Neue Software zur Kontrolle der Beschäftigten

Der Schwarm des Kapitals

Derzeit werden Software-Produkte entwickelt, die Unternehmen eine umfassende Kontrolle ihrer Arbeitskräfte ermöglichen. Outsourcing und Flexibilisierung werden damit auf die Spitze getrieben.

Ein Unternehmen, das auf dem Markt bestehen möchte, muss auf dem Gebiet der Informationstechnologie gut beraten sein. Fachmessen zu den neuesten digitalen Trends ziehen deswegen schon lange nicht mehr nur IT-Experten an. Das gilt auch für die »Internet World«, die sich mit elektronischem Handel (E-Commerce) befasst und Mitte März erneut in München stattfand. Die zweitägige Messe wurde von Unternehmen aus allen Branchen frequentiert, etwa weil sie erfahren wollten, wie sie die sozialen Medien besser für sich nutzen können. Hilfe versprach zum Beispiel die »Tweet Akademie«, eine Partnerveranstaltung der Messe, bei der Intensivseminare zum »taktischen Einsatz« solcher Medien angeboten wurden. Die Veranstalter sprechen von einer neuen Unternehmerkultur, dem »Social Enterprise«, und wollten unter anderem vermitteln, »wie das Social Web helfen kann, kollektive Intelligenz zu insourcen«.
»Crowdsourcing« soll dies ermöglichen. Dabei handelt es sich um ein Prinzip der Arbeitsteilung, bei dem ein »Schwarm« von Internetusern aufgerufen wird, bestimmte Aufgaben oder Probleme eines Unternehmens zu lösen – meist unentgeltlich. Bisher kennt man diese Methode vor allem im Bereich der Produktentwicklung, etwa wenn gezielt Feedbacks von Internetusern eingeholt werden, um ein Produkt zu verbessern. Auch der gerade in den deutschen Kinos angelaufene Film »Iron Sky« wurde durch Formen des Crowdsourcing realisiert. So finanzierte der finnische Regisseur Timo Vuorensola nicht nur einen Teil der Produktionskosten direkt durch Spenden seiner Fans – »Crowdfunding« genannt –, er ließ sie auch bei der Gestaltung von Teilen des Films und Werbematerialien mitwirken.

Vuorensola gilt als Pionier neuer Produktionsmethoden. Schon länger unterhält er eine Website namens »Wreck a Movie«, die dem Crowdsourcing in der »Kreativbranche« dient. Dort lassen Film- und Fernsehmacher die Netzgemeinde an ihren Produktionen mitarbeiten – ehrenamtlich. Damit spart man sich die Kosten für Leistungen, die sonst bezahlt werden müssten, und erhöht die Bindung möglicher Konsumenten. Was wie ein sympathischer Versuch wirkt, Fans an Kreativprojekten teilhaben zu lassen, hält zurzeit in vielen Geschäftsbereichen Einzug. Denn immer häufiger findet die »Schwarmauslagerung« Anwendung in der allgemeinen Arbeitsorganisation von Unternehmen.
Vorreiter dieser Entwicklung waren Plattformen, auf denen Unternehmen einfache Aufgaben (Microtasks) einstellen können, die von Internet­usern ausgeführt werden, etwa kleinere Recherchen oder Übersetzungen. Der Management-Spezialistin Susanna Gebauer zufolge werden dabei »meist Hungerlöhne« gezahlt. Zu den bekanntesten Anbietern gehören Amazons »Mechanical Turk« und die deutsche Plattform clickworker.com, die gerade erst verkündete, die Marge von 200 000 Nutzern überschritten zu haben. In eine ähnliche Lücke stößt das Berliner Projekt Workhub, das derzeit an einer neuen Plattform arbeitet. Dort sollen Aufgaben vermittelt werden, die in »unproduktiven Zeiten«, etwa bei Zugfahrten, auf dem Smartphone erledigt werden können. Streetspotr wiederum bietet ein App für »standortbasierte Mikrojobs« an, mit denen man sich ein »geo-basiertes Taschengeld« hinzuverdienen kann. »Viele Unternehmen benötigen nämlich ganz oft einmal eine schnelle Hilfe direkt an einem bestimmten Ort, möchten aber keinen Mitarbeiter losschicken«, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens.
Aber auch Plattformen, auf denen regelrechte Projekte ausgeschrieben werden, finden sich im Internet. Zu den größten dieser »Ebays für Arbeitskräfte« gehört etwa Top-Coder mit fast 400 000 Mitgliedern. Dort konkurrieren Software-Entwickler weltweit um Kunden und deren Aufträge. Auch auf der Plattform von Innocentive schreiben Unternehmen – darunter sehr namhafte – regelmäßig Aufträge aus, meist in Form von Problemschilderungen, für deren Lösung ein Preisgeld ausgezahlt wird. Ähnlich verfährt auch das deutsche Unternehmen Twago, bei dem die Crowd Lösungsvorschläge machen und das ausschreibende Unternehmen sich einen Freelancer für das Projekt aussuchen kann.

Twago scheint derzeit bemüht, diese digitale Form der Arbeitsvermittlung in Deutschland bekannter zu machen. Auf der IT-Messe Cebit Anfang März in Hannover etwa organisierte das Unternehmen ein Podium zum Thema »Cloud Working«. So nennt sich die Übertragung des Cloud-Computing-Prinzips, bei dem IT-Infrastrukturen bedarfsorientiert über ein Netzwerk zur Verfügung gestellt werden, auf den Bereich der Arbeitskraft. Twago ließ darüber diskutieren, »was weltweites digitales Arbeiten vor allem für Freiberufler bedeuten kann«, und fasste dann zusammen, dass Cloud Working »eine große Möglichkeit zur Abschwächung der hohen Arbeitslosenquoten, vor allem in den südlichen Ländern«, darstelle.
Was man darunter genau verstehen darf, wird am Beispiel von IBM deutlich. Im Februar wurde bekannt, dass der amerikanische Software-Konzern, der den Abbau von bis zu 8 000 seiner 20 000 Arbeitsplätze in Deutschland angekündigt hat, das Cloud-Working-Prinzip großflächig zur Anwendung bringen möchte. Aus einem internen Dokument, das dem Spiegel vorliegt, geht hervor, dass IBM seine Arbeitsorganisation radikal zu flexibilisieren beabsichtigt, indem es seine Kernbelegschaft so stark wie möglich reduziert. Die restlichen Arbeitskräfte sollen bedarfsorientiert über ein virtuelles Netzwerk rekrutiert werden, wo sich eine weltweite Crowd von freiberuflichen Spezialisten um die jeweiligen Projekte bewirbt. Verbunden damit sind »globalisierte Arbeitsverträge«, die es ermöglichen, nationale Lohnregelungen zu umgehen. Zur Feststellung der Eignung eines Bewerbers soll es zudem individuelle Profile geben, in die neben einem elektronischen Lebenslauf unter anderem Bewertungen durch soziale Netzwerke einfließen, um die »soziale Reputation« zu messen.

Dass Cloud Working bisher nicht so komplex wie bei IBM angewendet wurde, habe vor allem damit zu tun, dass dieses Konzept bei geschäftskritischen Aufgaben »mit einer Reihe von ökonomischen, rechtlichen und technischen Herausforderungen verbunden« sei, erläutert eine Forschungsgruppe des Karlsruhe Service Research Institute, die derzeit ein System für solche »People Clouds« entwickelt. »Eine besondere Herausforderung«, heißt es weiter, »stellt das Qualitätsmanagement dar, da man sich wegen der eingeschränkten Kontrolle über die beteiligten Crowdworker nur bedingt auf einzelne Arbeitsergebnisse verlassen kann«. Die Forschungsgruppe, die von IBM gefördert wird, soll bis Mai »skalierbare Qualitätsmanagementmechanismen« entwickelt haben, »welche die Arbeitsergebnisse mehrerer Crowdworker in einer effizienten Art und Weise kombinieren, um verlässliche Resultate zu garantieren«.
Offenbar scheinen einigen Unternehmen die bisherigen Systeme des »Human Resource Management« nicht mehr auszureichen. So gab das US-Unternehmen Salesforce Ende März bekannt, eine neue Management-Anwendung entwickelt zu haben, die unter anderem dabei helfe, »das Recruiting, die Personalverwaltung sowie die Förderung von Talenten zu optimieren«. Das Unternehmen spricht von der »nächsten Generation des Social Enterprise«. Wenige Tage zuvor hatte auch schon das ebenfalls auf diesem Gebiet tätige US-Unternehmen Saba mitgeteilt, eine eigene Software für »People Clouds« entwickelt zu haben. Das Unternehmen brüstet sich, eine »revolutionäre« Technologie geschaffen zu haben, die es in Form eines »People Quotient« ermögliche, »den Einfluss, die Reputation und die Wirkung« der jeweiligen Arbeitskräfte zu messen. Saba erwartet im Bereich solcher »sozialen Software-Produkte« eine jährliche Wachstumsrate von fast 40 Prozent in den nächsten fünf Jahren.

»Mit E-Mails haben wir unsere Arbeitsweisen verändert. Jetzt machen wir das erneut, indem wir Menschen, nicht Informationen, in den Mittelpunkt der Organisation stellen«, verkündete Bobby Yazdani, der Gründer und CEO von Saba. Auch Cathy Davidson, Professorin an der Duke University in North Carolina, behauptet, dass sich Crowdsourcing und Cloud Working zu einer zentralen Produktivitätsressource entwickeln würden. In manchen Fachkreisen ist die Rede vom »Arbeitsmodell der Zukunft«. Ob die Digitalisierung der Arbeitswelt wirklich so einschneidend ausfallen wird, sei dahingestellt. Es wäre zumindest die konsequente Fortführung der wirtschaftlichen »Dezentralisierung«, die den »Arbeitskraftunternehmer« als Ideal hat und Festanstellungen auf creative core teams reduzieren möchte.
Die damit einhergehende Flexibilität und Eigeninitiative fand man bisher vor allem im Bereich der »Kreativwirtschaft«. Als vermeintlicher Wachstumsmarkt wird diese von Unternehmen und Politikern als Leitbild einer dynamischen Wirtschaft propagiert. Die kreativen Freelancer haben jedoch ihre eigenen Erfahrungen gemacht. »Das Attribut kreativ bedeutet oft nichts anderes als marktgängig und verwertbar«, schreibt Katja Kullman in »Echtleben«, einem Buch über ihr Leben als kreative Freiberuflerin. »Zehntausende einst hoffnungsvoll gestartete Freelancer sind über die Nuller-Jahre zu traurigen Tagelöhnern geworden«, so Kullman, die von »Outsourcing, Freisetzung, auch Lohnerpressung« berichtet.
So entpuppt sich das »Arbeitsmodell der Zukunft«, das mehr Freiheit, weniger Hierarchien und mehr Selbstverwirklichung verspricht, als Modell der Vergangenheit – als Mittel zur Kontrolle und Disziplinierung. Schon das Taylor-Prinzip der »wissenschaftlichen Betriebsführung« sollte einst die Organisierungsfähigkeit und die Verhandlungsmacht der Arbeiterschaft brechen. Doch erst durch die »Dezentralisierung« der Arbeitsorganisation – namentlich durch Leiharbeit, Outsourcing und »flache Hierarchien« – gelang dies im umfassenden Sinne. Mit digitalen Methoden der Rationalisierung soll diese »Erfolgsgeschichte« offenbar nun fortgeschrieben werden.