Teil 6 einer Serie über Rechtextremismus in der Eurokrise: Österreich

Being Silvio Berlusconi

Die extreme Rechte in Österreich profitiert von der Vertrauenskrise der großen Koalition. Gerade in der Krise punktet sie bei vielen »Systemverlierern«. Teil 6 einer Serie über rechten Populismus und Extremismus in der Euro-Krise.

Neuesten Umfragen zufolge trauen mehr als 30 Prozent der Österreicher der rechtsextremen FPÖ zu, die richtigen Entscheidungen für Österreich zu treffen. Sie erreicht damit bessere Werte als die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP. Da bei den Befragten nicht konkreter nachgefragt wurde, bleibt unklar, welche Entscheidungen dies sein sollen. Dies allerdings passt zum Erfolgskonzept der FPÖ, die selbst keine klaren Antworten gibt und stattdessen »Schuldige« benennt. Es sei höchste Zeit, dass Österreich nicht als »Trittbrettfahrer« jener agiere, »die auf Kosten der Bürger Europas die Schweinereien der Bankrotteure, Bankspekulanten und Zocker decken«, forderte etwa der FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache vergangene Woche. »Die Reformunfähigkeit von Rot und Schwarz ist neben der blinden EU-Hörigkeit die Hauptursache für die derzeitige Lage Österreichs«, legte sein Generalsekretär Herbert Kickl nach. In der FPÖ spricht man vom »Bankenbereicherungspaket«, von »Systemparteien« und »Eurokraten«, aber auch von »Sauschädeln«, etwa in Bezug auf einen der ÖVP nahestehenden Bankmanager. Bei so vielen Emotionen darf auch der Hinweis darauf nicht fehlen, was in Griechenland angeblich falsch läuft. Der FPÖ-Sozialsprecher Norbert Hofer etwa wundert sich darüber, dass »Pädophile, Pyromanen, Exhibitionisten und Kleptomanen« in Griechenland »als behindert« gelten und Sozialleistungen erhalten würden. »Es kann nicht sein, dass Europa den Sozialbetrug in Griechenland finanziert«, sagt Hofer.

Vielen Österreichern gilt die FPÖ als einzige Partei, die in der Krise die »Systemfrage« stelle, weswegen sie derzeit starken Wählerzuspruch erfährt. Doch so eindeutig liegen die Dinge nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. So kritisiert die FPÖ aktuell die von der Regierung angekündigte Schuldenbremse als »Raubzug in Richtung der Bürger«. Doch noch im vergangenen November – und zuvor schon im Oktober 2010 – forderte sie selbst im Parlament dieselbe Schuldenbremse. Auch verlangt sie eine »befristete Millionärssteuer«, bezeichnet aber zugleich die Besteuerung von Widmungsgewinnen und Vermögenszuwächsen als »Anschlag auf den Mittelstand« und als »Tiefpunkt der Unverfrorenheit von SPÖ und ÖVP gegenüber der eigenen Bevölkerung«. So folgt Widerspruch auf Widerspruch bei der FPÖ. Doch ihre Popularität ist ohnehin nicht ihrer Polemik in Sachen Wirtschaftskrise geschuldet. Vielmehr spiegelt sie das Entsetzen über die große Koalition und das in den vergangenen zwei Jahren bekanntgewordene Ausmaß an Korruption, Ne­potismus und absurden Privilegien wider – Missstände, die zu großen Teilen in der Zeit der FPÖ-Regierungsbeteiligung der Jahre 2000 bis 2006 gründen.
Es war gerade der Parteiaustritt des früheren FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider im Jahr 2005, der einen Neubeginn für die Partei ermöglichte. Wirtschaftsliberale Positionen wurden zurückgedrängt, Exponenten rechtsextremer Burschenschaften, wie der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf, aber eben auch Strache, bestimmten fortan die Politik der Partei. Über jene Burschenschaften ergaben sich Verbindungen zur Naziszene. So berichteten die Medien bereits darüber, dass der Organisation »Blood and Honour« zuzurechnende Personen als Ordner bei Wahlkämpfen eingesetzt wurden. Letztlich kamen auch Personen, die als Verbindungsmänner zu Nazior­ganisationen gelten, zu Parteifunktionen und Mandaten. Da wundert es nicht, dass die inzwischen abgeschaltete Nazi-Homepage »alpen-donau.info« wiederholt ihre Nähe zur FPÖ bekundete oder FPÖ-Abgeordnete wegen Volksverhetzung verurteilt wurden.

Mit ihren rechtsextremen Tiraden, den daraus resultierenden Debatten und Gerichtsverfahren nährt die FPÖ ihr Image als einzige Partei, die nicht Teil des »Systems« sei, ja, sie geriert sich gar als von diesem »verfolgt« und »ausgegrenzt«. Dabei liefert sie vermeintliche Antworten auf die Probleme des Landes, etwa wenn Strache vorschlägt, eine Luxussteuer für Autos einzuführen, die mehr als 100 000 Euro kosten, staatliche Subventionen für antirassistische Organisationen zu streichen oder ein separates und reduziertes Sozialsystem für Ausländer zu schaffen. Da selbst die Wirtschaftswissenschaften anscheinend keine Antworten auf die ökonomischen Probleme haben, kommen diese leicht verständlichen Vorschläge gut an, auch wenn ihnen jeg­liche volkswirtschaftliche Substanz fehlt. Tatsächlich behandelt nur ein kleiner Bruchteil der FPÖ-Stellungnahmen direkt die Wirtschaftskrise. Doch an die Wehklagen über die Milliarden, die Österreich angeblich nach Griechenland überweise, lässt sich nun einmal bestens anknüpfen, um gegen das monatliche Taschengeld für Asylwerber von 40 Euro zu polemisieren, das angeblich österreichischen Rentnern vorenthalten werde.
Absurderweise basiert die Beliebtheit der FPÖ auch auf einem Klassenkonflikt. Obwohl die Partei von elitären, akademischen Burschenschaftern dominiert wird, finden sich in ihrer Rhetorik sehr viele Menschen wieder, die sich im paternalistisch-korporatistischen Österreich – oftmals zu Recht – übergangen fühlen. Unter männlichen Arbeitern, unter Lehrlingen und Menschen mit Hauptschulabschluss wurde sie bei den letzten Nationalratswahlen stärkste Partei. Die Mehrheit der gut ausgebildeten oder gut verdienenden Menschen verfolgt diese Entwicklung mit überheblicher Erheiterung oder elitärem Ekel. Die Politik der gegenwärtigen Regierung wiederum begünstigt die FPÖ auch noch: Sie fördert rassistische Ressentiments und ignoriert die sozialen Probleme. So ist das Einkommen schlecht ausgebildeter Menschen in den vergangenen 15 Jahren nominell gesunken, ein Beschäftigungsverhältnis dauert im Schnitt nur 1,6 Jahre, die Wohnkosten von Niedriglohnbeziehern sind auf über 30 Prozent des Haushaltseinkommens gestiegen und 29 Prozent aller alleinstehenden Rentner leben unter der Armutsgrenze. Das rechtfertigt die Wahl einer rechtsextremen Partei nicht, macht aber zumindest die sozialen Hintergründe der Zustimmung für die FPÖ deutlich. Ernstzunehmende Alternativen fortschrittlicher Art sind derzeit nicht zu erkennen. Gesellschaftspolitischen Alternativen haftet in Österreich grundsätzlich der Ruf des Absurden, zumindest des Unrealistischen an, und auch die Grünen oder der linke Flügel der SPÖ sind im etablierten Diskurs verfangen. Gerade im obrigkeitsstaatlich und autoritär-korporatistisch geprägten Österreich scheint so vielen die rechtsextreme Antithese zum »System« eine vermeintliche Alternative zu sein.

Doch trotz aller Umfrageerfolge ist eine Regierung unter Strache derzeit unwahrscheinlich. Die konservativ-korporatistische ÖVP leidet schon schwer darunter, unter der SPÖ nur die Nebenrolle zu spielen. Eine Beteiligung an einer von der FPÖ geführten Regierung würde die Partei mit ­Sicherheit spalten. Und auch die SPÖ, die in Umfragen noch vor der FPÖ liegt, würde eine Koalition mit dieser – obwohl Teile der SPÖ dies durchaus befürworten – mit einer Spaltung bezahlen. Es bliebe rein mathematisch nur die Fortsetzung der bestehenden Koalition aus SPÖ und ÖVP, zwei Parteien, die seit Jahren von einer Affäre zur nächsten taumeln.
Gerade in der Wirtschaftskrise steht eine solche Koalition auf wackligen Beinen. Nur ein Funken – etwa der durchaus nicht unwahrscheinliche Zusammenbruch einer großen Bank – könnte genügen, um das politische System Österreichs endgültig zu diskreditieren. Ein denkbarer Ausweg wäre die »Berlusconisierung« der österreichischen Politik, die Installation einer autoritären, über dem Parlament stehenden Figur. Das träfe wohl auch den Geschmack vieler Österreicher. Der FPÖ-Obmann Strache kommt für diese Rolle eigentlich nicht in Betracht, weil er wesentliche gesellschaftliche Gruppen – die katholische Kirche, die Bauern, den Raiffeisen-Konzern oder die Wirtschaftskammer – nicht repräsentieren kann. Außerdem entspricht er nicht dem Bild des glamourösen »Ersatzkaisers«, der zentraler Bestandteil des tradierten Selbstbilds vieler Österreicher ist. Andererseits drängt sich im operettenbegeisterten Österreich derzeit sonst niemand auf, den Berlusconi zu geben.