Erika Steinbach und die »linken« Nazis

Linke Nazis, rechte Opfer

Erika Steinbachs Provokation ist nicht originell. Zur konservativen Mär vom »linken« Charakter des Nationalsozialismus.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, kann offenbar nicht anders: Kaum äußert sie sich zu historischen Themen, verliert sie die Kontrolle und wird ausfällig. Erst 2010 hatte die Vertriebenenfunktionärin Polen im Zweiten Weltkrieg als Aggressor gegen das Nazireich dargestellt. Obendrein sagte sie dem polnischen Deutschlandbeauftragten Wladyslaw Bartoszewski öffentlich einen »schlechten Charakter« nach. Bartoszewski war polnischer Widerstandskämpfer gegen die Deutschen und überlebte zudem die Haft in einem KZ. Steinbach dagegen wurde als Tochter zweier deutscher Besatzungssoldaten – eines hessischen Wehrmachtsfeldwebels und einer Berliner Luftwaffenhelferin – im zuvor polnischen Rumia geboren. So waren diese Äußerungen mehr als ein diplomatischer Eklat, in ihnen manifestierten sich die historischen Konflikte erneut. Obwohl Steinbach diese Anfeindung zurücknahm, belasteten ihre Ausfälle das deutsch-polnische Verhältnis schwer.
Nun hat die Dame mit dem stets leicht gequält wirkenden Lächeln die digitale Kommunikationsplattform Twitter für sich entdeckt. Was sie dort vergangene Woche in 140 Zeichen verlautbaren ließ, sollte wohl die bisherige Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts revidieren: »Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI …« (Hervorhebungen im Original).Immerhin hat man in der digitalen Welt genug Humor, Frau Steinbach noch weitere Kandidaten vorzuschlagen, die nach dieser Logik ebenfalls mit dem Label »links« zu versehen wären: Die Unionsparteien etwa, die sich zweifelsfrei der Sowjetunion zuordnen ließen, oder auch allein die CSU, die immerhin »sozial« im Namen führe.
Steinbachs Vorgehen ist nicht sehr originell. Die Nazis zu einer »linken« Bewegung zu erklären, gehört unter Konservativen seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire. Dabei geht es um die Entlastung einer alten Oberschicht, die in den Jahren vor 1933 die »Massenbewegung« Hitlers salon- und koalitionsfähig machte. Die Mär vom »linken« Charakter des Nationalsozialismus führt dabei nur das alte Ressentiment gegen den »Pöbel« von der Straße fort, dessen man sich aber doch zu bedienen versuchte. Als das scheiterte, fand der alte Adel übrigens seinen Platz bevorzugt in den Reihen der SS.
Historische Schuldumkehrungen scheinen ohnehin derzeit wieder Konjunktur zu haben. Nach Protesten gegen den Wiener Korporationsball griff auch Heinz-Christian Strache, der Bundesvorsitzende der FPÖ, in den Fundus der historischen Relativierung. Die angefeindeten Ballgäste erklärte er zu den »neuen Juden«. Dabei tanzte in der Wiener Hofburg neben Verbindungsstudenten und zahlreichen Politikern der österreichischen Rechten auch Marine Le Pen. Mit Vertretern der Parteien Vlaams Belang und Schwedendemokraten verlieh sie dem Ball das Flair eines Stelldicheins der europäischen Rechten. Strache und Steinbach eint die Vorliebe für anmaßende historische Vergleiche, um sich selbst zu Opfern zu stilisieren. Zwar haben Steinbachs Verbalinjurien in der Vergangenheit schon zu ihrem Rückzug aus dem Parteivorstand der CDU geführt. Da sie auf ihrer Homepage jedoch »Beständigkeit« als Hauptcharakterzug angibt, sind weitere Eskapaden zu befürchten.