Revolutionäre Kochrezepte von Spartakisten

Die Rote Köchin

Der desaströse Zustand der heutigen Linken lässt sich nicht zuletzt an ihren Speiseplänen ablesen. Die Geschichten und Kochrezepte aus einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar versprechen Abhilfe.

Der anonyme Verfasser kaufte im Auftrag eines Freundes in einer kleinen Tessiner Galerie ein winziges Aquarell von Paul Klee, ein Geschenk des Meisters an seine Schülerin Hannah R. Die Galeristin ist die Enkelin der Roten Köchin, von ihr erfuhr er deren Geschichte, die er niederschrieb.

Vorrede

Der erste Teil dieses Kochbuchs ist von der Chronologie her verworren, gibt jedoch auf seine Art auch die gesellschaftlichen Umstände wieder, die von der Autorin in ihren Erinnerungen festgehalten werden. Die fortlaufende Zählung der Manuskriptseiten beginnt mit einem Rezept, das auf eine Unterrichtsstunde Paul Klees Bezug nimmt, der allerdings seine Tätigkeit am Bauhaus erst 1922 aufnahm. Im Folgenden ist dann die Rede von früheren Ereignissen, ganz so, als hätte die Autorin ihre Hommage dem Lehrer erweisen wollen, den sie und ihre spartakistische Zelle als einzigen am Bauhaus so sehr schätzten, dass sie ihn »Meister« nannten.
Wann genau dieser Haufen junger Leute die Zelle gegründet hat, wissen wir nicht. Aber aus den Zeitumständen können wir ableiten, dass es zwischen dem 30. September 1918 – als Ludendorff und Hindenburg dem Kaiser mitteilten, dass der Krieg verloren war – und April 1919 gewesen sein muss: In diesem Monat erschien ein von Walter Gropius verantwortetes Flugblatt, das die Fusion der »Großherzoglich Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst« mit der »Kunstgewerbeschule Weimar« unter der neuen Bezeichnung »Staatliches Bauhaus in Weimar« bekannt gab.
Die Rezepte sind hier und da formal überarbeitet worden, der autobiographische Teil nicht. Als Ensemble bilden die Aufzeichnungen ein seltenes Dokument deutscher Küche, ja einer spezifisch »nordischen« – im Gegensatz zu der heute weit verbreiteten dieta mediterranea, der Mittelmeerdiät. Bei genauem Hinsehen wird der Kenner viele Archetypen dessen finden, was seit den siebziger Jahren als Marktküche bekannt geworden ist und schließlich zur Nouvelle Cuisine führte. Im Allgemeinen sind die Angaben für sechs Personen gerechnet. Fast alle Rezepte sind in der ersten Person geschrieben, ein paar jedoch, darunter das erste, in der dritten: als ob die Autorin ihre autobiographischen Aufzeichnungen nach und nach in eine Erzählung hätte umwandeln wollen.
In den Dokumenten, die dem Kochbuch beiliegen, wird Folgendes berichtet: Das Restaurant, das die Protagonisten und Autoren der Rezeptsammlung übernahmen, wurde ihnen von den Verwandten des Vorbesitzers übertragen, einem der zahllosen, gesichtslosen Opfer jenes Krieges. Das Lokal befand sich in der Nähe des Weimarer Fürstenplatzes, nicht weit von der Bibliothek.

Vorspeisen

Heringe nach Art der Kronstädter Matrosen

Folgt nicht meiner Hand, folgt dem Thema. Nehmt mit eurer Sensibilität die entstehende Form vorweg, wie wenn ihr den Sinn der Figur schon im Entstehen begreifen würdet. Jenseits der großen Fenster des Atriums schien ein blei­erner Himmel im Begriff, auf die Erde zu stürzen. Die Luft war feucht, wir froren. Dämmerung setzte ein. Die Stimme des Meisters schien zu zittern, aber seine Augen leuchteten. »Meister« – so hatten wir angefangen, ihn zu nennen, ein wenig scherzhaft, aber auch, weil er, wie Ewa immer sagte, der einzige war, der einem Engel glich.
Entschlossen lief seine Hand über das Papier. Na bitte, sagte Hans, er hat wieder einen Fisch gezeichnet. Aber nein, Dummerchen, grinste Hannah ihn an, das ist kein Fisch! Jedenfalls kein Fisch im wörtlichen Sinn, es ist eine Allegorie der Leichtigkeit, der Zerbrechlichkeit. Der Zustand von Wehrlosigkeit in einem Meer finsterer Gewalten. Es ist eine Metapher für Deutschland, dachte Hans, als ein erster Donner den Regen ankündigte. Die Hand verschob sich auf dem Blatt nach unten, hielt über einem Knäuel von Linien inne. Dann setzte sie einen Punkt, dort wo jemand, der nicht zeichnen kann, ihn auch hingesetzt hätte, einfach so. Das Linienknäuel verwandelte sich in ein Gesicht.
Lächelnd sah Hans zu Hannah. Hast Du gesehen? Ein Punkt – und alles ändert sich. Ein Pferdewagen der Straßenreinigung bog am Ende der Straße rumpelnd um die Ecke. Hans blickte auf, er wollte die Sterne am Himmel sehen, aber an diesem Abend zeigten sie sich nicht. Vielleicht reicht ein Punkt, dachte er. Aber um ihn zu setzen, musste man wie der Meister sein, ein Kind, überzeugt davon, dass im eigenen Empfinden die absolute Macht über Leben und Tod lag. Er dachte an die Worte seines Zugführers: Im Bürgerkrieg muss man Voraussicht entwickeln. Man muss wissen, was der Feind, die Zielperson will, bevor sie selbst es weiß. Wie sagte es Dostojewski in den »Aufzeichnungen aus dem Kellerloch«? Ein Prosit auf mein unterirdisches Versteck!
Die Übungsstunde ging zu Ende. Im Korridor war es schon dunkel. Jemand hatte eine Fackel im Garten angezündet. Hannah stieß zu den Freunden. Beeilen wir uns, sagte Martin, heute Abend haben wir Dienst, wir müssen uns um die Vorspeisen kümmern.
Dies ist ein Rezept eines alten Matrosen aus Oranienbaum, wo er im Soldatenrat der Stadt saß. Die sehr frischen Heringe ausnehmen, ohne den Rogen zu entfernen. Gut abtrocknen und mit einem Küchentuch die Schuppen abreiben. An jeder Seite zweimal einschneiden und mindestens vier Stunden in Salz marinieren. Es reicht eine Handvoll für jeweils sechs Heringe. Wenn sie mariniert sind, die Heringe waschen und in einer Pfanne auf einem Bett von Zwiebelringen und mit Petersilie, ein wenig Anis und Thymian, ein paar frisch gemahlenen Pfefferkörnern und einem Lorbeerblatt anordnen. Die Heringe mit einer Mischung aus Honigessig und 1 TL Wodka beträufeln, mit Zwiebelringen und einer als Julienne geschnittenen Karotte bedecken. Das Ganze aufkochen, dann bei niedriger Flamme 15 min mit Deckel köcheln lassen. Die Heringe vor dem Servieren in ihrem Saft abkühlen lassen.

Zwiebelkuchen

Seitdem Die Aktion mit dem Untertitel »Wochenschrift für revolutionären Sozialismus« erschienen war und auch unsere oft polemischen Beiträge akzeptiert hatte, ließen wir uns Exemplare schicken, um sie hier im Viertel zu verteilen. Die Genossinnen boten sie Passanten an, während einige Genossen abwechselnd unauffällig Wache stehen. Wie sagte Martin? Wenn man gezwungen ist, in einer kleinen Stadt zu leben, gewöhnt man sich daran, den Nächsten still zu hassen und die eigene Schlauheit im spießbürgerlichen Alltag täglich auf die Probe zu stellen.
An diesem Nachmittag verteilten wir Die Aktion in der Erfurter Straße, die Luft war kalt, und vom nassen Asphalt kam ein Geruch nach Regen, der sich mit dem feuchter Kleider vermischte. Sogar die Kinder hatten keine Lust mehr, draußen zu spielen. Ein gut gekleideter Mann mit Hut und Stock, der aus Richtung der Bürgerschule kam, näherte sich Susanne und ließ sich einige Exemplare geben. Dann begann er sie mit großer Geste zu zerreißen. Susanne wollte ihn gerade fragen, warum er das tue, da zischte er sie hasserfüllt an: Du bist eine von diesen roten Nutten von der Schule, was? Jetzt erlauben sie Euch schon, auf der Straße zu rauchen und die Leute zu belästigen. Ihr Schlampen, Ihr braucht die Peitsche! Er holte Luft, und mit Schaum vor dem Mund schrie er: Aber mit diesem Defätismus ist jetzt Schluss! Es geht wieder aufwärts. Deutschland, erwache!
Hans, der am nächsten war, kam heran, um ihn zu beruhigen. Aber er regte sich nur noch mehr auf, drohte ihm mit dem Stock und nannte ihn kommunistischen Abschaum. So was wie er käme eben heraus aus so einer Scheißschule des Kulturbolschewismus voller Juden. Das alles geschah binnen weniger Minuten. Hans machte nun, wie er es beim Militär gelernt hatte, eine blitzschnelle Körperdrehung und traf den Mann hart mit dem Absatz an der Kniescheibe, und der ging zu Boden. Hans knöpfte sich die Hosen auf und pisste ihm auf die Brust. Dann richtete er sich wieder her und stieß zu uns.
Warum hast Du das gemacht? Das wird böse Folgen haben. Weil dieses Schwein einen Stockdegen hatte, mit dem er auf mich losgehen wollte. Aber jetzt hauen wir schnell ab. Und im Übrigen: Das einzige, was wir fürchten müssen, ist unsere Furcht. Die Vision einer friedlichen Welt der Moderne ist die extravaganteste aller Hoffnungen – für diese Lektion haben wir einen hohen Preis bezahlt. Und wir, Hannah, wir verteidigen existenzielle Werte gegen diese Spießer, die nie gelebt haben. Wir können nicht immer so tun, als sei das ausschließlich mit noblen Methoden zu schaffen. Später nahmen wir die Diskussion wieder auf. Ewa und ich waren uns einig: Wenn man das Wesen des Klassenkampfes herausarbeitet, dann kommt man darauf, dass er dem Überlebenstrieb widerspricht, ja, ihn verachtet. Doch auf ihn zu verzichten, hieße, sich feig zu unterwerfen und sich in ewige Gefangenschaft zu begeben. Auf den Zwiebelkuchen sind wir in Baden gekommen, wo wir uns aufhielten, um einen kulturellen Zirkel, der sich auf die Ideen Moeller van den Brucks bezog, zu »schließen«. Er erinnert sehr an den Speckkuchen, den man hier in Thüringen gern als Brotzeit isst, zu einem Glas Apfelwein. Uns gefällt er als Vorspeise.
Auf einem Brett einen Mürbeteig (pate à foncer) aus 500 g gesiebtem Mehl, 200 g weicher Butter, einem Ei, einem Eigelb, einem halben Glas Milch, etwas Zucker und 1 TL Salz rühren, eventuell etwas heißes Wasser zufügen. Damit sich die Butter gleichmäßig verteilen kann, die fertige Teigkugel in sechs Stücke, die einzeln eingemehlt werden, zerteilen, bevor man sie wieder zusammenfügt. Den Teig dünn und rund ausrollen und damit eine gebutterte Kuchenform auslegen. Währenddessen zehn große, weiße Zwiebeln in Ringe schneiden, mit 50 g Schweineschmalz anbraten und auf dem Teig ausbreiten. Mit einer Mischung aus drei Eiern, zwei Gläsern frischem Rahm, 100 g mageren, geräucherten Speckwürfeln, 50 g geriebenem Greyerzer, Salz und Pfeffer übergießen. Mindestens 40 min im heißen Ofen backen und sofort servieren. Um ihn knusprig zu machen, könnt Ihr den Teig alleine 15 min vorbacken. Dazu wird er mit einer Gabel mehrfach durchstochen und mit Kichererbsen beschwert. Diese »Blindfüllung« wird nach dem Backen durch die eigentliche Füllung ersetzt.

Schneehuhnterrine mit Portwein

Es sind die imperialen Illusionen gewesen, die den Krieg provoziert haben und verloren gehen ließen. Aber in Berlin ist man aus dem 918 Jahre währenden Schlaf noch nicht erwacht. Über den Prachtstraßen der europäischen Kapitale spannen sich Triumphbögen aus weißen und roten Blumen, jeder Gruppe von Soldaten geht eine lärmende Militärkapelle voran. Wir hier in Deutschland müssen jetzt lernen, mit unserer bitteren moralisch-politischen Niederlage weiterzuleben, weiterzumachen unter den blühenden Rosskastanien, dem Gestank der Korruption einer operettenhaften Bourgeoisie, der aufreizenden Arroganz einer Geschichte, die immer diejenigen verachtet hat, die sie doch ausbeutet und die bislang kein Feuer hat ausmerzen können. Wir müssen weitermachen trotz der Sehnsucht nach dem sozialen Zusammenhalt, der wie Schnee in der Sonne geschmolzen ist, nach königlichen Hoheiten, die ihre Schleier lüften für den letzten übrig gebliebenen Gardeoffizier. Wir machen weiter trotz der Kleinbürger, die in ihren winzigen Wohnungen die abgetretenen Teppiche einrollen, um den Shimmy üben zu können. Machen weiter trotz der Polizeistreifen, der lähmenden Ruhe, mit der wir in den alten, verstaubten und düsteren Cafés die Nacht erwarten, trotz der Idioten, die auf mondän und five o’clock tea machen und von amerikanischen Autos träumen. Wir machen weiter, obwohl sich die Flammen einer europäischen Revolution als Strohfeuer erwiesen haben und unsere frierenden Herzen nicht mehr wärmen können. Wir müssen weiterleben mit einem faulen Reformismus, mit den Irrtümern der Nationalisten, mit den Volkstribunen, mit denen, die uns ungefragt ihre Brüder nennen, und mit den delirierenden Charismatikern. Wir müssen, wir müssen …
Aber dann waren alle Flaschen leergetrunken und von unseren Zimmern aus konnten wir sehen, dass auch in der Schule die letzten Lichter gelöscht worden waren. Die Entscheidung war gefallen, unser Lokal hatte einen Namen: Unendliche Nacht! Leonhard hat das ausgegraben, er ist unser Musikspezialist, es stammt aus Igor Stravinskys »Sacre du printemps«, und alle waren sofort begeistert, gerade Wilhelm, den dieses Stück an die Lichter und Schatten seiner Stadt St. Petersburg erinnert. Die Fenster stehen offen, damit der Zigarrenqualm entweichen kann, und plötzlich dringt eine Stimme herein, die die Bajadere von Kálmán singt: »Früher einmal machten es die Wilden/Jetzt gehört’s dazu, um sich zu bilden …« Diese Schneehühner, sagt Martin, sind die Brotkrumen, die wir vom Tisch des Feindes gestohlen haben. Schlichter gesagt sind sie die Frucht seiner Geschäftchen mit ein paar Förstern, die mit ihrem regulären Einkommen nicht zufrieden sind.
Acht Pastetenformen aus Aluminium rechtzeitig kühl stellen. Sieben Blätter Gelatine in Wasser einlegen (meine Oma hat sie mit Kalbshaxe, Knochen und Speckschwarten noch selbst gemacht). Wenn die Blätter sich aufgelöst haben, mit 1 l Hühnerbrühe aufgießen. Wenn die Masse geronnen ist, die Formen füllen und wieder kalt stellen. Die ausgenommenen, sauberen Schneehühner in einen Topf mit kochendem Salzwasser und Kräuterbouquet geben und 30 min köcheln lassen. Erkalten lassen und Fleisch auslösen. Zusammen mit drei Eigelb, einem Gläschen roten Portwein und dem Rest der Gelatine mit Brühe, einem Glas frischem Schlagobers, 1 TL Muskat, Salz und Pfeffer durch den Fleischwolf geben. Mit der Masse die Formen füllen, ein paar Minuten im Wasserbad kochen und mindestens vier Stunden kalt stellen. Vor dem Servieren die Terrine kurz über der Flamme erwärmen, auf den Teller stülpen, mit gerösteten Pinienkernen und einer Kartoffelkrokette mit Kastanienmehl garnieren.

Hauptgerichte

Kabeljau mit jungen Kartoffeln und Frühlingszwiebeln

Im Jahr 1797 ließ das Revolutionskomitee des Viertels rund um die Rue des Lombards die Kirche Saint-Jacques de la Boucherie versteigern. Einzige Bedingung für einen neuen Besitzer war, dass er den Kirchturm erhalte. Ein Herr Dubois erwarb das Gotteshaus und verwandelte es in eine Munitionsfabrik. Das Grabmal von Nicolas Flamel, dem berühmten Alchimisten, kaufte ein Obst- und Gemüsehändler und nutzte es fortan, um Früchte und Spinat zu zerteilen. Deswegen, Hannah, hat es diese grünliche Farbe, sagte mein Vater und reichte mir ein Stückchen Stein. Ich und Deine Mutter haben es bei einem Antiquitätenhändler in der des Rennes entdeckt und Dir mitgebracht. Nutz es doch auch als Schneidbrett, so bringt es Dir vielleicht Glück, meinte er lächelnd.
Meine Eltern hatten von meiner letzten Verhaftung erfahren und auch, dass ich immer tiefer in die Politik eingetaucht war. Deswegen haben sie mich besucht, und ich habe dankbar erfahren, dass mein Vater mich nicht verurteilt. Er macht sich natürlich Sorgen, weil ich noch so jung bin und weil die Lage in Deutschland sehr ernst ist. Er hat noch etwas gesagt, was mich sehr bewegt hat, und das ihn einiges gekostet haben muss, gerade weil er doch ein so wissenschaftlicher Mensch ist: Hannah, es gibt Momente in der Geschichte, in denen die Revolte eine Form des absoluten Bewusstseins von der Welt ist, im Hegelschen Sinne meine ich. In dieser kalten und düsteren Epoche müssen wir die Dämonen bekämpfen: Luther hat es mit einem Tintenfass gemacht, Ivan Karamazov mit dem Glas – da sollte ich doch stolz sein auf eine Tochter, die es mit dem Gewehr tut. Er hatte rote Augen, als er das sagte. Meine Mutter weinte still. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Hans meinte, in solchen Momenten fühle er sich wie auf einem trunkenen Schiff – wohl sowas wie das »Bateau ivre« Rimbauds. Dann auf einmal kamen mir Verse von Paul Valéry in den Sinn, die ich hier aufschreibe, wie ich sie gerade erinnere: »Ces jours qui te semblent vides/Et perdus pour l’univers/Ont des racines avides/Qui travaillent les désert …«
In dieser großen Lebensmittelnot, die alles zu beherrschen scheint, bekommen wir doch regelmäßig frischen Kabeljau, auch Fische von über 80 cm. Für dieses Rezept braucht man welche von 50 cm, die, wie Ewa sagt, alle Katzen der Gegend ganz verrückt machen, auch wenn wir die Reste eigentlich für die Fischsuppe bräuchten, die wir an die Armen ausgeben.
Kopf und Schwanz abschneiden, so dass ein Stück von 40 cm bleibt. Sorgfältig säubern und waschen. Eine Kasserolle buttern, den Fisch innen und außen mit frischem Pfeffer und Salz würzen und hineinlegen. Dazu nussgroß geschnittene Kartöffelchen und Frühlingszwiebeln geben, alles mit mindestens 50 g flüssiger Butter übergießen, einen 1/2 EL Honigessig und ein paar Nelken beifügen. Bei mittlerer Hitze im Ofen braten, bis Fisch und Kartoffeln durch sind, alles immer wieder mit Fond begießen. Den Fisch direkt in der Kasserolle auf den Tisch bringen, vorher mit gehackter Petersilie und Zitronenscheiben garnieren.

Wachteln an marinierter Gänseleber

Seit ein paar Wochen versuchen wir – Ewa, Frieda, Kurt, Martin und ich – einen Kindergarten auf die Beine zu stellen. Die Arbeiterinnen einer Schreibmaschinenfabrik in der Erfurter Peripherie, an der Straße nach Sangershausen, sollen ihn selbst verwalten. Die Idee ist uns bei einem Vortrag von Vera Yanitskaïa gekommen. Kürzlich ist sie mit ihrem Mann nach Berlin gekommen, um bei Freud um Unterstützung für das »Home«-Projekt und die Gründung einer Gesellschaft für Psychoanalyse in Moskau zu werben. Aber sie musste länger bleiben, als ­gedacht, Ernest Jones begegnete ihr recht feindselig, weil er ihr den Kreis von Kazan vorzieht, gegründet von Aleksandr R. Luria, und wegen der Gleichgültigkeit von Sándor Ferenczi, der seit der Niederlage der Budapester Kommune nichts mehr wissen will von russischen Kommunisten.
Vera hat einen eisernen Willen, aber in unseren Augen ist sie vor allem eine linksradikale Kommunistin. Sie stammt aus einer reichen Medizinerfamilie, seit jeher – hat sie uns gesagt – ist es ihr Traum, Psychoanalyse und dialektischen Materialismus miteinander zu verknüpfen. In Moskau hat sie zusammen mit Tatiana Rosenthal ein Kinderheim-Laboratorium gegründet – eben »Home«. Zurzeit steht es allerdings nur Kindern von Parteifunktionären offen. Die Grundprinzipien sind einfach: kein Paternalismus, keine Hierarchien, keine körper­lichen Strafen, keine geheuchelte Zuneigung. Die Erziehung gibt dem Kollektiv den Vorzug vor dem Individuum, ist selbstverständlich laizistisch und rational ausgerichtet und lässt der sexuellen Neugierde freien Lauf. Die Erzieher sind aufgerufen, Masturbation nicht zu sank­tionieren, sie selbst erklären sich zu einer Analyse, wenigstens aber zu gemeinschaftlichen Gesprächen über ihre Persönlichkeit, bereit. Wilhelm hat uns Vera vorgestellt, er kennt sie aus Moskau von einer Fortbildung für Politkommissare der Roten Armee. Sie wurden sofort Freunde, obwohl Vera zehn Jahre älter ist. Ihr Mann Otto ist Direktor der staatlichen Verlagsorganisation Gosisdat und hat versprochen, uns Material auf Deutsch zur pädagogischen Debatte in Russland zu schicken.
In unserem Teil der Fabrik haben wir durchgesetzt, dass es keine körperlichen Strafen mehr gibt. Die ersten Tage waren die Hölle. Wir mussten feststellen, dass viele Arbeiterinnen ihre Kinder dann eben erst zu Hause ohrfeigen. Jetzt wird es langsam besser, es rührt mich sehr, wenn die Kleinen »Genossin Hannah« zu mir sagen. Heute hat eine Gruppe beim Botanikunterricht im Freien ein vom Baum gefallenes Spatzennest gefunden. Früher hätten sie die ­Vögelchen gequält und getötet, wahrscheinlich auch gegessen. Nun haben sie sie adoptiert, haben ihnen sogar Namen gegeben! Vielleicht, sagt Kurt, ist doch nicht alles falsch, was wir machen.
Sechs Wachteln innen und außen mit Salz, Pfeffer und einer Prise Muskat einreiben. In jede ein Stück rohe, mit einer dünnen Scheibe Schinkenspeck umwickelte Gänseleber geben. Mit einem Kochspieß sichern. Die Leber vorher mindestens einen Tag mit Salz, Pfeffer und Lorbeer in Cognac marinieren. Die Wachteln in eine hochwandige Kasserolle mit 80 g flüssigem Schmalz und etwas Majoran in den sehr heißen Ofen geben und 8, 9 min von allen Seiten Farbe annehmen lassen. Überflüssiges Fett abschöpfen, ein Glas Cognac zugießen und bei lebhafter Hitze weiterkochen. Wachteln auf einer Platte anrichten, Kroketten dazugeben; den Fond um ein Drittel reduzieren, mit ein paar EL Essig verdünnen und mit einem Löffel Mehl und einem mit Zitrone gespritzten Glas Rahm mit dem Schneebesen schaumig schlagen, dann über die Wachteln geben. (Ich habe dieses Rezept vor kurzem wieder zur Hand genommen und zwar mit einem Gefühl der Wut: Kurz nach Veras Rückkehr nach Moskau begannen die Angriffe auf ihr Institut, erst von neidischen Kollegen, dann von der Parteipresse. Die üblen Verleumdungen schadeten dem Experiment von Grund auf. Diese Mischung aus Korruption und gleichgültigem Geschehenlassen ist typisch für autoritäre Regimes.)

Kaiserfasan

»Volk«, »Führer«, »Organismus«, »Reich«, »Entscheidung«, »Gemeinschaft«. Das sind die Wörter, hinter denen sich heute die Angst vor der Moderne versteckt, die Wörter, in denen die Sehnsucht nach Totalität sich mit galligem Hass vermengt, Wörter, die die direkte Aktion verhindern und dazu beitragen, imaginäre Feinde, die überall stecken könnten, auszumachen: in der Mechanisierung, im Materialismus, in der liberalen Demokratie, im Rationalismus, im jüdischen Weltbürgertum, im großen Monster, das all das in sich trägt: der Stadt. Daraus entstehen dann Schwarze Listen, die niemand mehr in Frage stellt: Hume, Voltaire, Rousseau, Darwin, Marx, die unflätige Psychoanalyse; Listen, mit denen man eine Schreckensherrschaft heraufbeschwört und die nachträglich den Kapp-Putsch rechtfertigen sollen.
Wir sind in Hamburg gewesen, um an einem Seminar von Ernst Cassirer teilzunehmen. Er ist begeisterter Ehrengast der Bibliothek von Aby Warburg, er liebt den Lehrstuhl für Philosophie, den man ihm gegeben hat, und seine Studien zur Metaphysik der symbolischen Formen. Wir hingegen sind enttäuscht von seinem blinden Optimismus, auch wenn uns der strenge Empirismus dieses Instituts nicht völlig kalt gelassen hat – der Stil, mit dem man hier dem Vulgärmystizismus der Rechten begegnet, die ruhige Abwehr jedes Antiintellektualismus. Warburgs heitere Einsamkeit, seine Begeisterung für einen Stich von Dürer, seine Studien über den Hl. Augustinus haben ihn, meint Hans, zum Feindbild der Rechtsradikalen gemacht, so, wie es sonst nur die Kulturbolschewiken schaffen.
»Was sind das für Zeiten, wo/Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,/Weil es ein Schweigen über so viele Untaten/einschließt!« zitiert Hans Brecht. Die Verse passen auf unsere Situation: Cassirer kann sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen, dass heute Mädchen mit Fahnen, auf denen »Deutschland erwache!« steht, durch den Wald laufen.
Die Fasanen kommen aus dem Thüringer Wald, das Rezept hingegen stammt aus dem Hotel Erbprinz, in der Nähe vom Schillerhaus. Anlass, sie zuzubereiten, war der Besuch des Kaisers in der Stadt.
Fasan säubern, Herz und Leber aufbewahren. Salzen und pfeffern. Drei fein gewiegte Schalotten in einer Kasserolle mit einer Handvoll in Scheiben geschnittenen Champignons anschwitzen. 150 g fetten Speck kleinschneiden und durch ein Sieb drücken. Den durchpassierten Speck in eine Schüssel geben und mit den Champignons, Schalotten, mindestens 50 g schwarzen Trüffeln (als Stifte geschnitten), einem Glas Cognac und einem Süßwein vermischen. Fasanenleber und Herz durchpassieren, noch ein paar Hühnerherzen dazugeben und mit der Masse gut durcharbeiten, etwas Maronen- und Mandelmehl zugeben. Es dauert mindestens 5 min, bis man eine sämige Farce bekommt. In der Zwischenzeit zehn geschälte Maronen in Hühnerbrühe weich kochen. Den Fasan mit der Farce und den Maronen füllen. Brust und Schenkel mit Speck umbinden, pro 500 g Fasan mit Füllung 20 min im Ofen braten. 10 min vor Ende den Speck entfernen und diese Stellen mit Bratfett begießen. Mit dem entfetteten Bratenfond und Pilav-Reis servieren. (Das restliche Fett geben wir in der Arbeitermensa zu Pellkartoffeln oder in die geröstete Griessuppe für die Kriegswaisen im Kindergarten. Das Klima hier in Weimar ist inzwischen so vergiftet, dass unsere anfänglichen Vorbehalte, Essensreste des Restaurants an die Armen zu verteilen, völlig in den Hintergrund getreten sind vor den Verdächtigungen der Reichen, unsere Preise seien so hoch, weil wir damit unsere kommunistische Propaganda finanzierten.)

Desserts

Spartakistenpudding

Kunst und Technik bilden eine neue Einheit, sagte der »Chef«. Gropius weiß die Zeichen der Zeit zu lesen, und dieser Umstand hat das Ruder des Bauhauses fest in den Händen, aber um ihn herum schwankt und knirscht und zerbricht alles: Itten und seine Jünger werden immer wahnsinniger, Theo van Doesburg, der unter einem nom de plume auch Dada-Bilder malt, räsoniert in der Mensa mit uns Bauhäuslern über die Notwendigkeit, Tabula rasa zu machen. Während seiner Lektionen preist er dann völlig unkritisch die Maschine und, aus ihr folgend, den Fortschritt, er wettert gegen das Handwerk und will auch gleich die Malerei abschaffen – was viele oberflächlich begeistert und was genauso viele ebenso leicht missverstehen.
Itten hingegen, den alle nur noch »Seine Heiligkeit« nennen, trägt violette Paramente, rasiert sich nicht mehr nur Kopf und Gesicht, sondern erklärt Haare überhaupt zu Werkzeugen des Bösen, die man ganz loswerden müsse, und obwohl er sich mit der Leitung schon heillos überworfen hat, ahmen ihn viele nach. Was die Mensa angeht, wo endgültig das Fleisch abgeschafft worden ist und die Portionen halbiert worden sind – aus sowohl ökonomischen wie esoterischen Gründen –, so verursacht sie vor allem Gastritis und Mangelernährung; dies umso mehr, seit Knoblauch als Allheilmittel gilt, dessen Duft man in den Gängen nicht mehr entkommt. Wer es sich nicht leisten kann, woanders zu essen, ist arm dran.
In diesem Umfeld lässt es sich nicht vermeiden, dass viele die allgemeine Tragödie in ihre ganz private Farce verwandeln: So gibt es auf der einen Seite jetzt die »americans«, die unerschütterlich an die Innovation glauben, bewusst apolitisch sind und – mit ihren immer gespitzten Bleistiften in der Hemdtasche – nur glücklich, wenn sie am Zeichentisch stehen; auf der anderen die Mädels, die sich für frei halten, weil sie keine Strümpfe tragen und in den Bars die Beine hochschmeißen – und das, obwohl niemand sie braucht. Sie haben keine Aussicht auf ein unabhängiges Leben, sie warten immer lächelnd darauf, dass jemand ihnen eine englische Zigarette anbietet oder sie gleich mit sich fort nimmt. Und dann noch jene, die auch im Winter Sandalen tragen, sich die Haare wachsen lassen, die Romantiker lesen und glauben, die Welt sei mit dem Hobel neu zu gestalten. Und jene, die den Expressionismus verteidigen und Jazz hören; andere, die ihre Familien in der Schule geparkt haben, in der Hoffnung, dass sie reifen. Hans sagt voller Ironie: Wir haben eine spartakistische Zelle inmitten der Schule gegründet, weil wir dachten, das wäre so, wie den Baum im Walde zu verstecken; ich möchte nicht, dass wir uns verraten, weil wir nicht wahnsinnig genug sind. Er sitzt bei mir auf dem Sofa und saugt an seinen Handknöcheln. Ich runzele die Stirn. Es ist nichts, Hannah, nur ein Schlag, manchmal reicht das, um die Verhältnisse wieder gerade zu rücken, gerade bei den Spirituellen.
Diesen Pudding haben wir bei der Einweihung des Denkmals der Märzgefallenen gemacht, der »Chef« mag ihn sehr gern.
200 g Roggenbrot in 1/2 l Moselwein und 100 g Rohrzucker einweichen. Alles durchs Sieb geben, zwei Eier und drei Eigelb einarbeiten, ein paar cm zerbröckelte Zimtstange, 120 g zerlassene Butter zusetzen. Drei Eischnee unterheben. Mit Schmalz Glasraine einfetten, mit Semmelbrösel bestreuen und die Masse einfüllen. Im Wasserbad 40 min in den warmen Ofen geben. Den Pudding auf eine Platte stürzen und mit heißer Aprikosenmarmelade servieren, in die pro 30 g eine Nuss Butter und ein EL Cognac gegeben worden sind.

Thüringer Charlotte

Sie hatten beschlossen, alle zusammen zu übernachten, sie gaben nichts mehr auf die Sicherheitsregeln und stiegen in einem kleinen Hotel in der Bäckerstraße ab, in der Nähe vom Rathaus: Zwei Studentenpärchen auf Urlaub und ein junger Geschäftsmann, zufällige Reisebekanntschaften. Hannah erinnert sich noch wie heute an diese letzte Nacht in Deutschland. Sie sieht die gelb beleuchteten Gärten beim »Johanneum« vor sich, da umarmen sich zwei Liebende im Schatten an der Ecke zum Fischmarkt, eine Katze streift herum auf der Suche nach Futter. Die anderen schliefen, irgendwo bellte ein Hund, sonst war es vollkommen ruhig, wie Feuchtigkeit hing die Stille in der Luft, drückend und unerbittlich. Am Zollkanal konnte sie die Arbeiterhäuschen sehen, mit den schäbigen Balkonen und den auf dort aufgespannten löchrigen Hemden, die wie verblichene Fahnen im Winde hingen. Plötzlich heulte sie los und der Schleier aus Tränen, der sich vor ihre Augen legte, war wie eine Befreiung. Sie zündete sich eine Zigarette an.
Zwei Tage zuvor waren sie in Hamburg angekommen, in Erwartung des Schiffes, das sie via Bordeaux nach Amerika bringen sollte. Sie hatten entschieden, dass jeder in einem anderen Hafen von Bord gehen sollte, auch wenn auf allen Billetts New York als Reiseziel stand. Wenn sie während der Reise zusammenträfen, würden sie so tun, als kennten sie einander nicht, ob an Deck oder beim Essen – so musste es sein: Denn noch immer wurden sie gesucht und reisten mit falschen Papieren. Hannah hatte einen schweizerischen Pass, in Berlin ausgestellt, demzufolge sie in Lugano geboren war und Ginevra degli Angioli hieß.
Jemand verließ das Hotel gemächlichen Schrittes. Hannah wettete mit sich selbst, dass er sich umdrehen und zu ihrem Fenster hochschauen würde. Er tat es nicht. Sie schloss die Augen und sank mit einem Gefühl der Übelkeit zurück. Die Anspannung hatte den Hunger vertrieben. Ewa hatte vor der Abreise eine Charlotte gemacht, die sie sich dann teilten. Hannah beschloss, noch ein letztes Mal sorgfältig zu sein, und schrieb das Rezept auf.
1 kg Renette-Äpfel schälen, in Schnitze schneiden und Gehäuse entfernen. In eine Kasserolle geben und mit einem Glas Zucker bestreuen. 50 g Butterflocken, eine Vanilleschote, eine Zitronenschale, eine Gewürznelke, ein Stamperl Kirsch und ein paar Esslöffel Weißwein zugeben. Bei sehr kleiner Flamme kochen, Äpfel häufig wenden. Wenn sie weich werden, auf großer Flamme zu einer Art Marmelade einkochen. Vom Feuer nehmen und 25 g durchpassierte Aprikosenmarmelade hinzufügen, gut durchmischen. Einen halben Zentimeter dicke Weißbrotscheiben aufschneiden, Rinde entfernen und platt drücken. In einer Charlotteform anordnen, vorher mit einem Gläschen Kirsch in flüssiger Butter einweichen. Auch die Wände der Form bedecken. Die Apfelmasse (ohne Zitronenschale, Nelke und Vanilleschote) einfüllen, mit Brotscheiben bedecken und mit Butterflocken bestreuen. Für mindestens 50 Minuten in den vorgeheizten Ofen geben. Kann gut noch heiß gegessen werden.
Sie musste sich ausruhen und streckte sich auf dem Bett aus, das sie mit Hans teilte. Er dreht sich im Schlaf, küsste sie, und Hannah erwiderte den Kuss. Vergangenheit und Zukunft schienen zurückzuweichen, um sie herum war nur noch die flüchtig-verzweifelte Schönheit der Gegenwart. In den paar Stunden, die diese Nacht noch bot, hielten sie sich fest in den Armen. Hannah versuchte sich eine Zukunft für sie beide vorzustellen, aber es schien, als müssten sie weiter herumirren, ohne einander jemals finden zu können. Und doch war, als sie einmal hochschreckte, eine Kraft in ihren Händen, ganz als ob dieser kurze Traum, in den sie versunken war, ihr etwas geschenkt hätte, das sie nie mehr loslassen würde.
Am nächsten Tag im Morgengrauen trafen sich drei junge Männer und zwei junge Frauen mit müden und angespannten Gesichtern am Kai des Kaiser-Wilhelm-Hafens, um sich auf der »Luisiana« einzuschiffen. Sie taten, als wären sie einander genau so fremd, wie die anderen 200 Reisenden. Alle fünf wollten die Formalitäten schnell hinter sich bringen, um an Bord zu gehen und sich in der Kabine einzuschließen. Das Bullauge von Hannahs Kabine ging auf den Kinderspielplatz, der um diese Zeit leer war. Dann zerriss der Klang einer Sirene die Luft, tausend Taschentücher wurden wie auf Befehl geschwenkt, Abschiedsrufe flogen durch die Luft, jemand weinte am Kai. Hannah nahm den Kopf zwischen die Hände und schloss die Augen.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Anonym: Die Rote Köchin. Geschichten und Kochrezepte aus einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar. Aus dem Italienischen von Ambros Waibel. Mit einem Vorwort von Dietmar Dath. Ventil-Verlag, Mainz 2012. 224 Seiten, 15,90 Euro. Das Buch ist soeben erschienen.