Die Linkspartei und die Drogen

Angetörnte Debatte

Mit der Forderung nach Legalisierung aller Drogen hat die Linkspartei ein Thema wieder in die öffentliche Diskussion gebracht, um das es zuletzt ruhig geworden war. ­Jedoch ist unter Schwarz-Gelb kein Wechsel in der Drogenpolitik zu erwarten.

»Wir treten daher für eine rationale und humane Drogenpolitik ein, was eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums und langfristig eine Legalisierung aller Drogen beinhaltet.« Mit diesem kleinen Satz, den sich die Linkspartei vor fast zwei Wochen auf dem Erfurter Parteitag in ihr Grundsatzprogramm geschrieben hat, wurde eine erregte Debatte über Drogenpolitik ausgelöst, wie es sie länger nicht gegeben hatte. Focus etwa titelte: »Koks ja – Banken nein«. Harald Schmidt witzelte in seiner Show auf Sat1 zwischen zwei Werbeblöcken mit Bierwerbung über ein fiktives neues Logo der Linken: »Hammer und Spritze«. Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, konnte sich überhaupt nicht mehr halten: »Die Linke will unsere Kinder und Jugendlichen ungeschützt und ungestraft den Dealern harter Drogen aussetzen.«
Im Entwurf hatte man noch die »Legalisierung weicher Drogen« gefordert. Im Gespräch mit der Jungle World sagt der drogenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Frank Tempel: »Wir waren nicht überrascht, dass wir auf dem Parteitag den Antrag durchbekommen haben, auf die Unterscheidung von ›weichen‹ und ›harten‹ Drogen zu verzichten. Dass allerdings im Anschluss das Medieninteresse daran so groß war, war nicht unbedingt zu erwarten.« Und dies versetzte die Parteiführung offensichtlich in Panik. Denn hektisch setzten Gregor Gysi und Klaus Ernst per Geschäftsordnungsantrag eine Ergänzung zum Beschluss durch. »Das bedeutet die Entkriminalisierung der Abhängigen und die Organisierung von Hilfe und einer legalen und kontrollierten Abgabe von Drogen an diese«, heißt es darin nun.

Tempel wertet die Ergänzung keinesfalls als Relativierung des ursprünglichen Beschlusses. Sie bedeute, dass »nicht nur«, sondern »auch« die Entkriminalisierung von Abhängigen gefordert werde. Weiterhin solle »der Besitz und Konsum komplett entkriminalisiert werden«, erläutert er. »Die Ergänzung war insofern wichtig, weil die Abhängigen natürlich am stärksten von der Problematik betroffen sind.« Damit bleibt die Forderung nach einer wenn auch langfristig angestrebten Legalisierung bestehen. Sie wird auch von einzelnen Vertretern anderer Oppositionsparteien positiv bewertet.
So sagte Tibor Harrach, Sprecher der »Landesarbeitsgemeinschaft Drogen« der Berliner Grünen, der Jungle World: »Ich begrüße ausdrücklich, dass der Beschluss der Linken über die Cannabis-Frage hinausgeht.« Nach Einschätzung Harrachs seien sich Linkspartei, Grüne und möglicherweise auch die Piratenpartei weitgehend einig, dass die Drogenkonsumenten entkriminalisiert werden müssten. Laut Tempel gibt es verschiedene »Denkmodelle« dazu, wie dies praktisch umgesetzt werden soll. Einen ersten Schritt hat seine Fraktion bereits Ende September gemacht, als sie im Bundestag einen Antrag zur »Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs« eingebracht hatte.
Dieses Konzept, das an niederländische Coffee-Shops erinnert, nennt sich »Spanisches Modell«. Anders als bei den Läden in Holland soll bei diesem Modell, das in Spanien bereits praktiziert wird, jedoch stärker kontrolliert werden, »dass es wirklich nur um den Eigenbedarf geht«, führt Tempel aus. Den Grünen wiederum schwebt das Konzept eines »Drogenfachgeschäfts« vor, das eher einer Apotheke ähnelt.

Einig sind sich Tempel und Harrach darin, welche politischen Hürden es zu überwinden gilt. Tempel, der als Polizist im thüringischen Gera aus erster Hand die Probleme der Verbotspolitik kennt, sagt: »Das Thema Drogenpolitik stand schon einmal deutlich mehr im Mittelpunkt. Deswegen wollen wir während dieser Legislaturperiode auch alles versuchen, es wieder stärker zum Thema zu machen und auszuloten, was mit den anderen geht.« Bei der schwarz-gelben Koalitionsmehrheit sei es »allerdings ziemlich schwierig, überhaupt etwas zu bewegen«. Und bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans von der FDP, herrsche kompletter Stillstand: »Da wird jeder Kompetenzgewinn verweigert. Ich spreche in dem Zusammenhang gern von vorsätzlicher Inkompetenz«, sagt der ehemalige Polizist.
Unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen im Bund sieht Tempel nur die Möglichkeit zu oberflächlichen Veränderungen, »wie zum Beispiel in der Schweiz, wo man mittlerweile 70 Prozent der Heroinabhängigen in Substitutionsprogrammen hat«. Auch das Testen von Drogen durch Experten auf Wirkstoffgehalt und etwaige gesundheitsschädliche Streckmittel, das sogenannte Drugchecking, hält der Politiker von der Linkspartei »für unbedingt notwendig«. Das sei »eine Frage des Gesundheitsschutzes, den man den Konsumenten nicht komplett verweigern kann. Ich halte die Praxis der Kriminalisierung entsprechender Initiativen in Deutschland sogar für rechtswidrig.«

Harrach war als langjähriges Vorstandsmitglied des Vereins »Eve & Rave« selbst aktiv im Bereich des Drugchecking und sieht unter der aktuellen Bundesregierung gar ein drogenpolitisches Rollback. Das Kabinett plane derzeit eine neue Anlage zum Betäubungsmittelgesetz, mit der nicht mehr wie bisher einzelne Substanzen, sondern ganze Stoffgruppen indiziert würden – ohne jeden Nachweis einer konkreten Gefährlichkeit. Das sei »verfassungsrechtlich bedenklich«, sagt der Pharmazeut.
Ohnehin ist die Verbotspolitik rechtlich fragwürdig. Tempel erinnert: »Staatliche Eingriffe in die Grundrechte müssen verhältnismäßig sein, also geeignet, erforderlich und angemessen. Und ich sehe dieses Mittel als nicht geeignet an. Damit ist das Verbot in meinen Augen auch nicht verhältnismäßig.« Auch Harrach betont, die Bestrafung des Konsums illegaler Drogen sei »unverhältnismäßig, da es sich dabei um eine »opfer­lose Kriminalität« handele. Tempels Resümee da­zu lautet: »Das besondere am Drogenstrafrecht ist, dass etwas verboten wird, nur um des Verbots willen, rein aus Prinzip – obwohl es keine Geschädigten gibt.«
Renommierte Juristen sehen das ähnlich. So kursiert derzeit unter Strafrechtsprofessoren eine Resolution zur Einrichtung einer Enquete-Kommission des Bundestags, die die gegenwärtige Drogenpolitik evaluieren soll. »Sowohl aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht als auch aufgrund empirischer Forschungsergebnisse besteht die dringende Notwendigkeit, die Geeignetheit, Erforderlichkeit und normative Angemessenheit des Betäubungsmittelstrafrechts zu überprüfen«, heißt es in der Resolution, die inzwischen fast 80 Strafrechtsprofessoren unterstützen.

In dem Text wird auch auf die negativen Folgen der Drogenverbote auf internationaler Ebene verwiesen, etwa auf die Tausenden von Toten allein als Folge der Kämpfe mexikanischer Drogenkartelle der vergangenen Jahre. Diese Sichtweise wird im Übrigen auch von der »Global Commission on Drug Policy« geteilt. Diese linker Umtriebe gänzlich unverdächtige Vereinigung früherer hochrangiger Politiker vor allem aus Drogenerzeugerländern wie Kolumbien und Mexiko forderte in ihrem Anfang Juni vorgelegten Abschlussbericht die Legalisierung auch von Heroin und Kokain.
Die Resolution der Juristen verweist zudem auf die positiven Erfahrungen, die es mit einer weniger repressiven Drogenpolitik in anderen Ländern gab: »Quasi-Feldexperimente mit der liberalisierten Zugänglichkeit oder Vergabe von bislang illegalen Drogen (zum Beispiel in den Niederlanden, der Schweiz, Spanien, Portugal) ergaben, dass die befürchtete Ausweitung des Drogenkonsums ausbleibt.« Dem gegenüber stehen mehr als 1 000 Drogentote Jahr für Jahr in Deutschland, die auch als Ergebnis der vorherrschenden Verbotspolitik gesehen werden können. Vor einem Jahr schrieb Lars Quadfasel in der Jungle World, dass das Cannabisverbot »ärgerlich, im Einzelfall auch brutal sein« mag. »Das Heroinverbot aber ist mörderisch. Indem es seinen Opfern einen finanziell wie gesundheitlich ruinösen Schwarzmarkt aufzwingt, richtet es systematisch Leib und Seele der ihm Unterworfenen zugrunde«, schrieb Quadfasel. Ein Umdenken der Bundesregierung in der Drogenpolitik war seitdem nicht ansatzweise festzustellen.