Die kurdische PYD beherrscht Gebiete Syriens

Auf Seiten der Sieger

Die syrisch-kurdische PYD, eine Teilorganisation der PKK, übernimmt in Absprache mit dem Regime Bashar al-Assads die Macht in einigen Gebieten des Landes.

»Die PYD leistet gute, zum Teil großartige Arbeit«, urteilt Azad, ein Aktivist aus al-Qamishli, der größten Stadt im überwiegend kurdisch besiedelten Nordosten Syriens. Er ist alles andere als ein Freund der Partei der Demokratischen Union (PYD), des syrischen Zweigs der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Aber er ist Realist. Während in Homs, Hama und anderen Zentren des syrischen Aufstands die Rebellion, unterstützt von Staaten wie Saudi-Arabien und Katar, immer stärker religiösen Charakter annimmt, ist die PYD in den kurdischen Enklaven Syriens, Jazeera, Afrin und Ain al-Arab, auf dem besten Wege, die Ba’ath-Diktatur durch eine PKK-Diktatur abzulösen.
Als der syrische Aufstand im März vorigen Jahres begann, nahmen viele an, dass die Kurden eine Schlüsselrolle spielen würden. Sie galten, obgleich in ein gutes Dutzend illegaler Parteien zersplittert, als der am besten organisierte Teil der syrischen Opposition. Die Bilder aus dem Jahr 2004, als Zehntausende Kurden auf die Straße gingen, waren noch gut in Erinnerung. Die Regierung fürchtete, dass Massenproteste in den kurdischen Gebieten auf die bis dahin ruhigen Metropolen Damaskus und Aleppo mit ihrer großen kurdischen Community übergreifen und den Aufstand auch dort entfachen könnten. Deshalb bat Präsident Bashar al-Assad die kurdischen Parteiführer erstmals offiziell zum Gespräch, deshalb bürgerte er im April 2011 einen Großteil der über 200 000 staatenlosen Kurden ein und erfüllte so eine Hauptforderung der kurdischen Parteien.
Tatsächlich spielen diese bislang keine wesentliche Rolle im Kampf gegen Assad. Der Ende Oktober 2011 gegründete Kurdische Nationalkongress, in dem mit Ausnahme der Kurdischen Zukunftsbewegung und der PYD alle syrisch-kurdischen Parteien vereint sind, schreckt bislang davor zurück, eindeutig den Sturz des Regimes zu fordern. Auch deshalb ist der Kurdische Nationalkongress nicht Teil des Syrischen Nationalrats, des größten Oppositionsbündnisses.
Die Angst vor Vergeltungsmaßnahmen des Regimes spielt hier ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass den Kurden nicht nur das Vertrauen in die arabische Opposition fehlt, sondern auch eine Vorstellung davon, welche Stellung die Kurden nach einem Regimewechsel einnehmen sollen. Es fehlt die Vorstellung von dem, was sein soll – und man ist alles andere als einig. Die Gründung des Kurdischen Nationalkongresses kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass manche seiner Vertreter allein »kulturelle Rechte« fordern, während andere von einem föderalen Status ähnlich dem der irakischen Kurden träumen.
Eine Ausnahme stellt die Kurdische Zukunftsbewegung dar, seit Beginn der Proteste fordert sie den Sturz des Regimes. Ihr früherer Sprecher, Mish’al al-Tammu, wurde im Oktober vorigen Jahres wegen dieser kompromisslosen Haltung ermordet. Offiziell wird die syrische Regierung für seinen Tod verantwortlich gemacht, doch glauben viele Kurden, dass PYD-Kader den Mord zumindest ausgeführt haben. Die PYD ist die zweite große Ausnahme innerhalb des syrisch-kurdischen Parteienspektrums, wenn man sie denn als syrisch-kurdische Partei bezeichnen will. Tatsächlich ist ihre Politik überwiegend auf die Türkei ausgerichtet.
Die Geschichte der PKK/PYD in Syrien war wechselhaft. Bis Ende der neunziger Jahre unterhielt die PKK Trainingslager im damals syrisch kontrollierten Libanon, ihr Anführer Abdullah Öcalan genoss Asyl in Syrien. Die Unterstützung der PKK war ein wichtiges Druckmittel gegen die Türkei. 1998 erzwang die türkische Regierung die Ausweisung Öcalans und ein härteres Vorgehen gegen PKK-Anhänger. Bis März vorigen Jahres wurden Sympathisanten dieser Partei bzw. der 2003 gegründeten PYD besonders unnachgiebig verfolgt, inhaftiert und gefoltert.

Mit dem Beginn des Aufstands wendete sich das Blatt erneut. Die Regierung in Damaskus und die PKK gingen eine strategisches Partnerschaft ein. Die PYD unterdrückte regimekritische Demons­trationen in den kurdischen Gebieten, insbesondere in ihrer Hochburg Afrin. Im Gegenzug ließ dass Regime zu, dass die PYD Kulturzentren und Sprachschulen eröffnete, bewaffnete Kämpfer aus der Türkei und dem Irak ins Land holte, Straßen- und Grenzkontrollen in den kurdischen Gebieten durchführte und »Wahlen« abhielt. Dass es sich hier nicht um eine Verschwörungstheorie handelt, macht etwa ein von al-Jazeera veröffentlichtes internes Dokument der Ba’ath-Partei deutlich, in dem es heißt, dass die Unterdrückung von Protesten in den kurdischen Gebieten nicht durch reguläre Sicherheitskräfte, sondern in Koordination mit der PKK geschehen solle.
Das Ziel der PKK/PYD ist es, die kurdischen Gebiete Syriens unter ihre Kontrolle zu bringen. Als Rückzugsgebiet für ihre Kämpfer in der Türkei, wo sie, wie auch im Nordirak, immer stärker unter Druck gerät, sowie als Terrain für die Rekrutierung neuer Kämpfer. Unterstützt wird sie dabei vom Iran. Der iranische Zweig der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK), stellte nicht umsonst kurz nach Beginn des syrischen Aufstands den bewaffneten Kampf ein, ohne das Geringste erreicht zu haben.
Die Brutalität, mit der die PYD vorgeht, erinnert fatal an die Politik der PKK in den achziger Jahren. Kritiker werden entführt, gefoltert und ermordet, Konkurrenten bedroht und eingeschüchtert. Weder die nur lose organisierten Koordinationskomitees jugendlicher Revolutionäre noch die übrigen syrisch-kurdischen Parteienspektrum mit ihren bestenfalls 20 oder 30 Berufspolitikern haben dem etwas entgegenzusetzen.
Doch die PYD setzt nicht allein auf Gewalt. Sie schlichtet, wenn es Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder innerhalb der Familie gibt, sie verkauft in Zeiten steigender Preise günstiges Benzin, sie organisiert Sprachkurse und Kulturveranstaltungen und schickt ihre jungen Männer zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf die Straßen. Gleichzeitig bereitet sie sich auf die Zeit nach Assad vor, bildet Komitees, die Rathäuser, Elektrizitäts- und Wasserwerke sowie andere strategisch bedeutsame Bereiche übernehmen sollen. »Sie tut, was eigentlich Aufgabe des Kurdischen Nationalkongresses gewesen wäre«, sagt Azad.

Dementsprechend wächst die Zahl ihrer Sympathisanten auch in Städten wie al-Qamishli, in denen sie traditionell schwach war. In der Bevölkerung wächst die Bereitschaft, der PYD-Propaganda, dass allein »Verräter« und »unmoralische Personen« »bestraft« würden, zu glauben. »Die PYD scheint so viel für die Leute zu tun, dass niemand sieht, dass sie diese Möglichkeit nur ihrer Kooperation mit dem Regime verdankt«, sagt Mohammed, ein Aktivist aus Afrin.
Wenn das Regime stürzt, ist die PYD bestens vorbereitet, die vollständige Kontrolle in den kurdischen Gebieten zu übernehmen. Sollte hingegen die Regierung den Aufstand überleben, kann die PYD darauf verweisen, sie in schweren Zeiten unterstützt zu haben und dafür Zugeständnisse verlangen. Egal was passiert, es sieht so aus, als werde die PYD auf Seiten der Sieger stehen – und die syrischen Kurden auf Seiten der Verlierer. »Wenn wir sehen, wie die PYD agiert, dann vermissen wir schon heute die Ba’ath-Partei«, gesteht ein hohes Mitglied des Kurdischen Nationalkongresses. Andere syrische Kurden sehen in der Türkei die einzige Kraft, die noch in der Lage ist, die Vorherrschaft der PYD/PKK zu verhindern. Sei es durch eine militärische Intervention, sei es durch die Unterstützung der Freien Syrischen Armee.