Eine Ausstellung über den Komponisten John Cage in Berlin

Der Mann, der die Musik neu erfand

Im nächsten Jahr wäre John Cage 100 Jahre alt geworden. Unter dem Titel »A Year From Monday« würdigt die Berliner Akademie der Künste den Komponisten mit einer umfangreichen Ausstellung, die bis zu seinem runden Geburtstag am 5. September 2012 zu sehen ist.

Wie stellt man John Cage aus? Wie begegnet man in einer Jubiläumsausstellung einem Komponisten, der sich weigerte, sich um die Aufführbarkeit und Tradierung seiner Musik zu sorgen? Diese Fragen hat sich die Berliner Akademie der Künste zum 100. Geburtstag von John Cage gestellt und versucht nun, sie ein Jahr lang immer wieder neu zu beantworten. Seit dem 6. September, dem Tag, an dem Cage 99 Jahre alt geworden wäre, findet im Bauhaus-Pavillon der Akademie im Berliner Tiergarten die Projektreihe »365 Tage Cage – A Year From Monday« statt. Ausstellungen zu Cage und mit ihm assoziierten Künstlern, Musik- und Tanzveranstaltungen sowie Performances wechseln sich über das Jahr hinweg ab.
Die Komplexität, die Überlagerungen und auch die Ausschweifungen des Themas wurden von den Kuratoren eingeplant, um im Kontext des Museums einem Künstler gerecht zu werden, der die Musik neu erfinden wollte und daran gearbeitet hat, Systematiken, Vorgefundenes und tradierte Vorstellungen zu zerstören. Dabei ist Cage längst in den Kanon aufgenommen worden. »Cage Studies« sind heute eine eigene universitäre Disziplin. Zu dem 1992 in New York verstorbenen Musiker und Komponisten existiert inzwischen umfangreiche Fachliteratur. Es war ein langer Weg bis dahin: vom rebellierenden und zugleich unentschlossenen Studenten über den zunächst erfolglosen und unverstandenen Künstler bis hin zu einem der führenden Vertreter der Avantgarde und Experimentalmusik ist Cage spätestens seit seinem Tod eine Art Heiliger der Neuen Musik.
1912 wurde Cage in Los Angeles geboren. Sein Vater war Erfinder, seine Mutter schrieb gelegentlich für die Los Angeles Times. Obwohl er schon in jungen Jahren Klavier spielen lernte, wollte er zunächst Autors und Schriftstellers werden. Am Ende seiner Schulzeit schrieb er sich an der Universität ein, die er nach wenigen Tagen ernüchtert und enttäuscht verließ. Stattdessen reiste er nach Europa und lernte dort während seines mehrmonatigen Aufenthalts die Musik von Komponisten wie Igor Strawinsky und Paul Hindemith kennen.
Sein Interesse an zeitgenössischer Kunst und Musik war geweckt, als er nach Kalifornien zurückkehrte. Cage war zu diesem Zeitpunkt immer noch unschlüssig, welchen Berufsweg er einschlagen sollte. Schließlich nahm er Unterricht bei Arnold Schönberg, um dessen Zwölftontechnik zu studieren. Doch auch dieses Studium brach er wieder ab: »Nachdem ich zwei Jahre lang bei Schönberg Musik studiert hatte, sagte Schönberg: ›Um Musik zu schreiben, müssen Sie ein Gefühl für Harmonie haben.‹ Ich erklärte ihm, dass ich kein Gefühl für Harmonie hätte. Darauf erwiderte er, ich werde stets auf ein Hindernis stoßen, es sei so, als ob ich an eine Mauer käme, durch die ich nicht hindurch könne. Ich sagte: ›In diesem Fall will ich mein Leben damit verbringen, mit meinem Kopf gegen diese Mauer zu schlagen.‹«
Cage arbeitete von nun an als freiberuflicher Komponist, hatte anfangs wenig Erfolg und wurde von seinen Kollegen belächelt. Allmählich veränderte sich jedoch sein Leben und nahm Konturen an. Er heiratete die Künstlerin Xenia Andreyevna Kashevaroff und verkehrte in einem Zirkel junger Avantgardekünstler. Mitte der fünfziger Jahre ging er mit einem Stipendium der Guggenheim Foundation erneut nach Europa und lernte dort zeitgenössische Komponisten kennen: Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono und Pierre Boulez arbeiteten daran, Schönbergs Zwölftontechnik mit seriellen Kompositionstechniken zu erweitern. Zur selben Zeit lernte er den Komponisten Morton Feldman kennen. Beide verwarfen die europäische Tradition der Komposition und versuchten sich an offenen Kompositionsmodellen. An die Neue Musik stellten sie die Frage, »wie weit man ins Feld ohne offene Kontrollpunkte schießen kann«, wie Cage sein Vorgehen und sein Ziel formuliert.
Damit war der Wendepunkt seiner künstlerischen Karriere erreicht, seine wichtigste Phase als Künstler oder besser: als Anti-Künstler begann. Mit dieser Zeit beschäftigt sich auch die Projektreihe in der Akademie der Künste. Dabei gelingt es den Kuratoren, das Werk des gerne als Ausnahmekünstler bezeichneten Komponisten in einen Zusammenhang zu stellen. Im ersten Raum der Ausstellung ist die Schau »Kon­trolle und Zufall« über den Komponisten und Architekten Iannis Xenakis zu sehen, die bereits in Los Angeles und New York gezeigt wurde. Dem »Anarchisten Cage« wird der »platonische Kommunist« Xenakis gegenübergestellt. Genau wie Cage hat Xenakis seine Musik als Antipode zur seriellen Musik formuliert, beide haben sich mit dem Zufall als Prinzip der Musikkomposition beschäftigt. Während Cage die chaotische Vielzahl der Töne, das temporäre Moment des Entstehens einer Komposition, das »Happening« betonte, untersuchte Xenakis sie mit den Mitteln der Mathematik, der Stochastik. Dabei entfalten die Partituren von Xenakis als Ausstellungsobjekte eine ganz eigene Schönheit. Xenakis erscheint als Zeitgenosse, Pendant und Gegenspieler von Cage. Der Betrachter hat die Chance, sich den unterschiedlichen Herangehensweisen beider Künstler zu nähern.
Der zweite Raum ist Cages langjährigem Arbeits- und Lebenspartner Merce Cunningham gewidmet. Die Videoinstallation »Merce Cunnigham performs STILLNESS to John Cage’s composition ›4’33‹« verbindet künstlerische und biographische Aspekte. Als Cage den Tänzer und Choreographen kennenlernte, trennte er sich von seiner Frau Xenia Andreyevna Kashevaroff, um mit Cunningham eine Beziehung einzugehen. Von ihm lernte er die vielfältigen Ausdrucks­formen des Tanzes kennen. Thema der Video­installation ist Cages Komposition ›4’33‹. Da in dem Schlüsselwerk der Neuen Musik während der gesamten Spieldauer kein einziger Ton gespielt wird, stellt eine Aufführung dieses Werkes die gängige Auffassung von Musik radikal infrage.
Der letzte Raum ist eine Hommage an Cage. Abstrakte Schwarzweißbilder von Mitgliedern der Akademie wie Eberhard Blum, Arnold Dreyblatt und Reinhard Jirgl können als künstlerische Kommentare zu Cages Schaffen verstanden werden. Es ist der intimste Raum, wahrt aber trotzdem Distanz. Näher wird man Cage glücklicherweise nicht mehr kommen. Auch wenn die Kuratoren der Ausstellung kein abschließendes Urteil fällen, so bedeutet eine Jubiläumsausstellung doch auch, dass man die Möglichkeiten der Avantgarde der Geschichte zurechnet. Die Ausstellung vermittelt so den Eindruck, dass die Utopien der Moderne der Vergangenheit angehören, dass jene Freiheit, die Cage und seine Zeitgenossen erforscht und erschlossen haben, in der auf Redundanz, Zitation und Recycling angelegten klaustrophobischen Kultur der Postmoderne nicht mehr gesucht wird.

Cage, Cunningham, Xenakis. Akademie der Künste, Berlin. Bis 27. November