Eine Ausstellung über 50 Jahre türkisches Kino in Berlin

Die Grüne Tanne kehrt zurück

Vor 50 Jahren wurde das sogenannte Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei abgeschlossen. Eine Kreuzberger Ausstellung widmet sich aus diesem Anlass auf ganz eigene Art der Migrationsgeschichte und erfindet 50 Filme des türkischen Kinos neu.

Ein typischer Dialog in der Galerie Maifoto klingt so: »Ich möchte das bestellte Bild abholen, das mit dem kubanischen Motiv.« »Das aus Polen meinen Sie?« Was die Fotografin Ute Langkafel sich mit ihren thematischen Serien vorgenommen hat, funktioniert: Gewohnte Sichtweisen und Zuordnungen werden dekonstruiert, vermeintlich Bekanntes erscheint aus völlig neuer Perspektive. In einem polnischen Dorf sieht es eben manchmal genauso aus, wie die durchschnittliche Kreuzbergerin sich den karibischen Sommer vorstellt.
In Langkafels Ladengalerie gegenüber dem Kreuzberger Kino Babylon fallen als erstes die großformatigen Städteansichten auf. Keine von ihnen ist eindeutig einem Ort zuzuordnen. Die dargestellte Hochhauslandschaft könnte in Bratislava zu finden sein, in Warschau oder in Berlin. Diese Unsicherheiten sind beabsichtigt. Schon in der Serie »Açık – Offen« hat Langkafel übliche Vergleiche der Istanbuler und Berliner Stadtteile Kreuzberg und Beyoğlu mit ungewöhnlichen Darstellungen konterkariert. »Vermeintliche Ähnlichkeiten sind konstruiert, sie entspringen nicht der Wirklichkeit«, sagt sie.
Auch ihre Annäherung an den 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei widerspricht den staatlichen Jubiläumsfeiern, die die Anwerbung als Erfolgsgeschichte verkaufen. »Den Menschen aus der ersten Generation von Migrantinnen und Mi­granten werden immer wieder die gleichen Fragen gestellt: Wo hast du gearbeitet, wie waren die ersten Eindrücke in Deutschland, willst du wieder zurückkehren? Sie leben seit fünf Jahrzehnten hier und werden behandelt, als seien sie gerade erst angekommen«, sagt Langkafel. Statt Migranten auf ihren Platz zu verweisen, schafft die Ausstellung Platz für kulturelle Erinnerungen: »Dönüş« lädt zu einer Auseinandersetzung mit dem türkischen Film ein und ruft zur Aneignung dieses Teils der – auch deutschen – Kulturgeschichte auf. Gezeigt werden 50 Originalplakate türkischer Filme aus den 50 Jahren von 1961 bis 2011. Allein die thematische Breite widerlegt vorherrschende Wahrnehmungsmuster, denen zufolge die vermeintlich nur als Produktionshelfer und Gemüsehändler tätigen Einwanderer aus der Türkei nichts zur kulturellen Entwicklung des Landes beizutragen hätten.
Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist aber die Neuerschaffung der Motive durch die Besucher. Seit dem 9. September lädt Langkafel dazu ein, einen Platz auf einem selbstgewählten Filmplakat einzunehmen und dieses neu zu interpretieren. Ein Autorenteam erstellt dann gemeinsam mit den Besuchern einen neuen Text, der in der Originaltypographie auf dem Plakat abgedruckt wird. Das Original und die Reinszenierung mit neuem Text und den abgebildeten Besuchern werden vom 28. Oktober an präsentiert.
Der Titel der Ausstellung, die in Kooperation mit dem Festival »Almanci – 50 Jahre Scheinehe« des Ballhauses Naunynstraße und dem Magazin Freitext stattfindet, bezieht sich auf den gleichnamigen Film von Türkan Şoray aus dem Jahr 1972. »Dönüş« (»Rückkehr«) thematisierte erstmals die Arbeitsmigration aus der Türkei nach Deutschland. Den aus der Fremde heimgekehrten Gastarbeiter präsentiert die Regisseurin als lächerliche Figur in modischem Anzug, der seine auf dem Land zurückgebliebene Ehefrau und die Dorfbewohner mit seiner Arroganz schockiert.
Zumindest türkisch-deutsche Filme werden spätestens seit Fatih Akıns »Gegen die Wand« und dessen Auszeichnung mit dem Goldenen Bären unwidersprochen als Teil der deutschen Kulturgeschichte wahrgenommen. Filmemacher türkischer Herkunft wurden in den Kanon aufgenommen, wenn auch nie ohne genau diese Zuschreibung: Sie bleiben Regisseure mit Migra­tionshintergrund und sollen das auch möglichst ausdrücklich thematisieren. Dementsprechend war die Komödie »Almanya – Willkommen in Deutschland« der Schwestern Yasemin und Nesrin Şamdereli der Publikumserfolg des Jahres 2011, in der »Lindenstraße« ist heutzutage auch Platz für den kleinkriminellen Jugendlichen Orkan aus Berlin. Immerhin darf Sibel Kekilli eine Tatort-Kommissarin mit deutsch klingendem Familiennamen geben. Möglich wurden selbst solche geringfügigen Veränderungen erst durch das sozialkritische Kino der siebziger und achtziger Jahre. Für die Zeit davor stellt der Filmhistoriker Claus Löser fest: »Das Thema interkultureller Konfrontation und Integration kam im bundesdeutschen Film über Jahrzehnte quasi nicht vor.«
Rainer Maria Fassbinders »Katzelmacher« von 1969, aber auch Filme von Regisseuren türkischer Herkunft betrachteten zunächst Ausgrenzung, Einsamkeit und Fremdheit der Gastarbeiter aus der Türkei. Das Klischeebild der »geschundenen Suleika«, das die Literaturwissenschaftlerin Karin Yeşilada für die sogenannte Migrationsliteratur diagnostizierte, findet sich auch in diesen Filmen wieder. Betroffenheitsfilme mit sozialpädagogischem Impetus wie Helma Sanders-Brahms’ »Shirins Hochzeit« (1975) und Tevfik Başers »40 qm Deutschland« von 1985 entsprachen dem Überlegenheitsgefühl der deutschen Mehrheitsbevölkerung, erlaubten aber zugleich eine erste Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Arbeitsmigration.
Der Filmkritiker Georg Seeßlen konstatierte Mitte der achtziger Jahre den Beginn eines »Kinos der Métissage«, das ihm zufolge nicht mehr von Fremdheit, sondern von der »kulturellen Verschmelzung« erzählt. Der Auftakt war 1980 »Gölge«, der Abschlussfilm von Sema Poyraz an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Den endgültigen Bruch mit der paternalistischen Mitleidshaltung und den immergleichen Klischees von der Unterdrückung der orientalischen Frau erlaubten Filme wie »Ich Chef, du Turnschuh« von Hussi Kutlucan aus dem Jahr 1998, der sich mit satirischen Mitteln dem Rassismus der deutschen Gesellschaft näherte, und Kutluğ Atamans in der Kreuzberger Schwulenszene angesiedelter »Lola und Bilidikid« von 1999.
Eine Chance, produziert zu werden, haben dennoch vor allem Filme wie Feo Aladağs »Die Fremde« aus dem vergangenen Jahr, der Zwangs­ehen und Ehrenmorde thematisiert. Martina Priessner, Filmwissenschaftlerin und eine Mitorganisatorin der Ausstellung, ist davon nicht überrascht: »Die Produktionsfirmen sind fast ausschließlich weiß und deutsch besetzt. Einwanderung gilt als Nischenthema und muss den Erwartungen entsprechend präsentiert werden.«
Dass nicht nur die Einwanderung, sondern auch die türkische Kulturgeschichte längst Teil des kulturellen Gedächtnisses ist, greift das Projekt »Dönüş« auf. Angeregt wurde die Idee von der Geschichte des gegenüberliegenden Kinos. Heute heißt es Babylon und erinnert in keiner Form an seine Vergangenheit. Von 1973 bis 1983 befand sich hier das »Kent Sinema«. Es zeigte als erstes Berliner Kino ausschließlich türkische Filme und bot damit einen bedeutenden Teil des kulturellen Angebots in der damaligen Kulturwüste Kreuzberg. »Pro Wochenende hatten wir zwischen 2 500 und 4 000 Kinobesucher, je nachdem, was das für ein Film war. Viele waren bereit, das Fünffache des normalen Preises, also 25 Mark, zu zahlen«, erzählt Zuhal Özver, die damalige Betreiberin. Von den sozialkritischen Studien Yılmaz Güneys, die er zum Teil aus dem Gefängnis heraus leitete, über die beliebten Komödien mit Metin Akpınar und Zeki Alasya bis zu Erotikfilmen reichte das Programm. »Das waren natürlich keine Pornofilme, aber die waren schon ziemlich freizügig. Uns hat es sehr gewundert, dass die Leute mit ihren Kindern, Opa und Oma kamen und sich amüsierten. Anfang der achtziger Jahre ging es jedoch schlagartig zu Ende, als das Militär putschte. Vom kulturellen Leben blieb nichts übrig«, erinnert sich Özver.
In Deutschland war es nicht das Militär, das dem Kino als sozialem Treffpunkt ein Ende setzte. Dafür sorgte 1983 die Erfindung der Video-Kassette. Auch daran erinnert sich die Kinobetreiberin: »Am Wochenende blieb man jetzt zu Hause, lud Freunde und Verwandte zu sich ein, es wurde gemeinsam gegessen, getrunken, geplaudert und es wurden eben Filme geschaut. Das Video kostete nur drei Mark und war eine unglaubliche wirtschaftliche Erleichterung. Unsere Zuschauerzahlen sind dadurch schlagartig eingebrochen.«
Die deutsche Mehrheitsgesellschaft zeigt bis heute wenig Interesse am türkischen Film. Obwohl schon 1964 der erste Goldene Bär an einen türkischen Regisseur ging, ist selbst Cineasten nicht einmal der damals ausgezeichnete Film »Susuz Yaz« ein Begriff. Der Taz gelang es noch im Jahr 2008, den Filmtitel und den Namen des Regisseurs Metin Erksan zu verwechseln. Die Vorurteile vom rückständigen Anatolier hätten vielleicht die oft erotisch angehauchten Filme der Yeşilçam-Ära ausräumen können. Bis zu 300 Filme wurden in den sechziger und siebziger Jahren jährlich produziert, was nicht unbedingt zu ihrer Qualität beitrug, die Türkei aber zum fünftgrößten Filmproduzenten weltweit machte. Das »Yeşilçam«-Prinzip (Der Name »Grüne Tanne« verweist auf die Istanbuler Straße, in der die wichtigsten Produktionsfirmen angesiedelt waren) entsprach dem der Bollywood-Industrie: Teilweise drehte ein Team zwei Filme gleichzeitig, längere Drehzeiten als zwei Wochen standen kaum einem Regisseur zur Verfügung. »Diese Filme wurden in einem sehr industriellen Sinne gemacht – der künstlerische Aspekt blieb im Hintergrund«, erklärt der Filmkritiker Attila Dorsay. Vielleicht dienten sie auch einfach als Möglichkeit, den Zensor zu umgehen – nicht umsonst konnte beispielsweise Yilmaz Güneys 1982 gedrehter »Yol« erst 17 Jahre nach seiner Fertigstellung in der Türkei gezeigt werden. Heute haben die Yeşilçam-Produktionen Kultstatus, der Istanbuler Stadtteil Beyoğlu vergibt jährlich den »Yeşilçam Award« für herausragende Filme.
Allein schon wegen ihrer reißerischen Darstellung von leichtbekleideten Frauen und bewaffneten Männern sind die Yeşilçam-Filme in der Ausstellung prominent vertreten – Kriterium für die Auswahl der Plakate war nicht ­allein die filmhistorische Bedeutung, sondern vor allem der visuelle Eindruck. Deshalb hängen neben bunten Cartoons an den italienischen Neorealismus erinnernde Plakate wie das zu Güneys Armutsdrama »Umut« von 1970 und hochdramatische Fotocollagen wie das Motiv zu Mahsun Kırmızıgüls Film »Güneşi Gördüm – Ich sah die Sonne« von 2009, der die Vertreibung einer kurdischen Familie aus der Osttürkei schildert. Daneben warten Annäherungen an die Arbeitsmigration auf ihre Entdeckung. Neben dem titelgebenden »Dönüş« erschien 1993 Sinan Çetins »Berlin in Berlin«, dessen Protagonist sich im Schrank einer türkischen Familie versteckt und sich langsam und mühevoll integriert – eine Persiflage auf »40 qm Deutschland«, die hier auf vier Qua­dratmeter reduziert werden. In diese Reihe gehört auch »Gurbetçi Şaban«, in dem der Volksschauspieler Kemal Sunal 1985 Deutschland besucht und kulturelle Stereotype auf den Kopf stellt.
Dass der türkische Film einen festen Platz im kulturellen Gedächtnis Berlins hat, beweisen die Reaktionen auf die Ausstellung. Immer wieder erzählen Besucher von ihren Erinnerungen an die Filme, beispielsweise von der Enttäuschung darüber, dass der Mann auf dem Poster im Wohnzimmer gar kein Verwandter der Eltern, sondern der berühmte Yılmaz Güney war. An diese Erinnerungen knüpfen die Reinszenierungen an. Sie bieten eine Möglichkeit, von der ­eigene Identität zu erzählen, ohne sich Zuschreibungen von außen zu unterwerfen. Dementsprechend vielfältig geraten die neuen Bilder, die Langkafel gemeinsam mit den Protagonisten entwickelt. Wenn das gewählte Plakat zu »Madde 438« neben der Hauptdarstellerin einen Mann zeigt, der Ehemann der Besucherin aber tot ist, wird ein Foto in die Kamera gehalten. Wenn Ingeborg und ihre Freundinnen einfach irgendein Foto wollen, wird lange über das passende Motiv diskutiert. Wenn ehemalige Mitglieder der Kreuzberger Gang »36 Boys« ein Foto ihres Fußballteams haben möchten, werden sie als »Hababam Sınıfı« porträtiert, die Schulklasse aus der erfolgreichen Verfilmung des Romans von Rıfat Ilgaz. Ein Nebenprodukt der Shootings sind die Geschichten, die dabei erzählt werden. Sema Peyaz, die Regisseurin von »Gölge – Der Schatten«, reinszeniert das Plakat zu Güneys Klassiker »Yol«. Ihre Wahl begründet sie mit einer persönlichen Erinnerung an den Regisseur, den sie einst in einem Kreuzberger Restaurant einladen wollte – und prompt von allen Gästen am Tisch entsetzt angestarrt wurde.
»Dönüş« ist ein Statement gegen herrschende Diskurse in Deutschland, wo bis vor wenigen Jahren noch durchgängig von Ausländerfeindlichkeit gesprochen wurde, wenn es um Rassismus ging, wo der türkisch-deutsche Film erst dann wahrgenommen wird, wenn er zur Bereicherung der deutschen Filmlandschaft beiträgt, und wo Migrationsgeschichte immer noch als Geschichte der »Ausländer« gilt. Vielleicht ist die Erzählung persönlicher Erinnerungen der einzig mögliche Weg, sich der Geschichte des Anwerbeabkommens zu nähern, ohne angesichts der unendlichen Integrationsdebatte und neu aufgewärmter Anwerbepläne inklusive Rotationssystem in Zynismus zu verfallen.

Galerie Maifoto, Dresdener Straße 18, 1099 Berlin. Öffnungszeiten: Mittwoch, Freitag und Samstag 12 Uhr bis 18 Uhr, Donnerstag 12 Uhr bis 22 Uhr.