Thomas Meinecke im Gespräch über das neue Album der Band F.S.K.

»Ich mag es in Stein geritzt wie bei Fred Feuerstein«

Die Hamburger Band F.S.K. veröffentlicht in diesen Tagen ihr 14. Studioalbum, »Akt, eine Treppe hinabsteigend«. Thomas Meinecke erklärt, dass es eine Hommage an Vinyl und an Beate Klarsfeld ist und warum ihn die Urheberrechtsdebatte nicht interessiert.

Herr Meinecke, schön dass es im dritten Anlauf endlich mit unserem Interview klappt.
Ja, finde ich auch. Da ich wegen des geplatzten Termins letzte Woche etwas früher in Hamburg war, konnte ich ein paar Stunden länger im Plattenladen verbringen.
Was haben Sie denn gekauft?
Gute Sachen. Unter anderem das Congotronics-Boxset beim belgischen Label Crammed Disc. Das ist einfach der Wahnsinn, was da auf den Platten los ist. Es humpelt und hinkt, es springt im Viereck. Allein diese elektrisch abgenommenen Daumenklaviere. Ich mag auch diese neuen Shangaan-Electro-Sachen. Wobei mir das Tempo überhaupt nicht einleuchtet.
Ich habe die Maxis immer auf 33rpm laufen lassen. Dann hatte es einen normalen House-Beat. Auf 45rpm abgespielt, dachte ich zunächst: Das können die doch nicht wirklich so meinen. Aber das sind immer die tollen Momente in der Musikgeschichte, wenn man sich am Plattenspieler überlegen muss: Soll das auf 33rpm oder 45rpm abgespielt werden?! Dann ist irgendwas passiert, wo man nicht mehr sagen kann: Das kenne ich schon! Das ist natürlich anders bei Cloud und CDs: Da hörst du gleich, wie es gemeint ist.
Wird ein junger Fan, der das neue Album von F.S.K. hört, eventuell auch das Gefühl haben, dass die Musik in der falschen Geschwindigkeit läuft?
Was glauben Sie: Hätte die Person den Eindruck, dass unsere Musik zu langsam oder zu schnell läuft?
Eher zu langsam. Für ein Rockalbum hat Ihr neues Album tatsächlich ein sehr ungewöhnliches Tempo. Aber reden wir überhaupt über eine »Rockplatte«?
Das wissen wir auch nicht! Wir haben jedenfalls das Gefühl, dass wir uns von elektronischer Track-Musik wegbewegt und uns eher rock­codierter Musik zugewandt haben. Wir mögen viele Bands, deren Musik man als Rock bezeichnet würde, etwa die frühen Pere Ubu oder Gang of Four, auch ’ne Rockband. Aber von der Denke sind solche Bands eher Pop als Rock. Ich habe eine gewisse Angst vor dem Begriff »Rock«. Mich erinnert unser Album auch an afrikanische Sachen, die man gerade so hört.
Beim Produzieren kam es uns tatsächlich eher wie verrückte Musik vor. Die aber eben nicht nach einem Masterplan entstanden ist. Das ist das Tolle am Bandprinzip: Dass am Ende oft der stärkste Motor im Schaffensprozess die Abwehrhaltung gegen das ist, was nicht mehr sein soll. Vor allem sind es wohl die krummen Beats, die unser Schlagzeuger so gerne spielt, die auf dieser Platte zu hören sind. So kam auch der komische Plattentitel zustande: »Akt, eine Treppe hinabsteigend«. Wir dachten: Die Platte klingt irgendwie kubistisch, wie große Klötze, wie riesige Quader, die im Übungsraum stehen. Ein bisschen pseudo-kubistisch, so wird die Bewegungsstudie von Marcel Duchamp mit dem Titel »Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2« auch gerne bezeichnet.
Auf dem Cover des Albums sieht man eine Frau in einem kahlen Wald.
Die fast wie eine Modette …
… ein weiblicher Mod …
… aussieht. Sie wurde leicht von unten gefilmt und strahlt etwas Überlegenes aus. Das Foto stammt vom Sperrmüll und ist 1968 entstanden. Es ist das Jahr, in dem Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kiesinger die berühmte Ohrfeige gab. Für mich ist das einer der wenigen tollen Momente der bundesrepublikanischen Geschichte, wo man sagen kann: Es gibt auch Positives. Uns hat das immer sehr imponiert, und darum haben wir auch diesen Titel gewählt.
Der Titel von Duchamps Bild wurde eigentlich immer mit »eine Treppe herabsteigen« übersetzt. Wir haben »eine Treppe hinabsteigen« daraus gemacht und das Subjekt und die herablassende Geste stark gemacht. Wir stellten uns vor, wie Beate Klarsfeld die Ränge heruntergegangen ist, die es vielleicht auch gar nicht gab. Sie lässt sich sozusagen dazu herab, diesem Nazi eine zu schallern. Wir wollten dieser Frau schon immer die Ehre erweisen, weil wir eine bestimmte Vorstellung von ihr hatten: eine sexy Modette, die mit ihrem Pariser Ehemann Jagd auf Nazis macht. Irgendwo in Südamerika irgendwelche mundgeruchigen Altnazis aufspüren, eine tolle Geschichte. Das hat schon einen gewissen Glam, so wie auch die RAF einen gewissen Glam hatte. Dass » Die Linke« Beate Klarsfeld als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt aufgestellt hat, fand ich gut. Dass es jetzt aber auch noch eine große Duchamp-Ausstellung in München gibt, wo auch noch das besagte Bild hängt, ist uns fast etwas unangenehm. Aber das sind alles nur Zufälle.
Dass ein Album ins Zeitgeschehen eingreift, hat doch was Tolles.
Auf jeden Fall. Was uns auch sehr gefiel, ist der Umstand, dass der »Akt«, der im französischen Original »Nu« heißt, im Englischen auch mit »nackt« übersetzt werden kann.
Das Foto der Frau strahlt eine gewisse Lars-von-Trier-Stimmung aus. Man hat irgendwie das Gefühl: Ein Opfer rächt sich.
Die Songs auf dem Album haben nur weibliche Protagonisten. Erykah Badu zum Beispiel.
Das liegt wohl daran, dass ich die Texte zur selben Zeit geschrieben habe wie meinen letzten Roman, »Lookalikes«. Diese Frauen spielen auch in dem Roman eine Rolle. ­Erykah Baduh zwar weniger, aber ­Josephine Baker oder die erste berühmte Burlesque-Tänzerin Gypsy Rose Lee.
Zu dem Stück »Erykah sagt« muss man wissen, dass ich dafür einen Text aus ihrem Booklet einfach ins Deutsche übersetzt habe. Eine Übertragung.
Judy Garland kommt vor.
Klar, wegen »The Wizard of Oz«. Aber das ist genaugenommen eher eine Männergeschichte.
Ich stelle mir gerade eine Eckkneipe vor, in der sich »echte Männer« am Abend zum »Wizzard of Oz«-Gucken treffen.
Sehr schön, eine echte Kaurismäki-Szene. Weinende Männer unter Judy Garland, »Somewhere Over the Rainbow«. Aber Sie haben Recht, diese femininen Figuren ziehen sich durch das ganze Album. Das sind aber Topoi, die uns als Band schon lange interessieren. F.S.K. sind immer noch eine Schule des Camp.
Mir kommt das Album wie eine Konzeptplatte vor, die uns die starke Seite der Frau zeigt. Es ist ein sehr feministisches Album.
Schön, dass Sie das so sehen. Das ist ein gewünschter Effekt und vermutlich auch die Summe der Gedanken hinter dem Album. Als Konzept ist es so aber nicht gedacht. Es gibt auf der Platte schon noch ein paar andere komische Lieder. Es gibt beispielsweise ein Lied über das Studio der Neptunes: »Master Sound Recording ­Studio«.
Wobei ich da sofort an Missy Elliot denken musste.
Obgleich von ihr nicht die Rede ist. Wir haben das Studio im Jahr 2000 besucht, als gerade das erste Kelis-Album »Kaleidoscope« produziert wurde. Über dem Mischpult hing ein riesengroßes Poster des Saturns. Das hat uns damals gefallen. Da war uns klar: Wir sind hier im Geiste von Sun Ras Arkestra unterwegs. Was wir ja gehofft hatten. Wenn man schon am schwarzen Atlantik ist, dass man dort den Saturn nicht vergisst. Aber ich schweife ab: Es gibt auch noch das Lied »Gute Nacht«, da unterhalten sich zwei Männer, das finde ich persönlich etwas langweilig, obwohl es da so schön »ste­reolabt«. Und das Lied »Logisch« gibt es auch noch. Da wird das Mogadischu-Motiv unseres ersten Albums aufgegriffen. Das war damals ein sarkastischer Umgang mit der Entführung der »Landshut« und dem deutschen Herbst. Über den wir uns damals eigentlich lustig gemacht haben. Es ging uns dabei auch um die deutsche Außenpolitik. Aber das Politische in den gender relations ist für mich irgendwie handhabbarer geworden in den letzen Jahren. Handhabbarer als die klassischen Klassenkriterien. Also eher über Gender als über Class! Dasselbe meinend. Insofern ist für mich das Feministische immer noch das, bei dem ich das Gefühl habe, einen politischen Universalanspruch zu vertreten.
Den Sie über die Bande der Kunst ins Spiel bringen?
Sie meinen über die Bildende Kunst?
Ja, Sie zitieren Duchamp im Titel.
Für mich ist Duchamp eher so ein Hans-Dampf-Typ, der auf eine tolle Weise sehr unsolide ist. Ähnlich wie in der Rock’n’Roll-Geschichte eine Figur wie Kim Fowly. Den ich neulich übrigens zum ersten Mal mit seiner Band in München live gesehen habe. Er hatte eine Geliebte dabei, so eine Betty-Page-like-Burlesque-Sunset-Boulevard-Pflanze, die er natürlich auch als Betty-Page-Burlesque-Sunset-Boulevard-Pflanze vorstellte. Und so performte sie auch. Dieses Abgeschmackte, Unsolide in einem guten Sinne hatte Marcel Duchamp auch. Den Hallodri-Typus habe ich immer gemocht. Schon deshalb würde ich nicht sagen, dass ich über die Bande der Kunst spiele.
Ihr Album erscheint als Vinyl-Edition, der eine CD beigelegt ist.
Die CD ist mir nie ans Herz gewachsen. Aber ich gehe immer noch gerne in den Drogeriemarkt und kaufe mir CDs beispielsweise von Nicki Minaj. Wobei man die guten Tracks davon eigentlich lieber auf Vinyl hätte. Weil es einfach besser klingt.
Dass Vinyl anscheinend wirklich die CD überlebt, freut einen natürlich. Die CD ist eben nur ein notwendiges Übel, bis man nun am Ende endlich die Wolke erfunden hat. Jetzt sehe ich auch ein, dass es Daten aus der Wolke regnet. Oder man piekst sie einfach an. Obwohl ich immer noch jemand bin, der Dinge gerne besitzt. Ich finde es schwierig, dass Sachen digital ständig verändert, also upgedatet werden können. Will ich das? Ich finde einen Redaktionsschluss schon wichtig. Einfach um das Gefühl zu haben, das ist aus der Hand des Künstlers oder Autors. Abgegeben. Das Gefühl habe ich bei ana­logen Medien doch eher. Ich mag es immer noch, wenn etwas in Stein geritzt wird wie bei Fred Feuerstein.
Glauben Sie, dass die Generation der Digital Natives einen anderen Eigentumsbegriff entwickelt hat?
Errungenschaften wie Sampling, Zitat, aber auch explizit Diebstahl sind ja in den Hochzeiten der analogen Kultur entstanden: die HipHop-Kultur, Zitatpop oder Art-School. Der berühmte Popsommer 1982, als das Wort Zitatpop auch in aller Munde war, hat mich stark geprägt, also diese Baustelle der geknackten Urheberrechte. Und das finde ich auch gut so. Ich lasse mich auch gerne selber knacken und verwenden und tue das nicht zuletzt auch in meinen Büchern. Ich bin überhaupt kein Sven-Regener-Parteigänger, der das Gefühl hätte, das da jetzt irgendwas gesichert werden müsste. Ich finde, dass sich die Kultur, in der wir leben, eben gerade durch die Missachtung des Urheberrechts in solche Höhen aufgeschwungen hat. Das ist meine popistische Weltanschauung. Die auch schon auf Warhol zurückgeht oder noch auf Jack Smith vielleicht.
Oder auf Duchamp.
Ja, sicher, das Readymade. Dann aber auch schon auf Baudelaires »Loblied auf das Schminken«. Hinter der Schminke ist zwar noch ein Gesicht, aber darum geht es jetzt nicht mehr. Auf der anderen Seite bin ich als jemand, der davon lebt, Kunst in Wort und Ton abzusondern, natürlich daran interessiert, auch weiterhin davon leben zu können. Aber ich würde mich da gerade am liebsten komplett aus der Affäre ziehen. Wenn Leute etwas von mir bootleggen, ist das auch eine Form der dedi­cation, es dient am Ende der Wahrheitsfindung. Ist alles in Ordnung. Auf der anderen Seite möchte ich mein Zeug natürlich nicht irgendwelchen Arschlöchern umsonst geben.
Wenn ich Lesungen mache, bin ich bereit, für manche Leute auf einem Sofa zu pennen, bei anderen muss es eben das Fünf-Sterne-Hotel sein. Ich würde daraus aber keine Philosophie machen wollen, also nicht den Anspruch entwickeln wollen, nur noch in Fünf-Sterne-Hotels zu schlafen.
Insofern bin ich ein ziemlich unsicherer Kandidat in diesem Urheberrechts-Grabenkampf. Ich sehe auch nicht, was genau das Problem sein soll. Mein Gefühl ist eher, das löst sich gerade. Es passiert einfach, so wie es immer schon einfach so passiert ist: Als die Jukebox aufkam, waren viele Musiker plötzlich arbeitslos und die Songs hatten nur noch eine Länge von 3,5 Minuten, weil nicht mehr auf die Vinyl-Singles passte. Das hatte immer auch Vorteile. Obwohl ich von den Urheberrechten, besser gesagt dem Mehrwert der Urheberrechte lebe, möchte ich mich nicht auf die Seite der Urheberrechtler schlagen. Ich bin schließlich kein Bestseller­autor und lebe auch als Selbstausbeuter.
Es ist eine interessante Zukunftsvision, dass das Werk der Beatles Allgemeingut sein wird.
F.S.K. hat mal mit John Peel eine Session gemacht und vier Beatles-Lieder nachgespielt, natürlich hatten wir auch niemanden nach den Rechten gefragt. Peel fand das wohl ziemlich komisch damals. Ein paar Deutsche, die mit ihrer Rhythmus-Maschine ankommen und ausgerechnet Beatles Lieder nachspielen wollen …
Aber für mich waren die Beatles von Anfang an so etwas wie Folklore. Da sehe ich ehrlich gesagt keinen großen Unterschied zu Woody Guthrie.
Das sehen ihre Rechteverwerter aber anders.
Das mag sein, aber man konnte schon immer in eine öffentliche Bibliothek gehen und sich dort Beatles-Platten anhören und ausleihen. Früher hat man sich die dann zu Hause auf Kassetten aufgenommen. Heute schaut man bei Youtube rein. Oder bei Daily Motion. Das Schlimme dort ist im Moment nur, dass man erstmal 30 Sekunden Haarschampoo-Werbung über sich ergehen lassen muss. Das nervt. Aber diesen öffentlichen besetzten Raum gibt es einfach. Das ist auch richtig so. Da brauche ich auch gar nicht drüber nachzudenken.
Sie haben in der Literatur und im Pop Pionierarbeit geleistet. Glauben Sie, dass das, was Sie sich als Künstler erarbeitet haben, dieses Denken in offenen Strukturen, für junge Leute heute ganz selbstverständlich ist?
Natürlich, insofern ist auch alles gut. Oder, sagen wir: Vieles ist gut. Ich sehe deshalb gerade nur Interessenskämpfe. Lobbykämpfe. Deshalb wirkt das, was da gerade so gefordert wird, auf mich auch unsexy. Ich sehe den Ist-Zustand gerade durchaus positiv. Selbst die Gema ist plötzlich wieder okay, wenn sie jetzt den Nazis, also der NPD, das Pink-Panther-Thema in Rechnung stellt.
Ist die Piratenpartei okay?
Die Piratenpartei macht mir gerade etwas Angst, weil ich die Befürchtung habe, dass es am Ende doch nur Neoliberale sind. Neoliberale mit Pferdeschwanz. Die neue Fratze des Kapitals. Nerd-Typen, die einem im Aufzug eines Rundfunkgebäudes begegnen und einem stolz erzählen, dass sie gerade die Plattenspieler abgebaut haben, weil jetzt eh alles digitalisiert ist. Diese Typen kriegen einfach gar nicht mehr mit, dass es neuen heißen Scheiß noch heute auf Vinyl gibt.

FSK: Akt, eine Treppe hinabsteigend.
Buback/Indigo