Musik im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit

Berlin Beatet Bestes. Folge 140. Dr. M and his Dixie Five: »Schlaf, Kindchen, Schlaf« (1961).

Mit versteinertem Gesicht recke ich meine Faust in die Höhe, in der festgekrallt eine Schallplatte und ein Buch stecken, und rufe mit heiserer Stimme: » Over my dead body!« Nur über meine Leiche werdet ihr mir die jemals wegnehmen können. Ich fühle ich mich so wie der ultrakonservative NRA-Lobbyist Charlton Heston, der für sein Recht auf Schusswaffen kämpft. Störrisch verteidige ich das konkrete kulturelle Material gegen das Digitale. Wie ein Irrer. Dabei will mir ja niemand irgendwas wegnehmen. Wie es aussieht, reißt die Buch- und Vinylproduktion nicht ab und ich werde bis an mein Lebensende mit Büchern und Schallplatten versorgt sein.
Die Debatte über das Urheberrecht, die durch die Wutrede Sven Regeners wieder aufgeflammt ist, zeigt aber, dass nicht wenige Menschen von den Problemen, die die Digitalisierung mit sich bringt, verunsichert sind. Sven Regener findet, dass die Künstler honoriert werden müssen, wenn ihre Arbeiten in digitalisierter Form verfügbar sind. Die Medienindustrie arbeitet an der Kommerzialisierung des Internet und möchte, dass alle ­digitalen Medien, die urheberrechtlich geschützt sind, nur noch käuflich zu ­erwerben sind. Die Piratenpartei und die Mehrzahl der Digital Natives lehnen das ab. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen und wehren sich gegen seine Kontrolle. Beide Parteien stehen sich gegenüber und bekämpfen sich erbittert. Ich habe keine Lösung, aber es kommt mir so vor, als wären die Tage des Wilden Westens im Internet gezählt. Oder haben Banditen und Piraten jemals die Schlacht gewonnen?
Seit vier Jahren präsentiere ich auf meinem Blog von mir digitalisierte Schallplatten, die nie zuvor wieder veröffentlicht wurden. Musik, die fünfzig Jahre lang vergessen wurde, weil offensichtlich kein kommerzielles Interesse mehr an diesen Produkten bestand. Was ich mache, ist illegal. Ich besitze keinerlei Rechte an dieser Musik. Statt Klagen habe ich bisher aber ausschließlich positive Reaktionen von Künstlern oder ihren Nachkommen geerntet.
Einmal bekam ich eine Mail von einem Majorlabel, da dachte ich: Jetzt ist es vorbei, jetzt kommt die Unterlassungsklage. Stattdessen wurde ich um Linernotes für eine Wiederveröffentlichung auf CD gebeten. Sollte ich für meine Leistung also bezahlt werden? Nein. Auf seltsame Weise bin ich zwar Hersteller eines »Content« im ­Internet. Meine Posts werden gelegentlich sogar auf anderen Blogs kopiert. Aber digital ist und bleibt nun mal wertlos. So wie diese Dixielandplatte von Mr. M und seinen Dixie Five. Die war 1961 reiner Retro, stieg zwar auf Platz 30 in den deutschen Charts ein, verschwand dann aber sofort in der Versenkung und ward nie wieder gesehen. Bis jetzt.