erfahrung voraus, als Fremder wahrgenommen zu werden. Punks im Maghreb oder in Südostasien könnten einfach aufhören, Punks zu sein, und sich wieder in die Gesellschaft eingliedern. Viele tun nach ein paar Jahren genau das. Taqwacores in den USA aber werden aufgrund ihrer Religion und meist auch wegen ihrer Hautfarbe immer »Andere« sein. Selbst im Anzug oder im Abendkleid werden sie – zumindest in den Augen eines Großteils der Bevölkerung – noch lange und vielleicht für immer poten­tielle Terroristen sein. Für den rechten Mainstream der USA im Zeitalter von Sarah Palin und Glenn Beck gilt der Islam als unamerikanisch. Und so lange sich mit Angst mehr Wählerstimmen sammeln lassen als mit Vernunft, wird sich daran auch wenig ändern.
Die Taqwacores reagieren darauf, wie Punks schon immer reagiert haben: mit Witz und Provokation. So fordern The Kominas in einem ihrer bekanntesten Songs die Einführung der Sharia in den USA. Zu finden ist der Song auf ihrem ersten Album »Wild Nights at Guantanamo Bay«. Ihre Kritik an überkommenen, rigiden und patriarchalen Wertvorstellungen innerhalb der muslimischen Communities ist noch expliziter. In Knights Buch wimmelt es nur so von Verstößen gegen islamische Rechtsvorschriften und Glaubensgrundsätze. Da wird gesoffen und gekifft. Gebete werden von Frauen und Nicht-Muslimen geleitet. Schwule Muslime diskutieren mit Feministinnen im Hijab über die Vorzüge der Masturbation. Jehangir, charismatischer Kopf der Taqwacore-Hausgemeinschaft, lädt mit einer verstimmten E-Gitarre zum Gebet.
Für Hassan Malik von Sunny Ali and the Kid ist Taqwacore »ein Ort für all die Muslime, die von den meisten traditionellen Muslimen nicht akzeptiert werden«. Es ist ein Ort für junge Muslime, die sich irgendwie der Umma zugehörig fühlen, sich den rigiden Moralvorstellungen jedoch widersetzen, weil sie im Westen aufgewachsen und entsprechend sozialisiert worden sind. Taqwacore an sich ist so etwas wie der »West-östliche Diwan« mit aufgesprühtem Anarchie-A. Schon das Wort selbst, ein Portmanteau aus »Hardcore« und dem arabischen Wort taqwa (Gottesfurcht), ist eine Fusion, kein Beitrag zum Kampf der Kulturen. Allen, denen die Reinheit der Lehre wichtig ist, muss ein solches Phänomen missfallen.
Die Bewegung kann auch als eine Art Reformationsbewegung gedeutet werden. Es wird nicht gefragt, ob jemand Regeln einhält, es bleibt jeder und jedem Einzelnen überlassen, ob er oder sie sich als Muslim fühlt oder nicht. Wo Horden von Rechtsgelehrten an jeder Ecke Un­islamisches wittern, nicht wenige ihren eigenen Lebensstil religiös überhöhen und jede Abweichung als Abfall vom Glauben brandmarken, gibt das Konzept von Taqwacore den Gläubigen die Macht über den eigenen Glauben zurück. Der Islam wird hier aufs Wesentliche reduziert: Es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Alles andere ist Bonus. Viel Kann, aber keinerlei Muss. Damit bleibt Raum für Abweichung, für die Möglichkeit, ohne Angst anders sein zu können. Wer glaubt, er sei der bessere Muslim, weil er dieses tue oder jenes unterlasse, ist auf der falschen Fährte.
Wohin die Community unterwegs ist, wird die Zukunft zeigen. Vielleicht war der Kinofilm bereits der Höhepunkt der Bewegung. Vielleicht wird er aber auch eine ganz neue Welle von Taqwacore hervorbringen. In diesen Tagen läuft der Film in Großbritannien an, dem Land, in dem Punk explodierte. Vielleicht wiederholt sich die Geschichte ja. Auch damals kam der Funke aus dem Nordwesten der USA. Die Ramones und die New York Dolls kamen aus New York City. Das imaginäre Punkhaus aus dem Roman »The Taqwacores« steht in Buffalo im US-Bundesstaat New York. Das passt doch eigentlich ganz gut.