Damit konnte niemand rechnen

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»Gratulationen für Grube: Stuttgart 21 ein Jahr früher als geplant fertiggestellt, Bahn gibt zwei Milliarden Euro zurück.« Warum werden wir so eine Schlagzeile niemals lesen? Es scheint sich um ein ehernes Gesetz zu handeln: Bauprojekte kosten immer weitaus mehr, als ursprünglich veranschlagt wurde, und pünktlich fertig werden sie auch nicht. So glaubt eigentlich niemand, dass die mit der Deutschen Bahn AG vereinbarte Kostengrenze von 4,5 Milliarden Euro eingehalten wird. Nicht einmal die Bahn selbst glaubt es, andernfalls hätte ihr Vorstandsvorsitzender Rüdiger Grube nicht schon acht Jahre vor der geplanten Fertigstellung so unwirsch auf die Ankündigung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) reagiert, das Land werde nicht mehr als die vorgesehenen 930 Millionen Euro zahlen. »Es darf sich keiner in die Ecke setzen und sagen: ›Ich nicht‹«, nörgelte Grube. Er glaubt, zur »Förderpflicht« des Landes gehöre auch, mehr zu bezahlen als vereinbart. Im Jahr 2009 fand der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) für das Problem der Kostensteigerung eine elegante Lösung. Seine Beamten hatten errechnet, dass der Bahnhof mindestens 400 Millionen, eher aber etwa zwei Milliarden Euro teurer werde als geplant. Nun müsse »von neuen Kostenberechnungen abgesehen werden«, verfügte Oettinger, da die höheren Ausgaben »in der Öffentlichkeit schwer kommunizierbar« seien. Derzeit kursieren Schätzungen, denen zufolge Stuttgart 21 mehr als neun Milliarden Euro kosten könnte.
Gewiss, jeder kann sich mal verrechnen. Doch ginge es allein darum, müsste sich hin und wieder herausstellen, dass ein Projekt auch weniger kostet als veranschlagt. Das aber ist seit der Erfindung des Betons nicht vorgekommen. Wohl auch zuvor nicht, denn archäologische Indizien, etwa die offenbar hastig in einem flacheren Winkel fertiggestellte Knickpyramide König Snofrus, deuten darauf hin, dass es bereits in der Steinzeit Probleme mit Bauprojekten gab. Und Snofru konnte säumige Dienstleister nach Belieben den Krokodilen zum Fraß vorwerfen lassen. Mit Grube und Hartmut Mehdorn darf man das nicht machen, der zivilisatorische Fortschritt hat eben seinen Preis. Dieser Fortschritt brachte allerdings auch den Vertrag, so dass es möglich wäre, einen Festpreis zu vereinbaren. Als Lohnabhängiger kann man schließlich auch nicht am Monatsende zum Chef gehen und sagen: »Meinen Job habe ich nicht erledigt, also überweisen Sie mir gefälligst das doppelte Gehalt.« Andererseits haben die immensen Kosten auch Vorteile. Da schon ein schlichter Bahnhof Milliarden kostet, kann sich in Deutschland ein wirklich umweltschädliches Großprojekt wie den chinesischen Drei-Schluchten-Damm – der übrigens dreimal soviel kostete wie von der Regierung berechnet – niemand mehr leisten.