Teil 4 einer Serie über Rechtextremismus in der Euro-Krise: Frankreich

Ein Pavillon für Marine

Unter den europäischen Rechtsbewegungen versucht vor allem der französische Front National, die Wirtschaftskrise strategisch zu nutzen. Teil 4 einer Serie über rechten Populismus und Extremismus in der Euro-Krise.

Der gegenwärtige Führungskreis des Front National (FN) ist ein Kind der Krise. Sukzessive bildete sich dessen aktuelle Zusammensetzung seit dem Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/08 heraus. Zu einem der führenden Köpfe ist dabei der Ökonom »Nicolas Pavillon« avanciert. Unter diesem Pseudonym leitet der Finanzexperte, der im Dienst eines größeren Finanzinstituts stehen soll, zahlreiche Schulungen für Funktionäre der französischen Rechtsextremen. Bereits im September 2007, als die Finanzkrise zumindest auf dieser Seite des Atlantiks noch weit weg schien, überzeugte er die heutige Parteivorsitzende Marine Le Pen davon, dass das Bankensystem zum Zusammenbruch bestimmt sei und eine weitreichende Destabilisierung der Wirtschaft bevorstehe. Zugleich konnte er ihr ausreden, auf Bündnisse oder gar Regierungskoalitionen mit konservativen Kräften hinzuarbeiten. Unter dem Eindruck von rechtskonservativen Bündnissen in Italien hatte Le Pen, im Gegensatz zu ihrem Vater und Amtsvorgänger Jean-Marie Le Pen, längere Zeit eine solche Strategie erwogen. Doch in der jetzigen Situation, so Pavillons Argumentation, habe der FN bessere Optionen, als die Auswirkungen der Krise mitzuverwalten und sich damit zu diskreditieren. Pavillon plädiert stattdessen dafür, Distanz zu den bürgerlich-konservativen Kräften zu wahren, bis der Partei ein größerer Durchbruch geglückt sei.
In den vergangenen 25 Jahren hat die extreme Rechte Wähler mal von den konservativen Rechten, mal von den sozialistischen oder parteikommunistischen Linken übernommen – je nachdem, welche politischen Kräfte gerade regierten und sich abgenutzt hatten. Doch sein Ziel, große Teile beider Wählergruppen zur selben Zeit unter dem Banner der Partei zu vereinigen, hat der FN bislang nicht erreichen können. Unter Marine Le Pen bemüht sich die Partei nun verstärkt darum, beiderlei Wählerpotentiale auszuschöpfen.
Die Führung der Partei setzt dabei auf der einen Seite auf einen politischen Wettbewerb mit der Regierungspartei UMP, die sie auf dem Feld der Law-and-Order-Politik und in der Frage der »Einwanderungsbegrenzung« zu überbieten versucht. Die Konservativen haben diesen Wettbewerb angenommen, um Wähler davon abzuhalten, zum FN »abzuwandern«. Doch gerade damit legitimieren sie den FN zusehends als »normale Partei«. So erklärte etwa der Innenminister Claude Guéant Mitte Dezember in einem Radiointerview: »Auch ich denke, dass zu viele Ausländer legal hier einreisen.« Dieses »auch« bezog sich auf Marine Le Pen, zu deren Positionen die Rundfunkjournalisten den Minister befragt hatten.

Auf der anderen Seite konkurriert der FN mit den etablierten Linken Parteien darum, wer die besseren Krisenlösungen zu bieten hat. Der linke Flügel der Sozialisten beispielsweise propagiert eine »Regulierung« des Marktes durch Protektionismus, um die Auswirkungen der Krise abzumildern. Durch staatliche Eingriffe in den Waren- und Kapitalverkehr sollen soziale und ökologische Mindeststandards gewährleistet werden. In mancher Hinsicht erscheint dies als Gebot der Vernunft. Schließlich wirkt ein Kapitalismus, in dem – aufgrund der ständigen Jagd des Kapitals nach den jeweils billigsten Produktionsbedingungen – zu montierende Autoteile millionenfach zwischen weit voneinander entfernten Produktionsabschnitten hin- und hergeschifft oder Tiere kreuz und quer durch Europa zum Schlachten transportiert werden, ökonomisch und ökologisch widersinnig, gerade mit Blick auf den Treibstoff- und Ressourcenverbrauch. Doch zugleich ist der Protektionismus im globalen Kapitalismus auch ein Mittel, mit dem nationale Kapitalfraktionen die Auswirkungen der Krise auf andere Volkswirtschaften abzuschieben versuchen. Unter anderem deswegen vermag der Protektionismus eine kapitalistische Verwertungskrise selten einzudämmen.
Diese grundlegende Ambivalenz des Protektionismus greift auch die extreme Rechte auf. Dabei übernimmt sie konkrete Vorschläge von Linken wie die Verkürzung der Wege zwischen Produktion und Verbrauch. Beim FN heißt das dann relocalisation, verstanden als Gegenmodell zur délocalisation, der Auslagerung von Produktionssegmenten. Doch der extremen Rechten geht es dabei nicht primär um ökonomische oder ökologische Vernunft, sondern vor allem um die ideologische Botschaft, dass es generell besser sei, in der Nation oder in Europa »unter sich« zu bleiben. Schnell ist so der Bogen vom wirtschaftlichen zum kulturellen Protektionismus geschlagen, der sich gegen die »Durchmischung« der Nation durch Einwanderer richtet.

Mitte Dezember hielt Marine Le Pen ihre erste große Wahlkampfrede, und zwar in Metz, inmitten von Lothringen, das unter dem Niedergang der Stahlindustrie schwer zu leiden hat. Am Tag der Rede erschien in der Sonntagszeitung JDD ein Interview mit ihr, in dem sie »eine neue Nacht des 4. August« ankündigte. Dieses Datum ist allen Franzosen bekannt: In jener Sommernacht des Jahres 1789 wurden die Feudalprivilegien von Adel und Klerus abgeschafft. In diesem Zusammenhang griff Le Pen »die Profiteure von oben« – etwa Manager und Spekulanten – als neue Träger ungehöriger Privilegien an. Aber auch »die Profiteure von unten«, in Gestalt von »Sozialschmarotzern«, wurden attackiert. Beide Typen ruinierten die Nation, so Le Pen.
In ihrer Rede, der rund 1 000 Zuhörer folgten, gab sich Le Pen als soziale Visionärin. In der krisengeschüttelten Region kam das gut an. Der gemeinsame Präsidentschaftskandidat der Linkssozialisten und Kommunisten, Jean-Luc Mélenchon, sah sich herausgefordert und beschuldigte Le Pen prompt des »Plagiats«. Wenn sie dabei von »Revolution« spreche, gehe es ihr »weder um eine Bürgerrechtsrevolution noch um eine sozialistische Revolution«, sondern eben um eine »nationale Revolution«, wie sie in Vichy-Frankreich proklamiert worden sei. Tatsächlich hat Le Pen, bei aller sozialen Rhetorik, sozialpolitisch wenig anzubieten. Auf die Frage nach einer möglichen Erhöhung des Mindestlohns antwortete sie etwa bei einem Fernsehauftritt, dass sie solch ein »Maßnähmchen« doch nicht interessiere. Ihr geht es um vermeintlich Größeres, um Frankreich, und nicht um die Menschen, die darin leben.