Hat den deutschen Meisterinnen im American Football beim Auftaktspiel der Bundesliga zugesehen

Football, Ladies!

American Football gilt als Sportart für »echte Kerle«. Wie es ohne Männer auf dem Spielfeld aussieht, zeigten die Berliner Kobra Ladies, die seit Jahren Meisterinnen der Bundesliga sind, beim ersten Spiel der Saison.

Das Stadion Wilmersdorf liegt streng genommen gar nicht im Berliner Stadtteil Wilmersdorf, sondern ein Stückchen weiter in Schmargendorf. Dort, irgendwo zwischen Heizkraftwerk, Stadtautobahn und dem im Sommer etwas verlassen wirkenden Eisstadion, findet am heutigen Sonntag das Auftaktspiel der Damenbundesliga im American Football zwischen den Berlin Kobra Ladies und den Kiel Baltic Hurricanes statt. Etwa eine Stunde vor Spielbeginn weist vor dem Stadion allerdings noch nicht viel auf eine wichtige Sportveranstaltung hin. Auf einem Parkplatz nebenan veranstaltet eine Gruppe Männer mittleren Alters ein Rennen mit ferngesteuerten Autos. Auf einem Nebenplatz findet ein Fußballspiel der Kreisliga B statt. Nur der Reisebus mit Rendsburger Kennzeichen deutet darauf hin, dass heute ein sportliches Ereignis von überregionaler Tragweite stattfinden wird.
Im Stadion selbst herrscht dagegen bereits emsiges Treiben – wenn auch nur auf dem Rasen. Die Teams im American Football sind ziemlich groß. Mehr als 60 Spielerinnen beider Vereine wuseln dort unten durcheinander, wärmen sich auf und besprechen noch einmal die taktischen Feinheiten. Auf den Rängen ist es dagegen noch ruhig. Die wenigen Zuschauer, die schon da sind, trinken Kaffee und lauschen der Arbeit des Stadion­sprechers, der gleichzeitig auch der DJ ist. Erst läuft Kelis, dann Christina Aguilera und dann so ziemlich alles andere, was in Elektronikwarenhäusern unter »Black Music« eingeordnet wird. Auf dem Rasen steigt derweil die Anspannung. Das erste Spiel der Saison ist immer etwas Besonderes. Das gilt umso mehr für diejenigen in den beiden Teams, für die es heute überhaupt das erste richtige Ligaspiel sein wird.
American Football ist in Deutschland ein noch relativ junges Phänomen, allerdings eines, das an Bedeutung gewinnt. Begonnen hat die Geschichte dieser Sportart mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen gegen Ende des zweiten Weltkriegs. Allerdings waren es in den folgenden Jahrzehnten fast ausschließlich G.I.s, die ihm nachgingen. Erst 1977 wurde mit den Frankfurter Löwen der erste Verein jenseits der Kasernentore gegründet. Bereits zwei Jahre später nahm die Bundesliga mit sechs Teams ihren Spielbetrieb auf. Ähnlich wie beim HipHop und anderen aus den USA importierten kulturellen Phänomenen war American Football am Anfang vor allem dort populär, wo auch die amerikanischen Truppen stationiert waren – im Rhein-Main-Gebiet und südlich davon. Die Frauen brauchten freilich ein wenig länger, bis vergleichbare Strukturen geschaffen wurden. Doch nach dem ersten Spiel zweier Frauenteams im Herbst 1987 ging es auch für sie sehr schnell. 1990 wurde erstmals eine deutsche Meisterschaft ausgespielt, an der zu Beginn sechs Teams teilnahmen, wie bei den Männern. Mittlerweile ist die Liga der Frauen auf zehn Teams angewachsen. Dabei ist Berlin mit 14  Meistertiteln zweifelsfrei eine Hochburg des Frauen-Footballs.

Um kurz vor 15 Uhr ist all das erst einmal egal. Für die nächsten zwei Stunden zählt nur das Hier und Jetzt. Endlich pfeift das Gespann aus sechs Schiedsrichtern aus Frankfurt/Oder und Berlin das Spiel an und eröffnet damit ganz unfeierlich die neue Saison.
Berlin versucht es gleich beim Kickoff mit einem Onside-Kick, doch der Spielzug schlägt fehl und die Offense der Kielerinnen darf ran. Der gelingt es allerdings nicht, ihren Vorteil zu nutzen. Stattdessen machen die Gastgeberinnen die ersten Punkte durch einen Touchdown von Runningback Susanne Erdmann. Nach der gelungenen Two-Point-Conversion steht es damit kurz darauf bereits 8:0 für Berlin.
Schon in den ersten Minuten zeigt sich, dass die Kobra Ladies ihren Gegnerinnen deutlich überlegen sind. Wirklich erstaunlich ist das nicht. Denn bei den Kobra Ladies handelt es sich um die deutschen Meisterinnen der vergangenen fünf Jahren und damit um das beste Team der Bundesliga. Das liegt unter anderem an der hervorragenden Infrastruktur, die das Team unterstützt. Head Coach Bernd Gottschalk war bereits Trainer in den USA und hat College-Football-Teams in Washington, Delaware und auf Hawaii trainiert. Weitere Coachs gibt es dann für jede Position in der Mannschaft, und bei jedem Ligaspiel stehen Späher mit Videokameras am Rande des Felds. Die Stärken und Schwächen der künftigen Gegnerinnen werden aufgenommen, denn die Videoanalyse ist ein wichtiger Teil des Training.
Vor wenigen Wochen erst konnten die Berlinerinnen in einem Freundschaftsspiel die Vienna Viking Ladies, die amtierenden österreichischen Meisterinnen, schlagen. Die Kobra Ladies können sich damit als derzeit stärkstes Team Europas bezeichnen.

Die Baltic Hurricanes oder Lady Canes, wie sie auch genannt werden, sind dagegen sogenannte rookies, Liganeulinge, die heute ihr erstes Bundesligaspiel überhaupt bestreiten. Der Gang in die erste Liga war nach dem mäßigen dritten Platz in der letzten Zweitligasaison ohnehin ein mutiger Schritt gewesen. Dass es gleich am ersten Spieltag gegen die amtierenden Meisterinnen geht, macht das Ganze umso aufregender für die Damen aus Schleswig-Holstein.
Keine halbe Stunde nach dem Kickoff ist es abermals die Berlinerin Susanne Erdmann, die sich den Ball unter den Arm klemmt und durch die gegnerischen Reihen rauscht, als wäre sie mit Teflon beschichtet. Mit geschickten Haken umkurvt sie eine Gegenspielerin nach der anderen und entzieht sich jedem Arm und jedem Oberkörper, der versucht, sich ihr in den Weg zu stellen. Am Ende hat sie gut 80 Yards zurückgelegt und mit einem weiteren Touchdown den Vorsprung ihres Teams auf 28:0 gebracht.
»Ich habe so viele Punkte machen können, nur weil der gesamte Angriff meines Teams so gut gespielt hat«, sagt sie nach dem Spiel. Daran ist zwar viel Wahres, denn wie kaum eine andere Sportart ist American Football ein Teamsport, doch Erdmanns Leistung an diesem Tag ist mit nicht weniger als elf Touchdowns absolute Weltklasse. Für sie selbst ist dabei alles ganz einfach: »Ich versuche einfach jeden Spielzug zu einhundert Prozent auszuführen, und das heißt dann halt Touchdown.«
Mit 15 Jahren Erfahrung und nach mehreren Länderspielen gehört Erdmann zudem zu den besten Spielerinnen nicht nur des Berliner Teams, sondern der gesamten Liga. Bereits 1996, als sie 14 Jahre alt war, begann sie in einem Jugendteam der Berlin Bullets zu spielen, doch weil es dort kein Frauenteam gab, wechselte sie drei Jahre später zu den Adler Girls, mit denen sie fünfmal in Folge deutsche Meisterin wurde. Als das Team dann jedoch aufgelöst wurde, landete sie, wie viele ihrer damaligen Mitspielerinnen, in Schmargendorf bei den Kobra Ladies.
Erdmann ist jedoch nicht der einzige Aktivposten bei den Berlinerinnen. Die gesamte Angriffs­linie zeigt eine gute Leistung, vor allem Quarterback Jennifer Schupetta, die gerade erst von den Stuttgart Scorpions hergewechselt ist. Als Neuzugang muss sie sich allerdings noch immer ein wenig eingewöhnen. Daher setzt der Angriff der Kobra Ladies auch weniger auf lange Pässe als viel mehr auf ein effektives Laufspiel. Dass das so gut klappen kann, liegt jedoch auch an der schwachen Verteidigung der Kielerinnen. Wahrscheinlich braucht das Team, das sich vor der Saison mit etlichen Neuzugängen aus Lübeck und Flensburg deutlich verstärkt hat, noch ein wenig Eingewöhnungszeit. Immerhin kommt es beim American Football oft mehr auf die harmonische Gesamtleistung des Teams an als auf spielerische Glanzleistungen einzelner Spielerinnen.
Die Lady Canes versuchen immer wieder erfolglose Pässe, obwohl es effektiver wäre, auf Laufspielzüge zu setzen, ähnlich wie die Berlinerinnen, immerhin ist die physische Präsenz der Kieler Angriffslinie stark und fast jede ihrer guten Offensivaktionen beruht beim heutigen Spiel auf genau diesem Vorteil. Doch nichts hilft weiter. Trotz eines Halbzeitstandes von 58:0 für die Gastgeberinnen gibt das Team aus Kiel nicht auf, sondern rackert weiter, und jeder Raumgewinn und jedes neue Firstdown werden bejubelt, als hätte das Team gerade entscheidende Punkte erzielt. Dafür bekommen die Kielerinenn wenigstens große Anerkennung, nicht nur von den Rängen, sondern auch von ihren Gegnerinnen.

Das Spielgeschehen mag etwas einseitig sein, das Wetter ist jedoch ausnahmsweise gut und das Angebot am Essensstand könnte kaum vielfältiger und preiswerter sein. Für zwei Euro gibt es ein Steak vom Grill, Würstchen sind für noch weniger zu haben und für nur 50 Cent gibt es eine reichhaltige Auswahl an Kuchen und Salaten. Offenbar geht es hier um mehr als reinen Sport.
Fast alle hier scheinen irgendwen aus dem Team persönlich zu kennen. Egal, wen man fragt, alle sind Freundinnen, Freunde oder Familienangehörige von irgendeiner Spielerin oder aber auf sonst irgendeine Art und Weise dem Verein verbunden. Zwei junge Männer sind sogar vier Stunden mit dem Zug von Usedom aus hergefahren, um das erste Spiel der Freundin einer Freundin zu sehen. So viel Enthusiasmus zeigen die Menschen in der Hauptstadt eher selten, und wenn, dann nur für Mainstream-Sportarten, wie auch Bernd Gottschalk weiß: »Berlin ist halt keine Sportstadt«, sagt er, »außerdem gibt es hier 130 Erstliga-Teams verschiedenster Sportarten, die um die Gunst der Öffentlichkeit konkurrieren. Da bleiben bei rund 3,5 Millionen Einwohnern zwar rein rechnerisch immer noch rund 27 000 potentielle Zuschauer pro Team übrig, aber ganz so einfach funktioniert das dann wohl doch nicht.« So sind es eben nur rund 200 Menschen, die heute bei diesem durchaus denkwürdigen Spiel dabei sind.
Spätestens, als es nach einem erneuten Touchdown von Christina Schampel wenige Minuten vor Schluss 100:0 steht, hat sich das Spiel endgültig seinen Platz in den Annalen des Berliner Vereins gesichert. Ob es wirklich, wie auf der Tribüne geraunt wird, das allererste Mal ist, dass die Kobra Ladies dreistellig punkten, sei dahingestellt. Der höchste Auftaktsieg der Vereinsgeschichte dürfte es aber wohl allemal sein. Dazu schallt aus den Boxen Madonnas Song »Give Me All Your Luvin‹«, den sie auch beim Auftakt des Super Bowl Anfang Februar gesungen hat. Passender geht es wohl nicht.

Kurz danach ist Schluss. Berlin schlägt Kiel mit 102:0 Punkten. Gottschalk ist die Höhe des Sieges jedoch gar nicht so wichtig: »Viel wichtiger ist, dass wir zu null gespielt haben, aber natürlich bin ich zufrieden. Wenn du so einen Sieg einfährst, dann hast du sehr, sehr viel richtig und sehr, sehr wenig falsch gemacht.«
Dass der Sieg allein Runningback Erdmann zu verdanken sei, glaubt er nicht: »Die braucht ja auch eine Offense Line, die für sie eine Schneise schlägt. Unsere Blocker haben ihr heute grandios den Weg freigeräumt«, lautet sein Fazit. Außerdem hätten dann in der zweiten Hälfte ja auch die anderen gepunktet.
Auch Nicole Ruhe, Head Coach der Baltic Hurricanes, zeigt sich beeindruckt: »Der Sieg war hochverdient. Das muss man neidlos anerkennen. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass wir derart heftig auf die Rübe bekommen.« Dennoch hofft sie, in dieser Saison noch den einen oder anderen Punkt zu holen. Ihr sorgenvoller Gesichtsausdruck verrät jedoch, dass es für sie im Augenblick Wichtigeres gibt. Auf der Tartanbahn hinter der Kieler Trainerbank ist ein Rettungswagen vorgefahren. Eine ihrer Spielerinnen wird gleich in ein nahe gelegenes Krankenhaus gefahren.
Bernd Gottschalk hat Glück. Er muss sich heute keine derartigen Sorgen machen. Bereitwillig beantwortet er Fragen, während er seine Grillwurst verspeist. Wer mit ihm spricht, merkt sofort, dass er voll und ganz für den Sport lebt. Sein Ziel für diese Saison ist auf sein T-Shirt gedruckt: »Let’s talk about six«. Gemeint ist die sechste Meisterschaft in Folge, mit der die Kobra Ladies dann auch endlich den Rekord der Adler Girls, den sie bis jetzt nur eingestellt haben, überbieten würden.
Wie gut ihre Chancen stehen, dürfte sich bereits im nächsten Spiel in zwei Wochen zeigen, da werden die Düsseldorf Blades zu Gast in Berlin sein und es wird zu einer Neuauflage der letzten zwei Finalen des Ladiesbowls kommen. Schon jetzt gilt als sicher, dass die beiden Teams den Sieg in der Gruppe A der Bundesliga mehr oder weniger unter sich ausmachen werden. Möglich ist auch, dass sie sich dann am 23. September beim Finale in Frankfurt/Oder abermals über den Weg laufen werden. Vorher jedoch werden Bernd Gottschalk und sein Team erst einmal mit ihren Kameras nach Schleswig-Holstein fahren, um dort zu schauen, wie sich die Baltic Hurricanes gegen die Blades schlagen. Nicole Ruhe und die Ihren werden sicher ihr Bestes geben, damit sie ordentlich etwas zu sehen bekommen.