Zum Tod von Jack Tramiel, der den C64 erfunden hat

Game over

Jack Tramiel, der Erfinder des C64, des ersten massenhaft produzierten und verbreiteten Heimcomputers, ist vorige Woche gestorben. Er war 1947 als Überlebender der Shoa in die USA emigriert und machte dort eine beispiellose Karriere.

Vielleicht auf dem Dachboden? Oder doch eher in der Garage? Oder ganz hinten in der Abstellkammer? Die Nachricht vom Tod Jack Tramiels dürfte bei vielen erwachsenen Menschen nostalgische Sehnsucht nach ihrem ersten Computer ausgelöst haben. Und das Bedürfnis, sofort und auf der Stelle eines dieser Spiele von einst noch einmal zu daddeln.
Wie viele C64 es heute überhaupt noch gibt, weiß niemand – weltweit wurden um die 17 Millionen Exemplare verkauft. Aber auch wenn die Suche nach der geliebten Brotkiste (so lautete der Spitzname des Computers in seiner Originalver­sion) in den Tagen nach dem Bekanntwerden des Todes seines Erfinders erfolgreich war, konnten ganz sicher nicht alle, die sich auf ein Wiedersehen mit Spielen wie »Winter Games«, »Elite« oder »Traffic in London« freuten, auch wirklich gleich losdaddeln. Möglicherweise hakte die Datasette, mit der man die Kassetten mit den Programmen abspielen konnte, und die alten Floppys, auf denen die Programme später gespeichert wurden, hatten nur eine Lebensdauer von zehn bis 30 Jahren – bei optimaler Lagerung.
Wer es dann aber doch schaffte, den ollen C64 in Gang zu setzen und loszulegen, erlebte vermutlich eine Überraschung. Denn so rückständig, wie sie in der Erinnerung oft wirken, sind die Games von einst überhaupt nicht. Das Spiel »Elite« führte beispielsweise Vektorgraphik ein und wurde hoch gelobt, auch wenn alle Objekte im Spiel nur durch Gitternetzlinien angezeigt wurden. Spielkonzepte für den C64 wurden in großen Mengen entwickelt, manche Spiele bildeten die Grundlage für ganze Genres, wie zum Beispiel das von Lucas Arts entwickelte Klick-Adventure »Maniac Mansion« und das Fußballgame »Microprose Soccer«. Sid Meiers »Pirates« gab es zunächst nur auf dem C64 , erst später wurde es auf alle möglichen Heimcomputer portiert und war so auf dem Apple II, dem PC, dem Macintosh, Amstrad PC, Atari ST, Amiga und dem Nintendo Entertainment System verfügbar. Die letzten beiden Versionen des Klassikers kamen erst voriges Jahr für das I-Phone und dieses Jahr für Windows Phone 7 auf den Markt.

Dass er eines Tages eine Spielemaschine schaffen würde, hatte Jack Tramiel jedoch sicher nicht im Sinn gehabt, als er im Jahr 1953 seine Firma Commodore gründete. Mit Computern hatte das Unternehmen zunächst nichts zu tun, es begann 1953 als Reparaturbetrieb für Büromaschinen in der New Yorker Bronx. Tramiel, der gerade seine Zeit in der Armee beendet hatte, gründete seine Firma Commodore Portable Typewriter mit Hilfe eines Army-Darlehens – allerdings verlegte er den Geschäftssitz bereits drei Jahre später ins kanadische Toronto. Commodore Business Machines – so hieß die Firma inzwischen – hatte ein Vertriebsabkommen mit einem tschechoslo­wakischen Schreibmaschinenhersteller geschlossen, aber Waren aus den Staaten des Warschauer Pakts durften nicht direkt in die USA importiert werden, deshalb musste Tramiel nach Kanada ausweichen. Anfang der sechziger Jahre erlebte Commodore die erste Krise: Die Preise von japa­nischen Konkurrenten konnten auf dem amerikanischen Markt nicht unterboten werden. Auch eine zweite Geschäftsidee, der Handel mit Additionsmaschinen, erwies sich als nicht erfolgreich. Tramiel reiste nach Japan, um hinter die Erfolgsgeheimnisse der dortigen Hersteller zu kommen – und entdeckte dort ein ihm vollkommen unbekanntes Produkt: elektronische Taschenrechner.

Die Firma Commodore verlegte sich umgehend auf die Herstellung der kleinen Kalkulatoren, bis der Chipzulieferer für die Taschenrechner, Texas Instruments, auf die Idee kam, selbst die kleinen Rechner zu fertigen, statt Commodore mit den Prozessoren zu beliefern. Und das hätte auch schon das Ende von Tramiels Unternehmerträumen sein können, wenn ihm nicht sein Freund Irving Gould drei Millionen Dollar geliehen hätte, um eine Firma namens MOS Technologies zu kaufen. Deren Chefdesigner Chuck Peddle war fest davon überzeugt, dass Heimcomputer der kommende Verkaufsschlager sein würden. Zunächst hatte man erwogen, ein Computerdesign von Steve Jobs und Steve Woszniak aufzukaufen – aus diesem Computerdesign sollte bald der Apple II werden –, doch das Angebot erschien zu teuer. Auf Basis des Prozessors von MOS Technologies entstand stattdessen in nur sechs Monaten der erste echte Computer von Commodore, der PET. Schon kurz nachdem das Modell zum ersten Mal bei einer Messe gezeigt worden war, »bekamen wir täglich 50 Anrufe von Händlern, die ihn vertreiben wollten«, wie sich Tramiel später erinnerte. Vor allem im Bildungsbereich war der Rechner durch sein Blockdesign sehr beliebt. Der Computer sowie Monitor und Tastatur waren mitsamt der Datasette in einem Gehäuse untergebracht.
Die Konkurrenz von Apple II und Atari 800 ­erwies sich jedoch als zu stark für den PET. Und so entstand bei Commodore drei Jahre nach dem PET der VC-20. Der neue Computer basierte auf dem gleichen Prozessor, war billiger, hatte keinen eingebauten Monitor mehr und konnte Farben darstellen. Es sollte der erste Computer der Welt sein, der sich mehr als eine Million Mal verkaufte. Und einige Jahre später kam endlich der C64, der der meistverkaufte Heimcomputer aller Zeiten wurde. Zwölf Jahre lang wurde die Brotkiste produziert.
Tramiel jedoch verließ Commodore, nachdem er sich 1984 mit Irvin Gould überworfen hatte. Kurz darauf gründete er eine Firma, die er Tramel Technology Ltd. nannte. Das fehlende »i« ist nicht etwa auf einen Schreibfehler in einem Antragsformular zurückzuführen, Tramiel wählte den Namen so, weil sein eigener Nachname ständig falsch ausgesprochen wurde und er so sicherstellen wollte, dass er wenigstens im Firmennamen richtig klang. Tramel Technology sollte aber nur kurze Zeit so heißen, denn als die Firma den durch den Videospielecrash 1983 ökonomisch geschädigten früheren Commodore-Konkurrent Atari aufgekaufte, übernahm sie dessen in der Computerszene bekannten Namen. Mit dieser Firma brachte Jack Tramiel einen weiteren Computer auf den Markt, der in die Geschichte ein­gehen sollte, den Atari ST, der noch heute bei Musikern äußerst beliebt ist.

Allerdings ermöglichten Tramiels Erfindungen ungewollt auch die Verbreitung von Hasspropaganda via Computer. Denn zu den ersten Games, die sich unter C64-Nutzern verbreiteten, gehörten Nazispiele wie das noch heute berüchtigte »KZ-Manager«. Was Jack Tramiel davon gehalten hätte, kann man sich denken, war er doch selbst ein Überlebender der Shoa. Der am 13. Dezember 1928 im polnischen Lodz als Idek Trzimiel geborene Junge hatte nach dem Einmarsch der Nazis 1939 mit seinen Eltern ins Litzmannstadt genannte jüdische Ghetto der Stadt umziehen müssen. Fünf Jahre lang lebte die Familie dort in einem kleinen Zimmer, bis ihr Wohngebiet im August 1944 auf Befehl der Gestapo geräumt werden musste. Es gehe nach Deutschland, wurde ihnen mitgeteilt, in Wirklichkeit wurden sie in Viehwagen nach Auschwitz transportiert. Der SS-Arzt Josef Mengele persönlich erwartete die Ghetto-Bewohner. Idek und sein Vater wurden für arbeitstauglich befunden und ins KZ-Außenlager Hannover-Ahlem weitergeschickt, wo sie Zwangsarbeiter für die Continental-Gummiwerke werden sollten. Er sei dort zum Fatalisten geworden, sagte Tramiel später, er habe keine Hoffnung mehr gehabt – zumal sein Vater im Dezember 1944 qualvoll starb, nach einer Benzininjektion, wie sich später herausstellte.
Idek hatte jedoch Glück: Im April 1945 wurde er von US-Truppen befreit. »1944 waren wir noch 10 000 Menschen, die im Lager eingesperrt waren, aber als der Krieg zu Ende war, lebten nur noch 60. 60 von 10 000. Ich war einer dieser 60. Von da an war nichts mehr zu schwer für mich«, erinnerte sich der Unternehmer in den achtziger Jahren in einem Interview. Obwohl seine Mutter Auschwitz überlebt hatte, wollte er – wohl auch unter dem Eindruck der aufflammenden anti­jüdischen Pogrome in Polen – nicht in Europa bleiben. Zusammen mit seiner späteren Frau Helene Goldtrub emigrierte er 1947 in die USA. »Als ich New York erreichte, konnte ich gar nicht glauben, dass ich wirklich in Amerika war«, sagte Tramiel später. »Alles war wie früher in Polen, es roch nach Heringen und eingelegten Gurken, es wurde hauptsächlich Jiddisch gesprochen, eben wie zu Hause.« Fast völlig mittellos mit nur zehn Dollar in der Tasche angekommen, aber auch voller Sympathie für seine Befreier, entschloss sich Tramiel schon bald, der US Army beizutreten, wo er darin ausgebildet wurde, Schreibmaschinen zu reparieren – der Anfang seiner späteren Karriere als Unternehmer.
Nachdem sich Tramiel Ende der achtziger Jahre aus dem operativen Geschäft seines Unternehmens zurückgezogen hatte, nutzte er sein Vermögen auch, um den Aufbau des United States Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., zu fördern. Es konnte im Jahr 1993 eröffnet werden und verfügt mittlerweile über sechs Außenstellen in den USA. Am 8. April ist Jack Tramiel im Alter von 84 Jahren in Monte Sereno in der Nähe von San Francisco gestorben.