Homophobe Gesetze in Russland

Madonna und Moralapostel

Das vor kurzem in St. Petersburg verabschiedete Gesetz gegen »homosexuelle Propaganda« ist nur eines von vielen lokalen homophoben Gesetzen in Russland. Vor allem christliche Konservative versuchen, ihre reaktionäre Ideologie durch­zusetzen.

Um das Thema Homophobie wird in Russland nicht viel Aufhebens gemacht. Die wenigsten Menschen stellen ihre Ablehnung homosexueller Lebensweisen in Frage, erst recht nicht öffentlich. Dafür tun jene umso lauter ihre Meinung kund, die finden, ihre »tolerante Grundeinstellung« werde schamlos ausgenutzt. Denn wer sich offen für die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern einsetzt, wolle schließlich nichts anderes als provozieren. Anlass für derartige Kommentare boten in den vergangenen Jahren die regelmäßig scheiternden Versuche, legal gegen die Diskriminierung Homosexueller zu demonstrieren. Aber längst bleibt es nicht mehr bei Demonstrationsverboten.

Ein Ende März durch den Stadtrat von St. Petersburg verabschiedetes Gesetz stellt inzwischen »homosexuelle Propaganda« unter Strafe. Es geht dabei vermeintlich um das Wohl von Kindern und Jugendlichen. Wer Informationen verbreitet, »die geeignet sind, der Gesundheit oder der sitt­lichen und geistigen Entwicklung Minderjähriger zu schaden, darunter die Vermittlung der Vorstellung von sozialer Gleichwertigkeit traditioneller und nicht-traditioneller ehelicher Verbindungen«, läuft Gefahr, als Privatperson zu einer Geldstrafe von etwa 130 Euro verurteilt zu werden. Für Amtspersonen, Firmen und Vereine gelten wesentlich höhere Sätze. Eine Antwort darauf, was genau unter dem Begriff der Propaganda zu verstehen ist, kennt die landesweit gültige russische Gesetzgebung allerdings nicht. Gesetzesinitiativen, die in den vergangenen Jahren im russischen Parlament eingebracht wurden, scheiterten bislang. Ein neuer Gesetzesentwurf wird vom zuständigen Ausschuss vorbereitet.
Die russischen Regionen schafften deutlich schneller vollendete Tatsachen. In Ryazan, östlich von Moskau, existieren bereits seit 2006 homophobe Gesetze. 2011 folgten Archangelsk und Kostroma. Aber erst die Verabschiedung des Petersburger Gesetzes erweckte größeres öffentliches Interesse. Dem gewinnen einige Vertreterinnen und Vertreter von LGBT-Organisationen sogar positive Seiten ab. Valerij Sozajew vom »Russischen LGBT-Netzwerk« mit Sitz in St. Petersburg erkennt seither vor allem eine differenziertere Berichterstattung, außerdem gebe es nun auch die lange vergeblich eingeforderte Unterstützung durch einige bekannte Persönlichkeiten. »Als Reaktion auf das Gesetz ist endlich ein echter öffentlicher Diskurs auf einem ganz anderen Niveau entstanden«, sagt Sozajew im Gespräch mit der Jungle World.
Doch mit aktiver Unterstützung kann die LGBT-Community trotzdem kaum rechnen. Die »Agentur für soziale Information« kam in ihrer im Auftrag einer Petersburger Internetzeitung entstandenen Studie zu dem Schluss, dass 78 Prozent der Stadtbevölkerung das Gesetz befürworten, nur eine kleine Minderheit lehne es ab. Gleichzeitig sprechen sich fast 70 Prozent für die Gleichbehandlung Homosexueller aus – aber nicht für eine rechtliche Gleichstellung.

Noch bleibt offen, wie die neue gesetzliche Regelung in St. Petersburg Anwendung finden wird. Anfang April wurden zwei LGBT-Aktivisten bei einer Einpersonenkundgebung, die unter dem Motto »Schwulsein ist normal« stand, vorübergehend festgenommen. Da bei dieser Art der Kundgebung nur eine Person ein Plakat tragen darf und etwaige Unterstützer Distanz halten und die Person höchstens beim Tragen ablösen, bedarf es keiner behördlichen Genehmigung. Der Vorwurf an die beiden lautete dennoch, sie hätten eine unangemeldete Kundgebung durchgeführt und seien den gesetzlichen Anweisungen der Polizei nicht nachgekommen. Das zuständige Friedensgericht wies allerdings die vorgebrachten Anschuldigungen »homosexueller Propaganda« aufgrund formaler Fehler bei der Ausstellung des Polizeiprotokolls zurück. Vorerst ist die Verhandlung verschoben. Käme es zu einem Urteil, handelte es sich um einen Präzedenzfall, und das wird die Stimmung sicherlich anheizen. Womöglich wartet das Gericht auch auf eine Anweisung von höherer Stelle.
Eine Niederlage musste indes die Petersburger Organisation »Coming Out« einstecken. Sie hatte anlässlich des diskriminierenden Gesetzes eine großangelegte Plakatkampagne auf dem Newskij Prospekt, der belebten Hauptstraße im Stadtzentrum, vorbereitet. Obwohl die Rechnung bereits beglichen war, machte die Firma, bei der große Werbeflächen angemietet waren, einen Rückzieher mit der Begründung, sie sei nicht bereit, das Risiko einzugehen, mit einer Strafe von über 13 000 Euro belangt zu werden. Auf den von »Coming Out« entworfenen Plakaten sind unbestrittene Größen aus der St. Petersburger Kulturgeschichte abgebildet, wie die Dichterin Marina Zwetajewa oder der Komponist Pjotr Tschajkowskij, deren homosexuelle Neigungen selbst in der konservativen russischen »Kulturhauptstadt« keineswegs ein Geheimnis sind. Die Münder der Abgebildeten verbirgt ein türkisfarbener Balken, der ihre ein- oder zweizeiligen Liebesgeständnisse regelrecht zum Verstummen bringt.
Während sich die russische Kulturelite hinsichtlich der jüngsten Entwicklungen in Schweigen hüllt, meldete sich die Pop-Ikone Madonna zu Wort. Sie verurteilte das homophobe Gesetz vehement und kündigte auf Facebook an, der Petersburger LGBT-Community mit aller Kraft beizustehen. Damit sicherte sie sich den Verkauf von mindestens 100 Tickets für ihr im August in St. Petersburg geplantes Konzert. Denn der Autor des Petersburger Gesetzes, Witalij Milonow, kündigte an, den Auftritt des Popstars gleich mit einer ganzen Horde freiwilliger Moralhüter besuchen zu wollen, um bei etwaiger homosexueller Propaganda entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Vorausgesetzt, das Konzert findet tatsächlich statt.
Andrej Kurajew, ein hochrangiger Vertreter der orthodoxen Kirche, verriet nämlich unlängst, wie mit öffentlichen Auftritten missliebiger Kulturschaffender umzugehen sei. Auf Einladung von Milonow war Kurajew nach Petersburg gereist, um jenem tatkräftigen Beistand zu leisten. Bei einem Treffen mit Studierenden wurde gefragt, wie sich ein »normaler Mensch« zu verhalten habe, wenn Madonna nach Petersburg komme, um dort homosexuelle Propaganda zu betreiben. Der Geistliche gab prompt eine Empfehlung: »Ein normaler Mensch ruft beim Inlandsgeheimdienst FSB an und sagt, nach seinem Wissen hätten Terroristen aus Neuguinea in dem Konzertsaal eine Bombe gelegt.« Die russischen Strafverfolgungsbehörden sehen bislang keinen Grund, diese Aussage als Straftat zu werten, obwohl eine Moskauer LGBT-Organisation bereits Anzeige erstattet hat. Schließlich sei Kurajew für seine spontanen und emotionsgeladenen Aussagen bekannt.

Eines hat das neue Gesetz jedenfalls erreicht. »Die LGBT-Community ist verängstigt«, sagt Sozajew. Während sich selbstbewusste Aktivistinnen und Aktivisten durch staatliche Angriffe nicht zum Schweigen bringen lassen wollen und sich viele von ihnen für ein offensiveres Auftreten aussprechen, stimmen die Ungewissheit über rechtliche Konsequenzen und homophobe Aggressi­vität, wie sie insbesondere aus Kirchenkreisen immer häufiger artikuliert wird, eher pessimistisch. Zumal die neuen homophoben Gesetze zu einer ganzen Reihe von Kampagnen und Gesetzesänderungen gehören, die deutlich Affinitäten zum vorrevolutionären Russland aufweisen. Reaktionäre Kräfte aus Politik und Kirche arbeiten daran, die Zäsur der Revolution von 1917 zu revidieren. Ob es um die Einschränkung der Reproduktionsrechte von Frauen, Angriffe auf die Kunstfreiheit oder die »sittlich-moralische« Kindererziehung geht, immer mischt die russisch-orthodoxe Kirche an vorderster Stelle mit.